Religion und Sport
Ausstellung «Glaube, Liebe, Fussball»
Fussball ist mehr als eine Sportart. Fussball ist für viele eine Religion. Eine Ausstellung in Basel zeigte eindrücklich, wie weit diese Begeisterung gehen kann. Gleichzeitig suchte sie nach den Gründen. Was macht Fussball zur Ersatzreligion?
Vor wenigen Tagen hat die Schweizer Superleague wieder begonnen und die Fussballstadt Basel ist endlich wieder in ihrem Element. Weder eine EM noch eine WM überbrückte in diesem Jahr die leidige Sommerpause. Darum musste sich die Basler Zeitung (BAZ) etwas einfallen lassen, denn eine gänzlich fussballfreie Zeit kann man den Lesern wohl nicht zumuten. Sie brachte also eine mehrteilige Serie mit jeweils ganzen Doppelseiten über den gerade abgetretenen Stürmerstar des FC Basel, Marco Streller.Etwas später liess die Redaktion ihre Leser über die «FCB-Jahrhundert-Elf» abstimmen. Mehrere tausend Zuschriften gingen ein und die Diskussionen, wer nun zu den grössten Spielern in der Geschichte des FCB, den Legenden des Clubs, gehört, wurde mit grossem Eifer geführt.Nirgendwo in der Schweiz ist die Fussballbegeisterung so allgegenwärtig wie in Basel. An jeder Ecke kleben Sticker mit der Zahl «12». Dabei handelt es sich um eine Art Erkennungssymbol für die FCB-Anhänger, ähnlich wie das der Fisch für die frühen Christen war. Die 12 steht für den «12. Mann», eine Bezeichnung für die Fans im Stadion, die ihre elf Idole auf dem Feld anfeuern. Es ist also kein Zufall, dass die eben beendete Ausstellung «Fussball: Glaube, Liebe, Hoffnung» gerade in Basel gezeigt wurde.
Mehr als ein Sport
Doch nicht nur am Rheinknie wird man scheinbar immer verrückter nach Fussball. Für viele Menschen auf der Welt geht es längst um mehr als nur um Sport. Fussball ist Lebensinhalt, Therapie, Sinnstifter, ja sogar Religion. «Gibt es lediglich viele Gemeinsamkeiten zwischen Fussball und Religion? Oder ist dieses weltumspannende Phänomen zu einer globalen Religion geworden?», fragte der einleitende Text der Basler Ausstellung.
Viele der gezeigten Exponate liessen vermuten, dass diese Frage nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Kreuzförmige Aufnäher mit der Aufschrift: «Meine Religion ist der FC Basel» und Rosenkränze aus kleinen Fussbällen sprechen eine deutliche Sprache. Ein Stück des Rasens vom WM-Endspiel 2006 in Berlin, das in Kunstharz verewigt wurde, erinnert stark an eine Reliquie. Offenbar wurde die gesamte Spielfläche damals in solchen kleinen Abschnitten verkauft. Das gleiche gilt für eine ungewaschene Socke des FCB-Kultspielers Massimo Ceccaroni, die ein Junge jahrelang in einer Art Hausaltar aufbewahrt hatte.
Ein Trikot des deutschen Fussballkaisers Franz Beckenbauer zeigt sogar noch original Blut- und Schweissspuren von einem Länderspiel zwischen Deutschland und der Schweiz. Das Turiner Grabtuch ist nichts dagegen. Besonders skurrile Züge kann die Verehrung von Fussballidolen scheinbar in lateinamerikanischen Ländern annehmen. Ein eindrückliches Beispiel ist ein Hausaltar zu Ehren von Diego Maradona, den ein Cafébesitzer errichtete, nachdem er von einem Flugzeugsitz einige Haare des Fussballstars ergattern konnte.
Vergötterung bis in den Tod
Die Leidenschaft für den Sport oder einen Verein geht bei manchem sogar so weit, dass sie auch über den Tod hinaus gezeigt werden soll. Auf Grabsteinen wird statt einem Kreuz ein Fussball eingraviert. Die Ausstellung zeigte sogar eine Urne in Form eines Fussballs und einen Sarg mit aufgedrucktem Vereinswappen. Im fussballverrückten Ruhrgebiet hat der Kult-Club FC Schalke 04 ein eigenes Gräberfeld, auf dem man seine letzte Ruhestätte unter Blumenbeeten in den Vereinsfarben finden kann. Wer hier begraben werden will, für den war Schalke nicht nur ein Hobby, es war Leben, Sinn und Glaube.Wie kommt es, dass ein Spiel, bei dem erwachsene Männer auf einem Rasen einem Ball hinterherlaufen, eine solche Begeisterung wecken kann? Was macht die Faszination dieses Sports aus, die offenbar für viele zur Ersatzreligion wird? Auf diese Fragen suchte die Ausstellung nach Antworten.
Höhere Mächte
Wie das Leben, so ist auch der Sport nicht komplett planbar. Man hat es nicht völlig im Griff, eine letzte Unsicherheit bleibt. Fehlentscheidungen der Schiedsrichter, Verletzungen und Zufälle können über Sieg und Niederlage entscheiden. In den Schlussminuten und in kritischen Situationen sieht man viele Fans plötzlich beten. Dass sich Spieler vor dem Match bekreuzigen ist ein Phänomen, das erstaunlich oft beobachtet werden kann. Glücksbringer sind weit verbreitet.
Gemeinschaft
Die modernen Stadien sind so gebaut, dass sie das Geschehen bestmöglich in Szene setzen. Man spricht von «Kathedralen des Sports». Die Zuschauer sitzen eng beieinander. Es entsteht ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das durch Gesänge und Choreografien noch gefördert wird. Auch besinnliche Momente kommen vor, etwa bei der Verabschiedung von Spielern. Die Begeisterung geht durch alle Gesellschaftsschichten. Fussball verbindet. Der Stadionbesuch ist für den Fan wie ein sonntäglicher Gottesdienst. Er gibt der Woche einen Höhepunkt.Vorbilder
Manche Spieler kennt man seit vielen Jahren. Man hat ihre Entwicklung miterlebt. Besonders hoch im Kurs stehen Spieler, die ihrem Verein treu bleiben. Sie werden gerade für die Jugend zu Identifikationsfiguren, an denen sie sich orientiert.
Symbole
Farben und Symbole erzeugen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Man erkennt sofort, wer dazugehört und wer nicht. Das Bewusstsein für Tradition ist unter Fussballfans stark ausgeprägt.
Normen und Werte
Auf der ganzen Welt wird mit den gleichen Regeln gespielt. Alle wissen wie es geht. Treue hat unter Fussballfans einen hohen Stellenwert. Schönwetterfans sind nicht gerne gesehen. Also solche, die sich in schlechten Zeiten vom Verein abwenden. Für echte Fans ist der Club eine Herzensangelegenheit, durch Höhen wie durch Tiefen.
Diese und sicher viele weitere Aspekte machen den Fussball so attraktiv. Letztlich geht es um Emotionen, um ein Zugehörigkeitsgefühl, einen Grund sich zu freuen und zu hoffen, eine Ablenkung vom tristen Alltag. Das kann man natürlich kritisieren oder belächeln, aber auf der anderen Seite wird deutlich, dass hier zutiefst menschliche Bedürfnisse gestillt werden möchten. In unserer rationalen Gesellschaft bleibt oft kein Platz für Gemeinschaft, Hoffnung, und nicht zuletzt für Glaube. Doch diese Dinge gehören offensichtlich zum Menschsein dazu. Schade nur, dass die Fussballstadien oft bis zum letzten Platz gefüllt sind, während viele Kirchen leer bleiben.
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Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: Idea Spektrum Schweiz