Eine Frage der Perspektive

Denk mal wie Jesus statt Denkmal für Jesus

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Wer Motorrad fährt, der weiss, wie entscheidend die Blickführung ist: Ich fahre nämlich genau dahin, wohin ich schaue. Paulus ist kein Motorradfahrer. Trotzdem lenkt er unseren Blick auf Jesus. Damit wir ihn sehen, wie er ist, und denken wie er. Denn wer denkt wie Jesus, der macht kein Denkmal aus ihm.

Das erste Denkmal, an das ich mich erinnere, ist der Bismarck in der Nähe der Hamburger Landungsbrücken. Mit 3 oder 4 Jahren stand ich davor und staunte, wie gross es ist. Später war ich in Bremen und stand vor den Bremer Stadtmusikanten und wunderte mich, wie klein sie sind.

Bezeichnenderweise setzt die Bibel Jesus kein Denkmal, weder ein grosses noch ein kleines. Sie stellt dafür immer wieder lebendige Eindrücke in den Mittelpunkt, ein «Denk-mal-wie-Jesus». Genau das tut Paulus im Philipperbrief, im sogenannten Christus-Hymnus. Da unterstreicht er zunächst einmal: «Geht so miteinander um, wie Christus es euch vorgelebt hat» (Vers 5). Dann folgen allerdings keine Verhaltensregeln, sondern sieben Aussagen über Jesus, die helfen, uns an ihm zu orientieren, über ihn und über uns selbst nachzudenken.

1. Jesus klammert nicht

«Obwohl er Gott war, bestand er nicht auf seinen göttlichen Rechten.» (Vers 6)

Für uns geht es schon als Säuglinge los. In unseren ersten Lebenswochen haben wir alle den «palmaren Greifreflex» – beim Streichen über die Handinnenseite bilden wir automatisch eine Faust und klammern die Hand zu. Dieser Reflex verliert sich später, doch auch ohne Greifreflex gehört Klammern zur menschlichen Natur: Wir nehmen, was wir kriegen können. Und wir halten fest, was wir haben. Das ist völlig normal. In diesem Sinne völlig unnormal ist die Anti-Karriere von Jesus. Er hält das nicht fest, was er sicher hat – und das ist immerhin himmlische Herrlichkeit – und tauscht es gegen den rechtsfreien Raum dieser Welt ein. Warum? Weil er uns im Blick hat. Weil er sieht, wie sehr wir Menschen ihn brauchen, lässt er alles los, um zu uns zu kommen, um einer von uns zu sein. Jesus klammert nicht.

2. Jesus gibt auf

«Er verzichtete auf alles…» (Vers 7)

Etwas nicht festzuhalten ist das eine, es wirklich aufzugeben ist noch etwas anderes. Beim Verzicht von Jesus stelle ich mir manchmal die Anzeige auf einer Immobilienseite vor, Rubrik Wohnungstausch: «Biete Luxusvilla mit allem Komfort in schönster Lage, suche Stall oder Bretterbude in Krisenregion, auch Kriegsschauplatz angenehm.» Das klingt verrückt? Ja, aber genau hier wird es praktisch. Manche Arbeit funktioniert aus der Distanz. Ein Kranführer muss seine Lasten nicht selber tragen. Er muss nicht einmal auf den Kran steigen, er kann auch die Fernbedienung nehmen. Manche Arbeit kann man delegieren. Jeder Abteilungsleiter und Vorgesetzte weiss, dass man nicht nur arbeiten kann, man kann auch arbeiten lassen. Doch offensichtlich funktioniert Erlösung nicht per Fernbedienung. Sie lässt sich auch nicht delegieren. Erlösung ist Drecksarbeit. Und Jesus macht sie trotzdem zur Chefsache und verzichtet auf alles, was ihm zusteht.

3. Jesus dient

«Er verzichtete auf alles; er nahm die niedrige Stellung eines Dieners an…» (Vers 7)

Jede weitere Beschreibung bei Paulus ist nur eine Ergänzung der vorherigen. Er wird immer konkreter, praktischer und steigt dabei immer tiefer hinab. Jesus macht sich zum Diener, zum Sklaven. Das Krasse daran wird deutlich, wenn wir einmal auf eine typische Gemeindesituation heute umblenden. Oft lässt sie sich mit einem Wort zusammenfassen: Mitarbeitermangel. Und bei der Suche nach potenziellen Mitarbeitern ist eine sehr typische Reaktion: «Okay, ich mache mit. Aber nur auf Zeit und nur, wenn ich nicht die Verantwortung übernehmen muss. Ich will einfach mit dabei sein. Mehr kann ich nicht. Und ein paar Bedingungen habe ich auch.» Wie hat Jesus das gemacht? «Okay, dann werde ich eben Mensch. Aber wenn, dann wenigstens stilvoll. Krone, roter Teppich und alles, was so dazugehört. Zeitlich will ich mich nicht überlasten und Verantwortung möchte ich nur übernehmen, wenn es so eine Art Leitungsteam gibt. Alleine jedenfalls nicht…»

Nein! Jesus macht keinen Betriebsausflug zu seinen Menschen. Er kommt nicht inkognito und verkleidet sich dabei kurzzeitig als Diener wie der sagenhafte Kalif Harun al Raschid aus 1001 Nacht. Jesus wird ganz zum Diener – so sehr, dass es seinen Jüngern manchmal schon peinlich wird, wie bei der Fusswaschung (Johannes, Kapitel 13, Verse 1-17). Dienen ist nicht Teil seines Programmes, es ist sein Programm: «Selbst der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um anderen zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele Menschen hinzugeben» (Markus, Kapitel 10, Vers 45).

4. Jesus wird einer von uns – ganz Mensch

«Er verzichtete auf alles; er nahm die niedrige Stellung eines Dieners an und wurde als Mensch geboren…» (Vers 7)

Auf den ersten Blick ist die Geburt von Jesus normal bis banal: Er wird geboren wie Millionen Flüchtlinge auch. Er trägt einen Allerweltsnamen (damals hiessen viele Jungen Jesus). Und seine besonderen Erkennungszeichen sind… Windeln (Lukas, Kapitel 2, Vers 12)! Doch dieses Normale ist wirklich besonders. Ich hatte keine Wahl. Niemand hat mich gefragt, ob ich als Mensch zur Welt kommen wollte. Doch Jesus ist Mensch, weil er Mensch sein will. Ein T-Shirt-Spruch bringt es folgendermassen auf den Punkt: «Viele Menschen wollten Gott sein, doch nur ein Gott wollte Mensch sein: Jesus Christus!»

5. Jesus lebt menschlich

«Er verzichtete auf alles; er nahm die niedrige Stellung eines Dieners an und wurde als Mensch geboren und als solcher erkannt.» (Vers 7)

Jesus spielt sein Menschsein nicht – er ist Mensch. Und seine Gottheit wird genau daran deutlich. Niemand sagt: «Schau, wie heilig er ist, wie er über die Strasse schwebt, wie er arbeitet, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Das muss Gott sein…» Stattdessen ist Jesus mit allen Konsequenzen Mensch. Ohne Hintertürchen. «Inkarnation» nennen das die Theologen, Fleischwerdung. Ich finde es spannend, dass wir uns als Christen so oft bemühen, durch «abgehobene» Aktionen geistliches Leben auf die Erde zu bringen. Jesus setzt diese geistlichen Akzente spielend, allerdings indem er als Mensch unter Menschen lebt.

6. Jesus stirbt unmenschlich

«Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tod, indem er wie ein Verbrecher am Kreuz starb.» (Vers 8)

Die Abstiegsgeschichte ist noch nicht zu Ende. Denn Jesus ist Mensch bis in die letzte Konsequenz hinein: Er stirbt. Das ist kein Fehler im System, kein grausamer Irrtum, kein Zufall oder Schicksal. Und typisch für Gott ist, dass dieses unmenschliche Ende in Wirklichkeit zu einem Neuanfang wird. Jesus zeigt uns durch sein ganzes Leben, dass er uns liebt. Und er unterstreicht noch vom Kreuz her: «Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat» (Johannes, Kapitel 3, Vers 16). Was für eine Liebe!

7. Jesus ist Herr

«Deshalb hat Gott ihn in den Himmel gehoben und ihm einen Namen gegeben, der höher ist als alle anderen Namen. Vor diesem Namen sollen sich die Knie aller beugen, die im Himmel und auf der Erde und unter der Erde sind. Und zur Ehre Gottes, des Vaters, werden alle bekennen, dass Jesus Christus Herr ist.» (Vers 9-11)

All die Stufen, die wir mit Jesus abwärtsgegangen sind, tun seiner Göttlichkeit keinen Abbruch. Und jetzt, wo es aufwärts geht, hört die Menschlichkeit von Jesus nicht auf. Bisher hat Paulus betont, dass Jesus selbst handelt, sich aktiv für seinen Weg entscheidet. Jetzt wird er behandelt. Gott erhebt ihn: Sein Allerweltsname wird zum Namen über allen Namen. Jesus – Gott rettet – ist nun sein erfülltes Programm, seine vollendete Arbeit. Doch immer noch ist die Darstellung von Jesus alles andere als ein Denkmal: In der Verbindung von Niedrigkeit und Grösse, im Zusammenwirken von Mensch- und Gottsein kann ich einen Blick in Jesus' Herz tun. Ich sehe, wie er ist. Wie er denkt. Wie er lebt und liebt. Und ich fange an zu verstehen, was Paulus meint, wenn er in Vers 5 sagt: «Geht so miteinander um, wie Christus es euch vorgelebt hat».

Denk mal wie Jesus!

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Datum: 11.06.2016
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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