Livenet-Talk mit Susanna Aerne
«Der Ursprung jeder Sucht ist Sehnsucht»
Sehnsüchte sind tief in uns allen angelegt. Wie können wir mit dieser Dimension, die in unserem Herz ist, in Berührung kommen? Dieser Frage geht Susanna Aerne, ganzheitlich-systemische Beraterin IKP, im Livenet-Talk auf den Grund.
«Sehnsucht ist ein Schrei des Herzens, der mich aufwecken will. Es ist ein tiefes Verlangen da, das vom Boden des Herzens aufsteigt», erklärt Susanna Aerne, die eine eigene Beratungspraxis in Zofingen führt. «Sehnsucht ist ein Zeichen von Mangel im Leben. Da ist ein Wunsch, der gehört werden und Anklang finden will. Die Wurzeln können dabei bis in die Kindheit reichen.»
Der Ursprung jeder Sucht ist Sehnsucht
Kinder, die in ihrer Familie keine Liebe oder Anerkennung erlebt haben, versuchen manchmal, die Sehnsucht danach durch Essen zu stillen. In der Pubertät können es Pornos sein, die zu einer Sexsucht führen. Unerfüllte Sehnsucht hat das Potential, in einer Sucht zu münden. Man suche etwas, um ein Bedürfnis zu befriedigen. «Sucht hat immer mit Sehnsucht zu tun», betont Aerne. «Sie kann sich zum Beispiel ausdrücken durch exzentrische Kleidung oder wechselnden Partnerbeziehungen, die letztlich wieder verletzen». Gewisse Verhaltensmuster sind wie die Spitze eines Eisbergs. Sie zeigen auf, dass da eine Sehnsucht ist. Doch die Bedürfnisse, welche gestillt werden wollen, liegen viel tiefer.
Sich reflektieren
«Sehnsucht ist die Suche nach etwas oder einem Menschen». Sie birgt Leidenschaft in sich, will Anklang finden. «Sehnsucht hat eine schöne, aber auch eine schmerzhafte Komponente», stellt die Therapeutin klar. «Sie sucht nach etwas, das nicht oder nicht mehr da ist». Wenn zum Beispiel der Partner, den man gerade kennen gelernt hat, für drei Monate in die USA zieht oder wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann löst das in der Regel Sehnsucht aus. «Als erwachsener Mensch ist es möglich, genau hinzuschauen und zu reflektieren, woher die Sehnsucht kommt». Stammt sie noch aus meiner Kindheit und kann ich sie als erwachsene Person nun stillen?
Wo sind die Trigger?
Als Therapeutin schaut sich Susanna Aerne mit Ratsuchenden deren Lebensgeschichte an. «Wir versuchen, die Triggerpunkte zu erkennen». Das heisst: Wann taucht die Sehnsucht auf? Wie wird sie gestillt? Wurde ich als Kind nur dann wahrgenommen, wenn ich hilfsbereit war oder gute Leistungen erbrachte? Das kann ein starker Treiber werden. Ist das auch heute noch so? Oder weiss ich jetzt, dass ich auch ohne meinen aktiven Beitrag geliebt und wertvoll bin? Gibt es heute Menschen, die mich anerkennen? Dann kann ich diese Sehnsucht, die in meiner Kindheit entstanden ist, loslassen.
Für mein Glück bin ich selbst verantwortlich
Wenn ich mich jedoch jahrelang nach einem Partner sehne, ist das eine Realität, welche die aktuelle Lebenssituation betrifft. Sie hat nichts mit der Kindheit zu tun. Dazu betont Aerne: «Partner sind nicht zuständig für das Glück des anderen! Damit überfordern wir uns total.» Partner können einander helfen und gewisse Bedürfnisse erfüllen. Erwachsenen Person ist es auch möglich, Wünsche auszudrücken und Sehnsüchte zu benennen. «Aber für mein Glück bin ich selbst verantwortlich, das kann ich von niemand anderem erwarten», stellt sie klar.
Der Mensch ist ein Beziehungswesen
Susanna Aerne ist überzeugt, dass trotz ungestillter Sehnsucht ein erfülltes Leben möglich ist: durch eine Beziehung zu Gott. «Gott hat den Menschen dazu geschaffen. Er will ihm seine Liebe zeigen. Das werde klar, wenn man zum Beispiel Bibelverse wie Psalm 42, Vers 2 auf sich wirken lasse: «Wie ein Hirsch nach frischem Wasser lechzt, so sehne ich mich nach dir, o Gott!»
Liebe müsse hin und her fliessen, sie müsse ausgedrückt und gelebt werden, führt Aerne aus. «Das kann man lernen». Sie zitiert die biblische Schöpfungsgeschichte, wo Gott klar stellt: «Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist». Sie erklärt: «Wir sind Beziehungswesen, die Sehnsucht nach dem Gegenüber ist in uns hineingelegt». Die grösste Sehnsucht treibe Menschen zu Gott. «Sie lässt uns Gott suchen und finden». ER geht dabei individuelle Wege mit Menschen. Der Zöllner Zachäus hat Menschen ausgenommen und wurde dadurch von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Jesus versprach ihm: «Ich komme zu dir nach Hause». Er ging auf Zachäus' Beziehungslosigkeit ein und stillte seine Sehnsucht nach Zugehörigkeit.
Einsamkeit ist ein grosses Thema
«Einsamkeit macht Menschen krank», stellt die Psychologin klar. Menschen wünschen sich eine reale Beziehung, direkte Gespräche, sich echt gegenübersitzen, nicht nur online. Auch kleine Kinder brauchen die aktive Aufmerksamkeit der Eltern. Susanna Aerne beobachtet jedoch oft, dass diese sich durch ihr Handy ablenken lassen und ihre Kinder gar nicht richtig wahrnehmen. «Das hat negative Auswirkungen auf die Gefühle der Kinder», führt sie aus. «Es mindert in ihrer Wahrnehmung ihren Wert, ihre Identität». Sie erleben, dass sie zwar da sind, aber nicht wichtig. Die Aufmerksamkeit der Eltern gilt nicht ihnen.
Aus der Not wird eine Tugend
Susanna Aerne hat die Scheidung ihrer Eltern erlebt. Sie fühlt daher sehr den Schmerz von Kindern, welche das Gleiche erleben. Heute nutzt sie diese Verletzung dazu, Kinder zu begleiten und zu ermutigen. Sie zeigt Eltern auf, was die Kinder in dieser Situation brauchen, dass es ihnen gut geht. «Ein Schmerz kann auch Gutes bewirken, wenn man ihn wahrnimmt». So kann die Sehnsucht nach Gemeinschaft dazu führen, dass man sich für andere einsetzt. Bei Familie Aerne sitzt deshalb an Weihnachten immer eine einsame Person mit am Tisch. «Wenn ich meine Sehnsucht kenne, lerne ich auch mich besser kennen. Was treibt mich an? Was sind meine Träume, meine Wünsche? Das hat mit meiner Berufung zu tun.»
Die vierfache Mutter liebt es, Menschen weiterzubringen, sie aufzuwecken, sie zum Träumen zu bringen. Sie liebt die Multiplikation und wünscht sich, das ihre Mitmenschen die Sehnsucht in ihrem Herzen nutzen anstatt daran zu leiden. Sie investiert sich gerne in tragfähige Beziehungen, die Sicherheit schenken. Und dabei ist die Beziehung zu Jesus für sie die wichtigste. Sie ist überzeugt: «Nur er kann die Sehnsucht nach Leben erfüllen und Fragen zu Tod und Ewigkeit beantworten.»
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Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet