Recht auf Suizid?
Ein seltsames Bundesgerichts-Urteil
Laut einem Urteil des Bundesgerichts steht das Recht, sich das Leben zu nehmen über dem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit. Nun ist die Politik gefragt.
Ein Grundrecht und ein Rechtsprinzip verletzt
Das neue Gesetz sieht vor, dass öffentlich anerkannte gemeinnützige Institutionen den Wunsch eines Patienten nach einem begleiteten Suizid in ihren Räumlichkeiten respektieren müssen. Die Beschwerdeführerin sieht darin einen Verstoss gegen die Religionsfreiheit. Das menschliche Leben sei ein Geschenk Gottes, das nicht durch den menschlichen Willen vernichtet werden dürfe. Zudem verletze die Gesetzesnovelle das Prinzip der Rechtsgleichheit. Öffentlich anerkannte Institutionen müssten den Wunsch eines Patienten nach Sterbehilfe respektieren, für private Heime gelte dies nicht.
Bundesgericht beugt sich dem Zeitgeist
Das Bundesgericht ist damit voll auf den Zug des Zeitgeistes aufgestiegen. Dieser stellt individuelle Rechte über diejenigen einer Institution und über diejenigen von betroffenen Pflegenden und Angehörigen. Dass die Richter das Recht, sich das Leben zu nehmen, gar über die Glaubens- und Gewissensfreiheit stellen, ist grotesk. Dass damit die Bundesverfassung nicht verletzt sei, wirkt mehr als befremdlich. Dass auch Pflegende und Angehörige von einem Suizid massiv betroffen sind, ist für die Bundesrichter kein Kriterium. Die bisherigen Erfahrungen im Bereich «Sterbehilfe» haben nämlich gezeigt, dass oftmals Angehörige schwer unter dem Entschluss von Eltern, eines Vaters oder einer Mutter, die sich den tödlichen Becher geben lassen, leiden und gar psychologische oder seelsorgerliche Hilfe brauchen. In einem Heim sind auch Menschen betroffen, welche die sterbewillige Person vielleicht monatelang intenvsiv begleitet haben.
Bundesgericht hat Bundespolitik überholt
Der assistierte Suizid geschieht in der Schweiz ohnehin in einer rechtlichen Grauzone. Die Bundespolitik hat sich bislang geweigert, ihn gesetzlich zu regeln. Denn sie erkannte das Dilemma: Eine Regelung und gesetzliche Zulassung von Suizidhilfe-Organisationen hätte diesen quasi eine gesetzliche Legitimation gegeben. Der begleitete Suizid wäre zu einer offiziellen Option bzw. zu einem Recht geworden.
Nun hat das Bundesgericht die Politik überholt und die Suizidhilfe nicht nur zu einem Recht erklärt, sondern auch öffentliche Institutionen verpflichtet, diese ihren Pflegebedürftigen zu verschaffen. Mit allen Konsequenzen für das Pflegepersonal, die Mitpatienten und die Angehörigen. Zu befürchten ist damit auch, dass unter gewissen Umständen ein Druck auf Schwerkranke entsteht, den Exit-Service in Anspruch zu nehmen. Vor allem wenn die Heimkosten das ganze Vermögen verzehren.
Palliativpflege soll nicht unter Druck stehen
Die Heilsarmee betont richtigerweise, dass für sie nur die Palliativpflege die ethischen Kriterien eines christlichen Heims erfüllt. Erfahrungsgemäss verflüchtigt sich bei Schwerkranken der Wunsch auf Suizid, wenn sie mitfühlend, rücksichtsvoll und medizinisch gut betreut werden. Das Personal dürfte aber nicht unter dem Druck stehen, um jeden Preis den Wunsch kranker Menschen auf Suizid verhindern zu müssen. Die Motivation muss positiv sein.
Nun ist das Bundesparlament gefragt
Nun braucht es die Bundespolitik. Sie müsste dafür sorgen, dass Heime grundsätzlich die Leistung «Exit» ausschliessen und diesen Ausschluss im Pflegevertrag festhalten können. Es wäre dann an den Patienten, sich gegebenenfalls für ein Heim zu entscheiden, das die Option Exit anbietet. Sonst besteht die Gefahr, dass früher oder später nicht nur der Raum für den Suizid zur Verfügung gestellt werden muss, sondern das Personal eines (christlichen) Heims verpflichtet wird, bei der Suizidhilfe mitzuwirken, was nach dem aktuellen BG-Urteil noch nicht der Fall ist.Zum Thema:
Heilsarmee-Rekurs abgelehnt: Assistierter Suizid: Recht auf Sterbehilfe vor Gewissensfreiheit?
Sterbehilfe und Suizid: Das organisierte Sterben nimmt zu
Tatort zum Freitod: Sterbetourismus im Unterhaltungsformat
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet
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