Im dunklen Tal
«Die Angst wütet – aber wir brauchen sie nicht zu akzeptieren»
Tamlyn Trefz durchlebte viele Täler – eine schlimme Magersucht als Teenagerin und heftige Angstattacken als junge Mutter. Heute macht sie anderen Frauen Mut. «Du bist nicht dazu bestimmt, den Alptraum der Angst allein zu tragen.»
Tamlyn Trefz wuchs als Tochter einer Krankenschwester und eines Immobilienspezialisten in Kapstadt, Südafrika auf. Sie erlebte eine schöne Kindheit in einer liebevollen, stabilen Familie.«Mit 15, an Weihnachten, als ich gerade bei meinen Cousins in Durban war, betrat ich innerlich eine dunkle Welt. Nach einem Tag mit köstlichem Essen und Dessert machte jemand ein Foto von mir und meinen Cousins. Ich hatte ein bisschen 'Welpenfett'.»
Heute sehe sie auf diesem Foto eine lebensfrohe, junge Frau. «Aber ich erinnere mich, dass ich damals ins Badezimmer ging. Als ich vor dem Spiegel stand, fand ich, dass ich dick bin und nicht schlank wie die anderen Mädchen, die ich kannte.»
«Meine Figur verzehrte mich»
Sie fühlte sich inakzeptabel. «Ich fing an, 'gesünder' zu essen, was in Wirklichkeit bedeutete, weniger zu essen. Und zu viel Sport: Kickboxen und Tanzen zusätzlich zum Schulsport. Meine Figur verzehrte mich.» Jeder Gedanke, jede Handlung drehte sich einzig um ihr Aussehen.
Auch ohne Brechsucht fiel das Gewicht langsam von ihr ab und über einen Zeitraum von einem Jahr war sie völlig abgemagert. «Je mehr Leute mir sagten, dass ich dünn aussehe, desto mehr 'nährte' mich das.»
Die Menstruation setzte aus, das Haar wurde dünner. «Das Fett, das ich sah, war für alle anderen unsichtbar, jeder Knochen ragte durch meine Haut, aber ich sah einfach nur Fett.»
Die Wahrheit sagen
Einmal brach sie geschwächt zusammen. In einer Dokumentation über ein Mädchen mit einer Essstörung erkannte sie sich selbst wieder. «Ich fing wieder an zu essen, nahm aber schnell an Gewicht zu, weil mein Körper so ausgehungert war.»
Eines Tages fühlte sie ein Flüstern in ihrem Herzen: «Du musst deiner Mutter die ganze Wahrheit sagen.» Dies war ein entscheidender Moment: «Es gibt ein Sprichwort in der Bibel: 'Die Wahrheit wird dich befreien.'»
In diesem Moment begann ihre Heilung und sie fand innere Freiheit. «Ich ermutige alle, die mit einer Essstörung kämpfen, jemandem die Wahrheit zu sagen. Das Coronavirus hat den Fokus auf die psychische Gesundheit eröffnet und ich hoffe, dass es ein nachhaltiges Bewusstsein für Angst, Depressionen und Essstörungen geben wird.»
Jahre nicht vergeuden
«Wenn die Menschen sich öffnen können, ersparen sie sich viele vergeudete Jahre.» In ihrer christlichen Gemeinde lernte sie Darryn kennen, die beiden verliebten sich und gründeten eine Familie. «Ich machte ein Wirtschaftsdiplom und gründete eine Personalvermittlungsfirma, die ich zwölf Jahre lang leitete.»
Als der erste Sohn Josh zwei Jahre alt war, kam Noah zur Welt. «Bis zur achten Woche war alles gut. Dann trafen mich Panikattacken, ich konnte nicht atmen. Ich hatte das Gefühl, verschluckt zu werden. Mein Hausarzt gab mir Antidepressiva, aber ich gehörte zu dem kleinen Prozentsatz von Menschen, bei denen sie die Dinge verschlimmern.»
Wieder atmen können
«Ich liebte Gott, aber ich fühlte mich so weit von ihm entfernt und dachte, dass er mich vergessen hatte.» Der Hausarzt schickte sie zum Psychiater, der sagte, dass sie nichts hätte tun können, um dies zu verhindern und dass dies manchen Menschen passiert. «Ich werde diesen Moment nie vergessen, denn ich spürte, dass die Last, die ich in diesem Alptraum allein zu tragen hatte, nun geteilt wurde.» Sie hatte das Gefühl, wieder atmen zu können.
Und noch etwas geschah: «Es öffnete mir die Augen für eine Welt, in der ich die Menschen in einem anderen Licht sah, in der eine Reihe von Frauen innerlich langsam sterben.»
