Fussballpionier in Kambodscha
«Ich habe das Leben noch einmal geschenkt bekommen»
Als unbekannter Hobbykicker aus dem Thurgau bleibt Sam Schweingruber in Kambodscha hängen und wird dort zu einer prägenden Fussballfigur des Landes. Was mit Strassenkindern startet, endet mit dem zweiten Meisterschaftssieg und einem Mordversuch.
Kambodscha ist eines der ärmsten Länder der Welt, worunter vor allem die Kinder leiden. Der Kampf ums Überleben der Familien ist so gross, dass viele Mädchen nach Thailand geschickt werden, um dort Geld zu verdienen. Die meisten landen jedoch nach wenigen Tagen als Beute eines Menschenhändlers in einem Bordell von Bangkok. Ihre Kultur lehrt die Mädchen, dass sie keinen Wert haben. Daher bleiben sie oft freiwillig in Thailand und lassen sich ausnutzen. Weil die Armut so gross ist, akzeptieren auch die Eltern, die ihre Töchter meist aus den Augen verlieren, dieses Schicksal.
«Die Kinder wollten mit mir Fussball spielen»
Mit 23 Jahren reiste Sam Schweingruber nach Indien und ging von dort aus weiter nach Kambodscha. «Die Kinder dort wollten mit mir Fussball spielen», berichtet er im Talkformat «Fenster zum Sonntag». Das habe ihn fasziniert und sei auch der Auslöser dafür gewesen, dass er bleiben wollte. Durch das Spielen mit den Kindern kam er in Kontakt mit einer Fussballmannschaft der höchsten Liga, bei der er schon bald einen Vertrag unterschreiben konnte.
SALT Academy
Das erste Mal, dass Sam Schweingruber mit dem Schicksal der Kinder in Kambodscha konfrontiert wurde, war, als ein kleiner Junge seinen Helm klaute. Er konnte ihn einholen und merkte schnell, dass dieser von Drogen beeinflusst war. «Dadurch habe ich gemerkt, wie viele dieser Kinder mit Drogen zu tun oder kein Zuhause haben. Statt den Jungen zu verprügeln, überlegte ich, was man tun könnte, damit diese Kinder die Chance auf ein richtiges Leben bekommen», erzählt er Ruedi Josuran im SRF. Schliesslich kam er zum Schluss, dass er als Lehrer und Fussballtrainer tatsächlich etwas für diese Kinder tun könne und so fing er an, am Strassenrand mit den Kindern Fussball zu spielen.
Sam Schweingruber gründet daraufhin seine eigene Fussballschule, die «SALT Academy». Er baut die ersten Nachwuchsstrukturen in Kambodscha auf und lanciert den Frauenfussball. Dabei habe ihm sein Wissen über Struktur und Aufbau aus der Schweiz und sein Herz für die Kinder geholfen und ihn motiviert.
«Frauen sollen kein Fussball spielen»
Gerade beim Frauenfussball musste sich Sam Schweingruber gegen viel Kritik behaupten. «Frauen sollen kein Fussball spielen und Spass haben, sondern zuhause bleiben und arbeiten», war die Devise. Dies habe auch mit der Hautfarbe zu tun, da weissere Mädchen sich besser 'verkaufen' lassen als Gebräunte. «Deswegen habe ich mich dann dazu verpflichtet, im nächsten Jahr keinen einzigen Jungen mehr zu trainieren, sondern nur noch Mädchen.» Und es funktionierte.
Das Zeugnis von Nipha Chheun, einer ehemaligen Spielerin von Sam Schweingruber, beweist, wie wertvoll sein Einsatz in Kambodscha war. «Ich war schüchtern und verschlossen, aber heute bin ich das komplette Gegenteil. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich begann erstmals Träume zu haben, denn davor konnte ich nur daran denken, Geld für meine Familie zu verdienen.» Heute hat Nipha Chheun ein A-Diplom und ist die am besten ausgebildete Trainerin in Kambodscha, wodurch sie ein gutes Gehalt bekommt und auch ihre Familie unterstützen kann, ohne Sklavin zu sein.
