Kirchenvertreter uneinig

Hat die Rettungsschiff-Kapitänin richtig gehandelt?

Darf man im Namen der Menschlichkeit dem Staat widerstehen? Das hat die Kapitänin des deutschen Rettungsschiffes «Sea Watch» getan. Kirchenvertreter und Kommentatoren beurteilen ihr Handeln unterschiedlich.

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Seawatch-Kapitänin Carola Rackete
Kapitänin Carola Rackete hatte trotz Verbots mit ihrem Schiff «Sea Watch» und 40 schiffbrüchigen Flüchtlingen im Hafen der Insel Lampedusa angelegt und ihr Handeln mit einer Notlage begründet. Die Behörden setzten die 31-Jährige daraufhin fest und werfen ihr Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Verletzung des Seerechts und Widerstand gegen die Staatsgewalt vor, weil sie sich Anweisungen von Militärschiffen widersetzt haben soll.

«Was hätte sie sonst tun sollen?»

Wie das deutsche Nachrichtenmagazin «idea D» meldet, verteidigte der deutsche EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, das Vorgehen von Rackete. «Aus meiner Sicht war das, was die Kapitänin gemacht hat, eine schlichte Notlandemassnahme», schrieb er auf Facebook. Das Verbot des italienischen Innenministers Matteo Salvini, den Hafen anzulaufen, sei «nicht zu rechtfertigen». Die Kapitänin habe nur getan, «was die allen unseren europäischen Rechtstraditionen zugrundeliegenden Werte fordern». Bedford-Strohm hält es für absurd, dass man ihr dafür jetzt moralische Vorwürfe macht: «Was hätte sie sonst machen sollen?»

Der Evangelische Militärbischof Sigurd Rink fordert, Rackete unter Auflagen auf freien Fuss zu setzen, damit sie sich dann einem gerichtlichen Verfahren stellen kann: «Lasciala libera! Lasst sie frei!» Das ist mittlerweile geschehen: Rackete ist aus dem Arrest wieder entlassen worden.

«Wer so handelt, macht sich strafbar»

Idea D zitiert auf der anderen Seite ebenfalls den Theologen und früheren SPD-Politiker Prof. Richard Schröder, der das Vorgehen der Kapitänin kritisch beurteilt. Er schreibt in einem Beitrag für die Tageszeitung «Die Welt» vom 2. Juli: «Wenn ein deutscher Kapitän beliebigen Geschlechts das Verbot, in einen Hafen zu fahren, missachtet und ein italienisches Zollboot bedrängt, ist das unzweifelhaft Widerstand gegen die italienische Staatsgewalt und strafbar.» Wer ohne Genehmigung Ausländer in den Hafen bringe, begehe «zweifellos Beihilfe zur illegalen Einwanderung». Schröder: «Der italienische Innenminister, dem meine Sympathie nicht gehört, fragt nicht zu Unrecht, warum ein in den Niederlanden registriertes und von einer deutschen Besatzung betriebenes Schiff die Schiffbrüchigen nicht in die Niederlande oder nach Deutschland transportiert. Warum eigentlich nicht?» Lebensrettung begründe keine «vorauseilende Generalamnestie für folgende Handlungen», so Schröder, der von 1991 bis 1997 EKD-Ratsmitglied war.

Diskussion: Humanitäre Pflicht oder Helferin der Schlepper?

Auch in der Leserdiskussion zum idea-Artikel zeichnen sich zwei Positionen ab; in der Minderheit sind die, die die «barmherzige» Position Bedford-Strohms mit dem Hinweis, dass man «Gott mehr gehorchen müsse als Menschen» verstehen. Mehrheitlich halten die Leser aber fest, dass Seerecht verletzt wurde; die Flüchtlinge seien bereits zwei Wochen an Bord der «Sea Watch» gewesen, und es hätte genügend Möglichkeiten gegeben, eine andere Lösung zu finden. Mehrmals wird der Vorwurf erhoben, Kaptänin Rackete habe sich zum Werkzeug der Schlepper gemacht und sei bei alldem nur «Türöffner für eine angestrebte dauerhafte Seebrücke».

Die Vermutungen gehen bis dahin, dass Sea Watch eventuell «die Menschen in Geiselhaft genommen und bewusst wochenlang keinen anderen Ausweg gesucht hat, um ein Exempel zu statuieren und die Grenzsicherung der EU-Aussengrenze am Mittelmeer zu durchbrechen?» An der Route der Kapitänin seien in den zwei Wochen «genügend andere Anlaufmöglichkeiten» gelegen. Ein Kommentar fasst zusammen: «Das Seerecht sieht eine Rettungspflicht für jedes Schiff, das an einem fallierenden Schiff vorbei kommt. Wenn Staaten dann diese geretteten Menschen ablehnen, verletzen sie Menschenrechte. Wenn aber Menschen bewusst das Risiko eingehen, unterzugehen oder ihre Retter in Gefahr zu bringen, verbieten sich einfache Lösungen.»

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Datum: 04.07.2019
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / idea D

Kommentare

… Aber all diese Dinge will ich erst diskutieren, nachdem ich verhindert habe, dass Menschen ertrinken. Woher kommt eigentlich die Auffassung von Herrn Schröder: "Um Flüchtlinge im eigentlichen Sinn des Wortes gibt es keine nennenswerten Auseinandersetzungen"? Natürlich gibt es die. Denn ihr Herkunftsland wird als "sicher" eingestuft und plötzlich sind es Wirtschaftsflüchtlinge. Sie brauchen nur legal einzureisen? Wie bitte soll das afghanischen Christen, die ohne Papiere im Iran leben, möglich sein? Faktisch existieren sie gar nicht. Jeder Schritt, den sie tun, ist illegal. Wir reden von Menschen, die aufgrund katastrophaler Umstände alles verlassen, was sie haben - Heimat und Familie.
Ja - das Thema ist schwierig und es gibt sehr verständliches und vertretbares Für und Wider. Natürlich ist es mir klar, dass die Seenotrettung einzelner Geflüchteter eben nur eine Rettung Einzelner ist und keine (politische/humanitäre/gesellschaftliche) Lösung. Trotzdem werde ich mit Art von Idea bzw. Schröder nicht warm - ich finde, sie gehen großzügig über die eigentlich Betroffenen (Menschen! mit Gesichtern, Familie, Schicksalen!) hinweg. Natürlich braucht es politische Lösungen. Und natürlich können wir als EU-Staat in dritter Reihe, der direkt gar nicht von Asylbewerbern erreicht werden kann, Italien oder Griechenland nicht allein lassen, wenn Menschen zu ihnen ins Land fliehen. …
Kürzlich wurde hier in einem Artikel der oft mangelhafte Umgangston im Netz kritisiert, und man konnte den Eindruck bekommen, als sei dies nur ein Problem auf konservativer Seite. Mit der Flüchtlingsproblematik haben wir ein Thema, wo auch von linker Seite her unfair diffamiert wird. Es darf nicht sein, als Rassist zu gelten, weil man gegen eine offene Seebrücke für Wirtschaftsflüchtlinge ist (genauso wenig sollte angefeindet werden, wer sich für eine menschliche Behandlung von Flüchtl. einsetzt). Man kann nicht gegen eine Seebrücke sein und gleichzeitig für Rettungsschiffe. V.a. in Deutschland ist die Stimmung dank Merkel extrem aufgeheizt. Beide Seiten sollten emotional herunterfahren.

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