Eins sein

Einheit ist mehr als ein Vorschlag

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Nicht nur wenn politische Wahlen anstehen, werden auch bei Christen gegensätzliche Meinungen sichtbar. So weit, so normal. Doch immer wieder sind diese unterschiedlichen Meinungen Anlass für erbitterten Streit oder resignierte Funkstille. Einheit wäre zwar schön, aber scheinbar ist sie in solchen Situationen nicht so wichtig. Paulus ist hier anderer Meinung…

Einheit ist ein Hauptthema seines Briefs an die Gemeinde in Ephesus. Zwei bis drei Jahre hatte der Apostel in der Grossstadt gearbeitet, mit Arm und Reich, Jung und Alt, Juden- und Heidenchristen. Und genau diesen unterschiedlichen Empfängern gegenüber betont er: «Christus selbst brachte Frieden zwischen den Juden und den Menschen aus allen anderen Völkern, indem er uns zu einem einzigen Volk vereinte…» (Epheserbrief, Kapitel 2, Vers 14). In der zweiten Hälfte des Briefs wird Paulus praktisch. Wie sieht diese Einheit aus? Wie ist sie zu erreichen?

Adel verpflichtet – Berufung zur Einheit

Als ein Gefangener für den Herrn fordere ich euch deshalb auf, ein Leben zu führen, das eurer Berufung würdig ist, denn ihr seid ja von Gott berufen worden (Epheserbrief, Kapitel 4, Vers 1).

Zu Beginn steht je nach Übersetzung, dass Paulus die Epheser bittet oder ermahnt, ermutigt oder beschwört. Das griechische Wort hier beinhaltet die ganze Bandbreite dessen, was zum Motivieren von Menschen dient. Und er fordert sie und uns damit auf, gemäss unserer Berufung zu leben. Adel verpflichtet. Das bedeutet jedoch nicht, dass uns als einfachen Menschen jetzt ein Hofprotokoll auferlegt wird, das uns in unserem Leben, Denken und Handeln erdrückt. Im Gegenteil: Paulus betont, dass wir – und unsere Mitchristen – diese Würde als Menschen und Christen bereits besitzen. Eine Würde, die wir ausleben sollen.

«Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben, Bewahret sie! Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!» (Friedrich Schiller)

Ertragen gefragt – Wege zur Einheit

Seid freundlich und demütig, geduldig im Umgang miteinander. Ertragt einander voller Liebe (Epheserbrief, Kapitel 4, Vers 2).

Multikulti war schon immer anstrengend. Verschiedenheit ist zwar interessant, im gemeinsamen Alltag aber immer auch herausfordernd. Beim Herangehen an diese Unterschiede ist Paulus pragmatisch und geistlich zugleich. Als Basis für ein gelingendes Miteinander nennt der Apostel die Liebe. Aber er behauptet nicht, dass wir nun besondere Gefühle für jeden Einzelnen in unserer Gemeinde entwickeln müssten. Stattdessen erwartet er ein realistisches «ertragt einander». Das ist machbar. Und für den Weg dahin nennt er drei Haltungen:

  • Freundlichkeit ist das Lächeln, wenn wir anderen (auch Andersdenkenden) begegnen. Sie tut dem anderen wohl und gibt ihm Raum zum Leben und Atmen.
  • Demut war damals keine Tugend. Es war das unterwürfige Verhalten von Sklaven ihren Herren gegenüber. Doch Jesus und nach ihm Paulus haben diesen Begriff völlig neu gefüllt. Spannenderweise auch nicht mit dem, was bis heute als Wurm-Theologie kursiert («Ich bin völlig unwürdig, ein absolutes Nichts»). Echte Demut schaut dagegen weg von sich selbst, nimmt den anderen in den Blick und begegnet ihm auf Augenhöhe.
  • Mit dem dritten Punkt, der Geduld, nimmt Paulus die Schwächen in den Fokus. Denn Geduld ist nur da nötig, wo nicht alles funktioniert. Wörtlich heisst Geduld: den Zorn weit weg sein lassen. Sie gibt dem anderen Zeit – und dann noch mehr Zeit.

Alle drei Haltungen bedeuten nicht, dass wir keine eigene Meinung haben sollen oder Sünde nicht mehr beim Namen nennen können. Aber sie stehen für den vorsichtigen, achtungsvollen Umgang miteinander, der auch unter Christen häufig fehlt, wenn sie sich auf Facebook die Meinung sagen.

«Die christliche Gemeinde hat sich noch nie aus 'Heiligen' zusammengesetzt, wohl jedoch aus solchen, die es werden sollen, weil sie es sind.» (Joachim Gnilka)

7 x 1 = eins – Verbunden in Einheit

Bemüht euch, im Geist eins zu sein, indem ihr untereinander Frieden haltet. Ihr sollt alle gemeinsam ein Leib sein und einen Geist haben, weil ihr alle zu einer Hoffnung berufen seid. Es gibt nur einen Herrn, einen Glauben, eine Taufe, und es gibt auch nur einen Gott und Vater, der über allen steht und durch alle lebt und in uns allen ist (Epheserbrief, Kapitel 4, Vers 3-7).

Paulus beschliesst seine Aufforderung zur Einheit mit sieben Gemeinsamkeiten, sieben Faktoren, in denen Christen bereits eins sind. Dabei ist es bezeichnend, dass die Aufzählung (im Griechischen) praktisch völlig ohne Verben auskommt: Es ist keine To-Do-Liste. Einheit können wir nicht schaffen, wohl aber festhalten und wahrnehmen. Genau diesen Blick schärft die Aufzählung, denn normalerweise sehen wir zuerst die Unterschiede, aber das «Band des Friedens» (wie es Luther übersetzt) schafft ein WIR, das grösser ist als das übliche ICH und DU. Ausserdem kommt die Aufzählung ohne Äusserlichkeiten aus: Kleiderfrage, Musikgeschmack, politische Vorlieben, all das spielt hier keine Rolle. Wenn wir, so verschieden wie wir sind, zum Abendmahl gehen, dann sind wir «ein Leib». Allerdings ein sehr bunter. Wenn wir, so unterschiedlich wie wir denken, in die Zukunft schauen, dann verbindet uns «eine Hoffnung». Allerdings mit vielen Facetten. All diese vielfältigen Einheitsbeschreibungen zeigen uns: Der andere gehört dazu und muss meine Kriterien dazu gar nicht erfüllen.

Eins sein als Christen ist keine freiwillige Extraleistung, an die wir uns machen können, wenn wir alles andere erreicht haben. Die Bibel macht nicht nur im Epheserbrief sehr deutlich, welch ein hoher Wert Einheit ist. Ein jüdisches Sprichwort unterstreicht allerdings augenzwinkernd, dass wir auf jeden Fall noch einen weiten Weg vor uns haben: «Wenn alle Menschen an einem Strang ziehen würden, würde die Welt umkippen.»

Ich wünsche mir, dass sie bald kippt.

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Datum: 24.09.2017
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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