Korruption und die Wettmafia
«Ich wusste von Anfang an, dass es Korruption gibt. Damit wollte ich aber nichts zu tun haben.» 2012 war Sam Schweingruber dann als Headcoach der höchsten Liga mit seiner Mannschaft auf gutem Weg, die Meisterschaft zu gewinnen. «Wegen Korruption haben wir dann das Halbfinale verloren», berichtet Sam Schweingruber. «Der Torwart bekam Geld dafür, Bälle extra nicht zu halten. Ich habe schon während des Spiels gemerkt, dass etwas nicht stimmen konnte. Das ganze Jahr hatte ich als Trainer auf diese Meisterschaft hingearbeitet und dann haben wir nur wegen diesem Torwart verloren.» Er merkte schnell, dass er noch so viel arbeiten könne, durch Korruption würde ihm alles wieder weggenommen werden. Tatsächlich startete sein Bericht über diese Ungerechtigkeit eine Untersuchung, später mischte er sich ebenfalls in die Wettmanipulation ein. «Ich meinte wirklich, ich könnte die Wettmafia bekämpfen.»
Er wollte auch mit korrupten Spielern nichts mehr zu tun haben, was zu einem Massenrauswurf aus seiner Mannschaft führte. Dadurch trat er ohne wirkliche Gewinnchancen bei der nächsten Meisterschaft an, doch das Wunder geschah und sie gewannen zum zweiten Mal den Meistertitel. Schon davor wurde ihm gedroht, dass er beseitigt werden müsse.
Der Mordversuch
Nach der Meisterfeier fuhr Sam Schweingruber auf seinem Töff nach Hause. Er kam aber nie an. Einige Stunden später wurde er vom Krankenwagen leblos aufgefunden. Was genau passiert ist, ist bis heute unklar. Er lag sieben Wochen im Koma und musste danach einiges, beispielsweise das Laufen, neu lernen. «Aber ich habe es überlebt. Der Chefarzt in Thailand sagte, er sei zwar Buddhist und glaube nicht an Gott, jedoch könne es nur das Werk Gottes oder eines Engels gewesen sein, dass ich überlebt habe.» Er habe viele Einschläge auf den Kopf bekommen, wodurch vermutet wurde, dass es sich nicht um einen Unfall handelte.
Danach änderte sich einiges für Sam Schweingruber. «Ich habe das Leben noch einmal von Gott geschenkt bekommen.» Dies erfülle ihn teils mit Dankbarkeit, aber auch mit Tatendrang seine neue Chance nutzen zu wollen. «Mit dem Überleben dieses Unfalls begann für mich ein Prozess, wieder näher zu Jesus zu kommen.» Schon als Jugendlicher habe er sich für Gott entschieden, jedoch verlor sein Glaube mit der Zeit an Stellenwert. Nun verbringe er viel Zeit im Gebet und mit Bibellesen und wolle Jesus wieder ins Zentrum seines Lebens stellen. Dies leite ihn und gebe ihm Freude und Zufriedenheit, die viel tiefer gehen als die drei Punkte, welche man für ein gewonnenes Fussballspiel bekommt.
Seit drei Jahren lebt Sam Schweingruber wieder in der Schweiz und ist als Jugendarbeiter in der Ref. Kirche Wängi tätig. Das Kapitel Kambodscha ist für ihn trotzdem nicht abgeschlossen. Falls sich eine Möglichkeit ergibt, würde er gerne zurückkehren.
Sehen Sie sich hier den ganzen «Fenster zum Sonntag» Beitrag an:
Zur Webseite:
Sendung «Fenster zum Sonntag» mit Sam Schweingruber
SALT Academy Cambodia
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Autor: Hanna Krückels
Quelle: Livenet / Fenster zum Sonntag