Gesunder Umgang mit Gefühlen
«Gefühle brauchen frische Luft»
Mit ihrem Buch fordert die Psychotherapeutin Angelika Heinen auf, auch verpönte Gefühle wie Ärger, Angst und Traurigkeit anzunehmen. Sie hätten einen Hintergrund und seien Hinweise auf Themen, die es sich lohnt, anzuschauen.
Angelika Heinen arbeitet als Psychotherapeutin in einer Gemeinschaftspraxis. Die Single-Frau ist gerne in den Bergen unterwegs, mag Musik und Schauspielerei und gehört zu einer Freien evangelischen Gemeinde im Rheinland. Auf ihrem bisherigen Lebens- und Glaubensweg hat die 40-Jährige schon die verschiedensten christlichen «Landschaften» kennengelernt: katholische, evangelische und verschiedene Freikirchen.
Eines sei ihr dabei aufgefallen, schreibt sie in ihrem Buch «Gefühle brauchen frische Luft»: Überall traf sie Menschen, die seit ihrer Hinwendung zu Jesus scheinbar nur noch Schönes, Positives erlebten. «Ich hörte sie niemals klagen – sie hatten Grund zu Freude und Dankbarkeit und zitierten oft Bibelverse wie 'Seid nicht bekümmert – die Freude am Herrn ist eure Stärke' aus Nehemia, Kapitel 8, Vers 10.» Sie könne dies jedoch nicht auf Knopfdruck. Manchmal könne sie nicht von Herzen mitsingen, wenn Gott vor der Predigt gelobt werde. Und sie ist überzeugt, dass Christen auch negative Empfindungen haben und ausdrücken dürfen. Denn alle seien es wert, beachtet zu werden.
Sei nicht traurig
Auf den Tod ihrer geliebten Grossmutter habe eine Kollegin so reagiert: «Ach sei nicht traurig! Jetzt ist sie im Himmel – da ist es viel lustiger!» Heinen empfand diese Bemerkung nicht als tröstlich, sondern wie einen Schlag. Darf meine Trauer nicht sein, fragte sie sich? Im Buch beschreibt sie etwas anderes: Unangenehme Gefühle oder Schmerzen müssen nicht ausgeblendet werden. Es gelte, sie zu akzeptieren, bereit zu sein, sie zu empfinden und als Teil des Lebens anzunehmen.
Dieses Ziel verfolgt die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Akzeptanz bedeute nicht Resignation, sondern ein Doppelpunkt: «Ich akzeptiere schwierige Gefühle, Gedanken und Erfahrungen, damit ich meine Aufmerksamkeit und Energie wieder frei zur Verfügung habe für das, was mir wirklich wichtig und wertvoll ist.»
Das beobachtende «Ich»
Angelika Heinen erzählt sehr ehrlich von eigenen Erlebnissen und Enttäuschungen. Und betont, dass eine Persönlichkeit die gleiche bleibt, auch wenn sie verschiedene Gefühle durchlebt. «Sie haben Bedürfnisse, Stimmungen, Launen und Interessen – aber das ist nicht, was Sie sind.» Gefühle haben immer eine Ursache, schreibt sie. Im Fall von Ärger lohne es sich zu fragen: «Wovon ist bei mir das Mass voll? Was kann und will ich nicht mehr akzeptieren? Welche Grenze wurde überschritten?» Sich neugierig mit dem Hintergrund der Gefühle auseinanderzusetzen, könne dazu führen, dass man sie wertschätzen und sich beim Schöpfer für den Hinweis auf die Ursache bedanken könne. «Wer einmal während einer schweren Depression innerlich tot war, ist nachher für jede Gefühlsregung dankbar», führt sie aus.
Achtsam mit sich selber umgehen
Die Autorin nennt viele praktische Beispiele von sich und aus ihrem Umfeld. Und sie gibt im Buch Tipps, wie man lernen kann, achtsamer mit der eigenen Gefühlswelt umzugehen. So beschreibt sie detailliert die Reaktion auf einen ungeliebten Zahnarztbesuch. Schritt für Schritt zeigt sie auf, welche Gedanken und Gefühle sich daraus entwickeln und wie man angemessen darauf reagieren kann.
Sie fordert dazu auf, nicht allein zu bleiben im Auf und Ab der Gefühle. Denn Gott habe Menschen damit ausgestattet. Er kenne sich aus und sei gerne bereit, uns im Umgang damit beizustehen. «Jesus hat uns gezeigt, wie wir gesund mit Gefühlen – den eigenen oder denen anderer – umgehen können: durch willkommen heissen, annehmen, wertschätzen (validieren) und das Aufzeigen neuer Perspektiven.»
Zum Schluss …
Das Buch zeigt auf, wie befreiend es ist, vor sich selbst und vor Gott schonungslos ehrlich zu sein und ihm ohne Schminke und Verkleidung zu begegnen. Die Autorin schreibt: «Ich wünsche mir, dass wir in unseren Familien, Freundeskreisen, Kleingruppen und Gemeinden genau so frei und offen über akute Krisen und emotionale Unwetter sprechen können wie über Gebetserhörungen, Dankbarkeit und überwundene Herausforderungen.» Also: Fenster und Türen des Herzens aufmachen und Gefühle rauslassen – an die frische Luft!
Zum Buch:
Gefühle brauchen frische Luft
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Quelle: Livenet