Nach Massaker 2015
Kirche in Charleston für Nobelpreis nominiert
Die Emanuel-Gemeinde in Charleston/USA, in der ein junger Mann im Juni 2015 neun Gemeindemitglieder während des Gottesdienstes erschoss, ist für den Friedensnobelpreis 2016 nominiert worden. «Eine phänomenale Ehre», sagt Kirchenhistorikerin Liz Alston.
Erst zum Ende sei der junge Weisse aufgestanden, habe eine Waffe gezückt und zu schiessen begonnen, sagte Sylvia Johnson, eine Cousine Pinckneys, die das Massaker überlebte, später dem TV-Sender NBC. «Ich muss es tun», habe er gesagt, während er seine Waffe fünfmal hintereinander neu geladen habe. «Ihr vergewaltigt unsere Frauen und ergreift die Macht in unserem Land – und ihr müsst weg.» Neun Gemeindeglieder, darunter Pastor Pinckney, blieben tot zurück.
Der Mord löste als eine der schrecklichsten rassistisch motivierten Taten der USA starke Proteste aus. Aber anders als nach dem Tod eines afroamerikanischen jungen Mannes in Ferguson ein paar Wochen vorher blieb es in Charleston selbst verhältnismässig ruhig. Sicher auch deshalb, weil der Täter schnell gefasst und vor Gericht gestellt wurde.
Praktizierte Vergebung
Angehörige der neun Mordopfer des Massakers suchten bald nach der Tat die Öffentlichkeit und sprachen dem Täter ihre Vergebung zu. Nach richterlicher Sondererlaubnis durften sie dies auch im Rahmen einer Anhörung des 21-Jährigen wiederholen. So sagte Anthony Thompson, der bei dem Massaker seine Frau verlor: «Ich vergebe dir und meine Familie vergibt dir. Aber wir wünschen dir, dass du diese Gelegenheit nutzt, um Busse zu tun und zu bekennen. Gib dein Leben dem, der am wichtigsten ist – Christus.» Nadine Collier, die ihre Mutter Ethel Lance verloren hatte, drückte es so aus: «Ich werde sie nie wieder in meinen Armen halten können, aber ich vergebe dir. Gott sei deiner Seele gnädig. Du hast mich verletzt. Du hast eine Menge Leute verletzt. Aber Gott vergibt dir, und ich vergebe dir.»
«Das hätte ganz andere Folgen haben können»
«Ein Ereignis von solchem Terror und Rassenhass hätte einen Ausbruch von Wut und Gewalt in der Stadt zur Folge haben können, wie es in anderen Städten bei ähnlichen Anlässen der Fall war», sagte der Abgeordnete G.K. Butterfield, Vorsitzender des «Congressional Black Caucus», der Vereinigung schwarzer Kongressabgeordneter in den USA. «Aber hier geschah etwas anderes. Die Reaktion der Öffentlichkeit war nicht Zorn, Rache oder Gewalt, sondern christliche Vergebung, Einheit und Frieden, ausgelöst durch die Gemeinde und die Familien der neun Getöteten.»
Traditions-Kirche
Die Kirche, in Charleston nur «Mother Emanuel» genannt, ist die älteste afro-amerikanische Kirche in den Südstaaten der USA und ein Mittelpunkt des Widerstandes gegen die Rassenunterdrückung. 1816 als erste unabhängige schwarze Gemeinde Amerikas gegründet, war sie lange ein Treffpunkt für ehemalige Sklaven. Sie wurde im 19. Jahrhundert niedergebrannt und wieder aufgebaut. Martin Luther King predigte 1962 von ihrer Kanzel, und seine Witwe Coretta King führte 1969 eine Demonstration an, die auf ihren Stufen begann. «'Mutter Emanuel' ist mehr als eine Kirche», sagte Präsident Obama nach dem Anschlag bei einem emotionalen Auftritt im Weissen Haus. «Sie ist ein heiliger Ort in der Geschichte von Charleston und in der Geschichte Amerikas.»
Für Friedensnobelpreis nominiert
Inspiriert durch die Reaktion der Emanuel-Gemeinde hat nun eine Gruppe von Politikern aus dem Grossraum Chicago die Methodistenkirche offiziell für den Friedensnobelpreis nominiert. Weitere Politiker und Kongressabgeordnete sowie der «Congressional Black Caucus» schlossen sich der Nominierung an. «Die Tatsache, dass diese Kirche nun im gleichen Atemzug mit Mahatma Gandhi oder Martin Luther King jr. genannt wird, ist eine riesige Ehre. Und es ist noch nie in der Geschichte unsrer Stadt vorgekommen, dass eine Kirche so zum Frieden in der Welt beigetragen hat», kommentierte Liz Alston, Kirchenhistorikerin und Mit-Initiantin der Nomination.
Unter den weiteren Personen, die dieses Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert sind, ist auch Papst Franziskus. Eine Gruppe von Wissenschaftlern fordert, den Preis an die Bewohner der griechischen Ägäisinseln für ihren Einsatz in der Flüchtliglingskrise zu verleihen, während Wladimir Putin gerne Sepp Blatter mit dem Preis belohnt sähe.
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet