Wo stehen «echte Christen»?

USA: Wenn Politik christliche Einheit bedroht

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Dass die USA politisch tief gespalten sind, ist kein Geheimnis. Wie wirkt sich das auf christliche Kirchen aus, die behaupten, dass sie dem gleichen Herrn dienen? Immer mehr Leiter fordern «violette» Kirchen.

«Das Problem ist nicht, dass die Leute in der Kirche sich nicht einig sind, wen sie wählen sollen. Das Problem ist auch nicht, dass die Leute sich ärgern, dem Pastor wütende Mails schreiben oder sich mit anderen Gemeindegliedern auf Facebook streiten (obwohl das vorkommt)», erklärt Redakteur Daniel Sillman in der «Christianity Today» von diesem Monat. «Und das Problem ist nicht einmal, dass viele Fragen plötzlich tief politisch werden – ob man Gesundheitsexperten trauen kann, dass jeder im Bild Gottes geschaffen ist oder wie die Bibel die Armen sieht.»

Tiefe Polarisation

Kirchen und christliche Gemeinden, die Demokraten und Republikanern gleichermassen eine geistliche Heimat geben wollen, werden «violette» Kirchen genannt, also eine Mischung aus blau und rot. Pastoren solcher Gemeinden stellen zunehmend fest: «Das Problem ist, dass die Leute aufhören, sich zu streiten. Sie trennen sich. Und sie organisieren sich nach politischen Überzeugungen.»

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LeRoy Lawson
Diese Polarisation bedeutet, dass Parteizugehörigkeit stärker ist als das Evangelium. Dass Einheit in Christus nur innerhalb politischer Einheit möglich ist. «Diese Polarisation ist heute so tief», sagt etwa Pastor LeRoy Lawson, der seit den 50er Jahren im Dienst ist, «dass die meisten Gemeinden nach rechts oder nach links neigen und den Eindruck vermitteln, nur links oder rechts könne man wahrer Christ sein.»

Die dunkle Kehrseite der «homogenen Einheiten»  

Heute leben 6 von 10 US-Amerikanern in «landslide counties» – Regionen, wo mehr als 70 Prozent der Bevölkerung zu einer politischen Richtung neigen. Das bedeutet, dass die meisten von Menschen umgeben sind, die so denken wie sie. Sie «kuscheln sich in Gemeinschaften Gleichgesinnter», wie der Soziologe Bill Bishop es beschreibt.

Auch viele Kirchen machen hier mit. Eine der Hauptstützen der «Gemeindewachstumsbewegung», ausgehend vom Fuller Seminary in den 70ern, war das Prinzip der «homogenen Einheiten» (homogenous units): Um Christ zu werden und in eine Gemeinde zu kommen, sollten Menschen möglichst wenige Barrieren von Rasse, Klasse, Sprache oder Kultur zu überwinden haben. Das führt heute zu Gemeinden von Gleichgesinnten – auch im politischen Sinne.

Viele Pastoren versuchen, diesem Trend zu widerstehen – aus der Überzeugung heraus, dass das Evangelium Christen zu einer anderen Art von Einheit ruft. «Ich denke, eine Gemeinde sollte solid violett sein», sagt etwa Chris Rea, Pastorin der reformierten «Church of the Savior» in South Bend, Indiana. «Unsere Identität sollte in Christus sein und in nichts anderem. Unsere politische Überzeugung darf nie unsere primäre Identität als Christen sein.»

Evangelistische Chance

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Pastor Glen Elliott
In der Pantano-Gemeinde in Tucson, Arizona, erklärt Pastor Glen Elliott sogar, dass demographische und kulturelle Unterschiedlichkeit Gelegenheiten für die Evangelisation schafft. «Wenn die Leute denken, dass Christ sein konservativ sein bedeutet, dann begrenzt das die Evangelisation auf Konservative», sagt Elliott. «Aber wir wollen verlorene Menschen erreichen. Nicht nur die von einem bestimmten Segment. Ich möchte jeden erreichen, der Jesus nicht kennt.»

