Mädchen in «Latin Link»-Heim
«Sie segnet ihren Vergewaltiger, wenn sie ihn sieht»
«Die Christen in Lateinamerika sind leidenschaftliche
Nachfolger Christi, von denen wir uns immer wieder eine Scheibe Herzblut
abschneiden können», erklärt Jana Neipp von «Latin Link» im Interview mit Livenet.
Bewegend ist beispielsweise die Geschichte eines Mädchens in einem Heim, das ihrem Vergewaltiger vergeben hat und ihn segnet, wenn sie ihn auf der Strasse
sieht.Jana Neipp, was sind die
Schwerpunkte von «Latin Link» und in welchen Ländern ist das Werk tätig?
Jana Neipp: Wir
bieten Kurz- und Langzeiteinsätze in ganz Lateinamerika an. Unser Ziel dabei
ist es, Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung zu fördern, damit sie ihre
Begabungen und Fähigkeiten optimal einsetzen können, um den Nöten und
Herausforderungen in der Gesellschaft zu begegnen. Latin Link sucht für jede
Person, die einen Kurz- oder Langzeiteinsatz machen möchte, individuell den für
sie passenden Einsatzort und vernetzt sie durch unsere Teams mit
Partnerorganisationen und Kirchen vor Ort.
Können Sie einen Einblick geben, was die Arbeit von «Latin Link» konkret bewirkt?
Der Fokus bei unserer Arbeit liegt
auf Beziehungen, die langfristig geprägt und gesegnet werden. Dadurch wird
unsere Arbeit nachhaltig. Wir möchten die Leben unserer Mitarbeitenden, die wir
aussenden, verändern und bereichern. Diese wiederum engagieren sich vor Ort
konkret für die Menschen.
Unsere ehemalige Kurzzeiterin Jennifer erzählt von einer besonderen Begegnung: «Ich arbeitete im Oasis, einem Heim für Mädchen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Eines Abends sah ich ein Mädchen alleine draussen sitzen. Obwohl ich noch nicht viel mit ihr zu tun gehabt hatte, fragte ich sie, ob ich mich zu ihr hinsetzen dürfe. Sie willigte ein und begann zu erzählen. Sie erzählte von ihren Geschwistern, ihren drogenabhängigen Eltern, die gestorben sind, ihren Ängsten ebenfalls auf die schiefe Bahn zu geraten, aber auch ihren Wünschen und Hoffnungen. Sie ist 15 Jahre alt und seit neun Jahren im Oasis. Mit 5 Jahren wurde sie zum ersten Mal sexuell missbraucht. Eine schreckliche Geschichte. Doch was sie mir anschliessend sagte, werde ich nie vergessen. Sie habe den Tätern vergeben und jedes Mal, wenn sie den Mann auf dem Weg zur Schule sieht, segne sie ihn. Wow! Ich war sprachlos. Ihre Geschichte rührte mich zu Tränen. Gott kann aus Zerbrochenem eine wunderbare Geschichte entstehen lassen. Am Ende meines Einsatzes schrieb das Mädchen mir eine Karte: Sie werde nie vergessen, wie ich ihr gezeigt habe, wie Gott auf eine wunderbare Weise in ihrem Leben wirke. Mir kamen die Tränen, als ich diese Worte las. Es war mein Herzensanliegen für sie. Und ich war überwältigt davon, wie mich Gott trotz meinem lückenhaften Spanisch und meinen nicht vorhandenen Psychologie-Kenntnissen brauchte, um für dieses Mädchen einen Segen zu sein.»
Was bewegt Sie bei Ihrer Arbeit für
Latin Link?
Wir sehen uns als Gemeinschaft mit
einer Berufung. Als Gemeinschaft wollen wir die lateinamerikanische Gemeinde
unterstützen und ihr ermöglichen, zu wachsen und sich zu multiplizieren. Wir
wollen ein Bindeglied zwischen der lateinamerikanischen und der übrigen Welt
sein. Der Schwerpunkt unserer Arbeit lässt sich daher am besten im Begriff
«Partnerschaft» ausdrücken. Wir wollen den Lateinamerikanern auf Augenhöhe
begegnen.
«Latin Link» ist in Südamerika fast
in allen Ländern präsent – wann ist die Südamerika-Karte «komplett»?
Unser Ziel ist es nicht, aktiv die
Südamerika-Karte zu komplettieren und möglichst überall tätig zu sein. Wir sind
dort tätig, wo wir vor Ort eine Einladung von einer Gemeinde, einem Projekt
oder Einzelpersonen erhalten. Beziehungsarbeit hat für uns einen hohen
Stellenwert, daher geht es uns auch nicht darum, an möglichst vielen Orten
präsent zu sein.
Sind die Menschen in Südamerika
generell offener für Jesus als hier bei uns?
Generell kann man sagen: «Ja, sie
sind offener.» Der christliche Glaube ist im Alltag um einiges präsenter und
sichtbarer als bei uns. Beispielsweise tragen viele Busse und andere
öffentliche Verkehrsmittel Schilder mit Ermutigungen wie «Gott segne dich» oder
«Gott beschütze dich».
Welche Hoffnung könnt Ihr vor Ort
verbreiten?
Wir sind im Moment auf jeden Fall
durch die Corona-Situation herausgefordert. Bis Ende Jahr ist es nicht möglich,
neue Kurzzeitmitarbeitende auszusenden, da die Situation in den Ländern
Lateinamerikas durch Covid-19 nach wie vor sehr ungewiss ist. In vielen Ländern
bestimmt noch immer der Lockdown den Alltag, die Arbeit vor Ort in den
Projekten ist also fast nicht beziehungsweise nur auf Distanz möglich. Es sind
aber nach wie vor einige Kurz- und Langzeiter vor Ort im Einsatz, die trotz der
anhaltenden Corona-Krise Hoffnung verbreiten.
In vielen Ländern können wir durch unsere Langzeitmitarbeitenden und deren Netz Nothilfe in Form von Lebensmittelabgaben leisten. Die Arbeit unserer Mitarbeiterin Lotti zeigt, dass es dabei aber nicht nur beim Essen bleibt, sondern sie auch aktiv Hoffnung verbreitet: Lotti erzählt: «Wir versuchten mit den Nahrungsmitteln nicht nur etwas für den Leib zu senden, sondern auch Seele und Geist miteinzubeziehen. Für jede Person, die mit Lebensmitteln unterstützt wird, fertigen wir eine schöne und persönliche Karte an mit einem lebensspendenden Bibelvers und einem Segensgruss.»
Was können wir von den Christen aus den südamerikanischen Ländern für unseren Alltag lernen?
Die Christen in Lateinamerika sind
leidenschaftliche Nachfolger Christi, von denen wir uns immer wieder eine
Scheibe Herzblut abschneiden können. Die Lateinamerikaner haben in ihrer Kultur
einen starken Fokus auf Gemeinschaft. Sie sehen den Menschen vor der Sache.
Bewundernswert ist auch ihre Gebetskultur: Das Gebet hat vielerorts einen hohen
Stellenwert.
Zur Webseite:
Latin Link
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet