Mehr als Lieder

Reformierter Chor bei Täufern in Nordamerika

Im April hat ein Zürcher Oberländer Kirchenchor Täufergebiete in den USA und Kanada bereist und Schweizer Lieder in die Mitte der Gemeinden gelegt. Eine Première, die Einheimische mit helvetischen Wurzeln tief bewegte und als Brückenschlag empfunden wurde.

Der reformierte Singkreis Bäretswil-Bauma besuchte mit 43 Sängern und 8 Instrumentalisten vom 16. bis 30. April Pennsylvania, Ohio und Ontario, wo weit über 100'000 Täufer leben, deren Vorfahren nach der Reformation verfolgt wurden. Infolge der Schritte zur Versöhnung, die die Stiftung Schleife und die Zürcher Landeskirche 2003/2004 taten, entstanden freundschaftliche Beziehungen, die nun die Tournee ermöglichten.

OK des Himmels

Dass der Himmel sie drüben wollte, empfanden die Oberländer gleich zu Beginn: Sie sassen im letzten Flugzeug, das am 16. April, der Aschenwolke ausweichend, in Kloten Richtung USA abhob. Die ersten Konzerte gab der Chor in den täuferischen Siedlungsgebieten Franconia nördlich von Philadelphia und in Lancaster County, wo heuer 300 Jahre mennonitischer Besiedlung gefeiert werden. Von Pennsylvania fuhr der Car nach Ohio, wo in einem Gebiet 40‘000 Amische und 15‘000 Mennoniten leben, und weiter in die Gegend bei Kitchener in Ontario. (Am Steuer war Lloyd Kauffman, der 2005 und 2007 mit seinem Chor Bäretswil besuchte hatte.)

Schweizer Erbe - in Wort und Musik

«Juchzed und singed» von Peter Roth, «Luegid vo Bärgen und Tal», der Schweizerpsalm und Stücke der dazu komponierten Wettinger Messe sowie das Appenzeller Landsgemeindelied bildeten den Kern des Programms, das der Singkreis unter Leitung von Markus Stucki in sechs grossen Mennonitenkirchen und bei weiteren Begegnungen zu Gehör brachte. Dazwischen wurde in Bemerkungen zur Schweizer Geschichte auch vermittelt, was Reformierte und Täufer trennt - und wie die Kirche Zwinglis sich Jahrhunderte nach der Verfolgung, nach Verachtung und Kälte um brüderliche Beziehungen zu den Täufern bemüht.

Ja zur Gemeinschaft

Die Worte, die der Zürcher Kirchenratspräsident Ruedi Reich am Begegnungstag im Juni 2004 im Grossmünster ausgesprochen hatte («...die damalige Verfolgung nach unserer heutigen Überzeugung ein Verrat am Evangelium... Es ist an der Zeit, die Geschichte der Täuferbewegung als Teil unserer eigenen Geschichte zu akzeptieren...») gingen den Anwesenden zu Herzen. Der Mennoniten-Bischof Kenneth Martin bat in der Weaverlandgemeinde die Besucher, den Versöhnungswunsch der Gäste anzuerkennen und dies mit Aufstehen zu bezeugen.

Heimatgefühle

Die volkstümlichen Melodien von Peter Roth, die Worte der Versöhnung und des Vertrauens in den Liedtexten und der Aufruf zum Gebet zum Allmächtigen in der Nationalhymne liessen namentlich bei älteren Besuchern mit deutscher Muttersprache (Pennsylvania Dutch) urtümliche Heimatgefühle hochkommen. Ein Amischer (der selbst keinen Flug unternehmen darf) äusserte nach dem Konzert den Wunsch, die Schweizer möchten ihn in einen Koffer packen und in ihr Land mitnehmen!

Familiengeschichten

Der Singkreis brachte Bilder aus dem Zürcher Oberland mit, auch von der Bäretswiler Täuferhöhle, die von den meisten Mennonitengruppen aus Übersee aufgesucht wird. «Es war wunderbar, von der Gegend zu hören und Bilder zu sehen und sich vorzustellen, dass unsere Vorväter dort gelebt, gearbeitet und sich zum Gottesdienst versammelt haben», sagte David Groff, dessen Familie (Graf) aus Bäretswil stammt, nach einem der Konzerte. In Ohio reiste die Autorin Myrna Grove an und schenkte allen Chormitgliedern das Kinderbuch, das den Weg ihrer Vorfahren nach Amerika schildert.

Highlights

Die Reise nach Übersee - die erste Tournee des Singkreises überhaupt - bot touristische Highlights, so Manhattans Strassenschluchten, das Capitol von Harrisburg, wo William Penns christliche Staatsidee ausgemalt ist, und die Niagarafälle. Nicht weniger bereichernd waren die Übernachtungen in den Häusern von Täufern; deren teils eigenartig konservativer Lebensstil gab im Car viel zu reden und zu schmunzeln. Die Partner vor Ort, die die veranstaltenden Gemeinden kontaktierten, organisierten auch kurze Besuche ihrer Informationszentren, auf Bauernhöfen, in einem Versammlungshaus, einer Schule, bei einem Sattler...

Wenn Geschichte wegschmilzt

Der renommierte mennonitische Autor John L. Ruth, der die Schweizer in Franconia einführte und nach Lancaster begleitete, fasst die Abende mit den Worten zusammen, dass «fünf Jahrhunderte getrennter Geschichte wegzuschmelzen schienen». Dazu trug auch die von Ruth erstellte englische Übersetzung der Schweizer Lieder, die allen abgegeben wurde, bei. Lesend und hörend seien die Besucher «hineingezogen worden in den Geist der Versöhnung zwischen Reformierten und Täufern, der in den letzten Jahren verbreitet wurde - ein unerwartetes Geschenk».

Den Amischen nahegekommen

Ein Höhepunkt war der Singabend in einem Saal in Lancaster County, zu dem auch «Horse and Buggy»-Mennoniten und Amische eingeladen waren. Der Verantwortliche wollte nicht riskieren, dass die letzteren mit Instrumenten vor den Kopf gestossen würden. Die Schweizer, wegen dieser Vorbehalte nur mit Alphorn da, sassen vorn im Saal, den Einheimischen zugewandt. Ohne Programm wurden Lieder vorgeschlagen; fürs Singen steckte man einander Liederbücher und -blätter zu. Junge Amische sangen in einer Weise, die die Schweizer noch nie gehört hatten. Als die Anwesenden nach zwei intensiven Stunden des Gesangs miteinander ins Gespräch kamen, wurde noch mehr Alphorn gewünscht...
 
     
 

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Datum: 10.05.2010
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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