Die 3'500 regelmässigen Besucher der Pantano-Gemeinde sind überwiegend konservativ, aber es gibt auch eher linksgerichtete unter ihnen, vor allem unter den Jüngeren und den rund 50 Prozent der Gemeindeglieder, die nicht weiss sind. Das schafft Spannungen. Es gab Meinungsverschiedenheiten in der Kirche über die Wahl, über «Black Lives Matter» und die richtige Reaktion auf den Coronavirus (neben der Wahl das andere Haupt-Konfliktfeld des Jahres 2020).

Statt Politik das Königreich

Nach einer Reihe solcher Konflikte hat Pastor John Beeson von der New Life Church in Tucson begonnen, über die Gleichnisse des Reiches Gottes zu predigen – «ein deutlicher Versuch, zu sagen: 'Lasst uns uns wieder nach dem König und Seinem Reich orientieren.' Die Sprache des Reiches Gottes ist so hilfreich: Sie klärt unsere Identität, formt unsere Hoffnung und gibt uns Klarheit, wo unser Friede herkommt.»

Das hat natürlich auch konkrete Folgen. So erklärt Pastor Jeff Schultz seiner Freien Evangelischen Gemeinde, dass es Überzeugungen gibt, die nicht verhandelbar sind. Die Gemeinde unterstützt Pro Life, und sie hilft den Flüchtlingen, die neu in die Nachbarschaft gezogen sind. «Die Bibel stützt keine Theorien von Rassenüberlegenheit, aber sie verurteilt es, wenn Reiche Arme ausnutzen», so Schultz.

Nicht Schwarz und Weiss, sondern Gnade

«Hoffentlich merken wir in jeder Wahlzeit, dass es nicht um das reine Gute gegen das reine Böse geht, schwarz oder weiss», erklärt Schultz. «Unsere Identität ist in der Wahrheit, und die ultimative Wahrheit ist der Gott, der nicht so einfach und nett in unsere politischen Kategorien passt.»

«Wir sind durch Gnade errettet», fasst Pastor Lawson seine Erfahrung aus fast sieben Jahrzehnten Dienst zusammen. «Kirchen werden durch Gnade gerettet, und menschliche Gemeinschaften werden durch Gnade gerettet. Lernen, Gnade zu gewähren, ist das Einzige, was ich weiss, ehrlich.»

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Datum: 10.11.2020
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Christianity Today

Kommentare

Ich glaube, dieser Trend hat mit der fortschreitenden Entchristlichung der Gesellschaft zu tun, die allg. zu mehr Polarisierung führt, weil die gemeinsame Wertebasis immer kleiner wird. Wenn nun linke Christen, die sowieso eher zur Bibelkritik neigen, gewisse Entwicklungen der Gesellschaft übernehmen (Ehe für alle, Genderismus u.a.), wird die Distanz zu den Konservativen noch grösser, u. Spaltungen bzw. Neugründungen sind dann nicht mehr weit. Die Treiber sind nicht blosse politische Meinungsverschiedenheiten, sondern tiefgreifende Differenzen bezügl. Gott, Bibel, Gemeinde, Lebensrecht usw. Die Trennlinien verliefen bisher entlang von Kirchen(-Verbänden), jetzt auch durch einzelne Gemeinden.
Diese politisch polarisierten Gemeinden könnten von Jesus und seinen Jünger einiges lernen: Zur Zeit Jesu befand sich die jüdische Gesellschaft in einer starken politischen Zerreissprobe, wohl noch extremer als heute in den USA. Die Jünger Jesu bildeten dabei aber keineswegs eine Kuschelgruppe von Gleichgesinnten – sie kamen aus den verschiedensten Gruppierungen, die sich in der Gesellschaft spinnefeind gegenüberstanden. Heute würde man für sie wohl Begriffe wie „linke Widerstandskämpfer“ bis „religiöse Rechte“ gebrauchen. Da wurde wohl auch viel diskutiert und gestritten! Sie alle hatten aber das grosse Ziel, ihrem „Rabbi Jeshua“ nachzufolgen, und darin waren sie eine starke Einheit!

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