Tragende Gebete
Sie erinnert sich an diese schwierige Zeit: «Ich betete ständig zu Gott, las seine lebensspendenden Worte in der Bibel und ich glaube, dass auch er mir half, die Dinge in den Griff zu bekommen und mich auf den richtigen Weg zu bringen.»Zudem baute sie eine Netz von Freunden auf, denen sie vertrauen konnte – später konnte sie für eine Freundin da sein, die das Gleiche durchmachte.
Wegen schwierigen körperlichen Symptomen musste ihre Gebärmutter im Alter von 32 Jahren entfernt werden. An ein weiteres Baby hatte sie ohnehin nicht gedacht. Doch plötzlich fragte Noah immer wieder: «Wann holen wir meine Schwester ab? Ich verstehe nicht, warum wir meine Schwester noch nicht geholt haben!»
Eines Tages fragte Darryn, ob sie bereit für eine Adoption wäre. Rund zwei Jahre später adoptierte das Paar Mila, ein kleines Mädchen, das zuvor im Kinderheim gelebt hatte.
Keine Angst mehr
Tamlyn ist inzwischen zu einer Mutter geworden, die keine Furcht mehr hat. «Ich habe das Gefühl, dass Gott mir wiedergegeben hat, was mir durch die postnatale Depression geraubt wurde. Ich konnte mich an meinem Baby erfreuen, eine Mutter sein, die nicht ängstlich ist. Jedes Kind verdient eine liebevolle Familie.»
Sie habe jetzt eine wachsende Leidenschaft für die Freiheit der Frauen. «Es begeistert mich, wenn Mädchen und Frauen den Wunsch und die Freiheit finden, sich selbst von innen heraus zu lieben. Ich wurde in ein paar örtliche Schulen eingeladen, um über meine Essstörung zu sprechen. Es ist erstaunlich, dass ich vielleicht dazu beitragen kann, einige junge Mädchen davon abzuhalten, die gleichen Fehler zu machen.»
Im vergangenen Jahr richtete sie eine Konferenz aus unter dem Titel «Women of the Valley» (dt. Frauen aus dem Tal). «470 Frauen nahmen teil, was mich umgehauen hat.»
Wunden nutzen
Wichtig sei die Frage: «An welchen Dingen aus der Vergangenheit hältst du fest, die deine Freiheit heute einschränken? Trägst du deine Wunden als Opfer mit dir herum, oder nutzt du sie, um Menschen zu helfen? Ich glaube, es ist an der Zeit, aus Unsicherheiten, die eine negative Rolle in unserem Leben gespielt haben, herauszukommen und sie in positive Dinge zu verwandeln, anstatt zuzulassen, dass sie eine ständige Last oder eine Erinnerung an das Scheitern sind.»
Sie glaube nicht, «dass Gott mir die Prüfungen, die ich durchgemacht habe, aufgelegt hat; ich habe mich dafür entschieden, den Lügen zu glauben. Und doch hat er alles, was mich niedergeschlagen hat, dazu benutzt, dass ich nun anderen Frauen helfen kann, um mit ihnen in Beziehung zu treten.»
«Wir müssen die Angst nicht akzeptieren»
Sie sei zu der Überzeugung gelangt, dass sie, «wenn ich mein Selbstwertgefühl und meine Zufriedenheit in Menschen oder Freunden finde, immer enttäuscht sein werde, das liegt in der menschlichen Natur». «Wenn ich mich so definiere, wie die Bibel mir sagt, dass Gott mich sieht, werde ich nie enttäuscht. Gott liebt uns wie ein Vater seine Kinder liebt und will nur das Beste für uns. Die Angst wütet in verschiedenen Formen um uns herum, aber wir brauchen sie nicht zu akzeptieren.»
Heute müsse sie der Welt nichts mehr beweisen, um gesehen oder gehört zu werden. «Ich spüre, dass Gott mich durch Jesus zuversichtlich gemacht hat und ich weiss, wer ich bin. Ich werde nicht mehr durch das definiert, was ich über mich dachte oder fühlte.»
Weiter erklärt Tamlyn: «Du bist nicht dazu bestimmt, den Alptraum der Angst allein zu tragen. Ich möchte 60, 70, 80 oder sogar 90 Jahre werden und wünsche, dass Gott mich dann immer noch gebraucht. Ich möchte nicht, dass irgendeine Frau von ihrer Vergangenheit abgeschreckt wird oder Angst vor ihrer Zukunft hat. Der grosse Autor des Lebens ist immer noch damit beschäftigt, unsere Geschichten zu schreiben, solange wir es zulassen!»
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Autor: Katy Macdonald / Daniel Gerber
Quelle: Thislife Online / gekürzte Übersetzung: Jesus.ch