Susanna Aerne

«Der Mensch wird erst am Du zum Ich»

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«Im Miteinander vergleichen und erkennen wir uns, wir können uns einordnen und unsere gesellschaftlichen, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten trainieren», sagt die Paar- und Familienberaterin Susanna Aerne. Im Interview erläutert sie, was gute Gemeinschaft auszeichnet.

«Der Mensch wird erst am Du zum Ich», sagte der Religionsphilosoph Martin Buber. Was ist darunter zu verstehen?
Susanna Aerne:
Ich allein kann mich grossartig finden. Bin ich hingegen einem Menschen nahe, dann spiegelt mich derjenige. Er reagiert auf mich, reflektiert mich. So erhalte ich ein Bild davon, wie ich auf andere wirke, was ich in ihnen auslöse, wie sie auf meine Impulse reagieren und welche Fragen sie an meine Person stellen. Dies ist ein wichtiger Prozess, der mich zur Selbstreflexion herausfordert, der mich charakterlich und emotional wachsen und reifen lässt. Mich auf andere Menschen einzulassen, ist unumgänglich, um mich selbst, meine Stärken und Unzulänglichkeiten kennenzulernen. In einem wertschätzenden Miteinander, wo ich mich angenommen und geliebt weiss, kann ich mich ausprobieren, lernen und wachsen. Nichts ist so identitätsstiftend und sozialisierend, wie das uneingeschränkte Ja eines Menschen zu mir. Dieses Ja stärkt mich, lässt mich über mich hinauswachsen und mutig und frei Grosses wagen. Das «Ich» fühlt, (re)agiert, leidet, lebt, liebt am «Du» – und wird so zum «Ich».

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Susanna Aerne
Im Zusammenhang mit der Coronakrise haben Fachleute oft auf die schädliche Wirkung der Einsamkeit hingewiesen. Weshalb ist Gemeinschaft mit anderen Menschen so wichtig für unsere Seele?
Der Mensch ist für Beziehung geschaffen; für Gemeinschaft mit Gott und Mitmenschen. Hier erleben wir Freude, Liebe, Annahme, Wertschätzung und Zugehörigkeit. Dieses Wissen darum und die Sehnsucht danach ist tief in uns verwurzelt. Gemäss der bekannten Bedürfnispyramide von Abraham Maslow sind die sozialen Bedürfnisse am drittwichtigsten nach den physischen und den Bedürfnissen nach Sicherheit. Gemeinschaft, soziale Zugehörigkeit und Eingebundenheit sind grundlegend, noch vor der Erfüllung individueller Bedürfnisse und dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Im Miteinander vergleichen erkennen wir uns, wir können uns einordnen und unsere gesellschaftlichen, sozialen und kommunikativen Fähigkeiten trainieren. Gerade für junge Menschen ist darum das Zusammensein in ihrer Peergroup so wichtig. Einsamkeit schneidet uns ab von unserer Grundsehnsucht und -bestimmung, von unserem Grundbedürfnis und dem sozialen Spiegelbild. Einsamkeit macht den Menschen krank.

Was fördert ein gutes Miteinander, einen starken Zusammenhalt in Beziehungen oder Teams?
Ein gutes Miteinander braucht Zeit, damit man sich kennen- und verstehen lernt. So wird Vertrauen aufgebaut. Vertrauen ermöglicht Verantwortung im Rahmen der gemeinsamen Werte. Vertrauen ist unumgänglich, um erfolgreich zusammenzuarbeiten, ob in Partnerschaft oder Beruf. Nur wenn ich vertrauen kann, fühle ich mich sicher und bin in der Lage, meine volle Leistungsfähigkeit abzurufen. Wer um die eigenen Grenzen und Schwächen weiss, der kann die Qualitäten des anderen wertschätzen und Fehler verzeihen. Es entsteht Freiheit für ein motiviertes, inspiriertes und kreatives Miteinander, fern von fixen Vorstellungen und Erwartungsdruck. Menschen, die so zusammenwirken, sind für andere Vorbild und Ansporn.

Was sagt die Bibel zum Thema Gemeinschaft und Miteinander?
Im Griechischen findet sich für Gemeinschaft der Begriff «Koinonia». Er steht für Teilhabe, Anteil haben. Es hat viel mit Teilen zu tun: sich mitteilen, Anteil geben am eigenen Leben und Denken, Anteil nehmen am Leben des anderen, Leben teilen. Gemeinschaft bedeutet dann gemeinsame Zeit, Teilen von Materiellem und Teilen des innersten Lebens. Es steckt eine Tiefe und Innigkeit darin, es ist kein oberflächliches Austauschen von Nebensächlichkeiten und Banalitäten. Diese Art von Gemeinschaft mit Gott oder Menschen, die dem anderen Aufmerksamkeit und Interesse schenkt, ihn wahrnimmt und erkennt, stillt den Durst unserer Seele und stärkt Beziehungen. Wer in Beziehungen sein Innerstes nicht mitteilen kann oder will, wer am anderen nicht wirklich interessiert ist, wer oberflächlich bleibt oder bei Bedürftigkeit nicht reagieren möchte, der verpasst einen wesentlichen Teil von Gemeinschaft. Die Bibel nennt in Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 42 Lehre, Gemeinschaft, Abendmahl und Gebet wesentliche Säulen der Urgemeinde. Gemeinschaft ist also zentral im christlichen Leben. Kirche soll Heimat, eine Familie sein. Ein Ort des Miteinanders und Füreinanders, ein Geben und Nehmen. Ein Ort, an dem ich mich angenommen und unterstützt weiss. Hier darf ich lernen und wachsen.

Wo und wie er/leben Sie persönlich Gemeinschaft und was bedeutet Ihnen diese?
In der Beziehung zu meinem Mann Stefan fühle ich mich geliebt, respektiert und verstanden. Ich darf sein, wie ich bin, erlebe Ermutigung und Unterstützung und eine tiefe Herzensnähe. Diese verbindet uns auch als ganze Familie. Wir lachen viel, führen spannende, herausfordernde und inspirierende Gespräche. Wir beten miteinander und segnen einander. Immer wichtiger sind mir Freunde, die mit mir Leben teilen. Wir kennen unsere Kämpfe und Herausforderungen und stehen füreinander ein. Neid und Missgunst lassen wir nicht zu. Meine Beziehung zu Jesus gibt mir Perspektive und stärkt meine Identität. Bei ihm finde ich Lebensfreude und Leidenschaft, Kraft, Ruhe und Vision. Er gibt meinem Leben Sinn. Ich liebe Jesus und das Leben! Durch Gott, meinen Vater im Himmel, weiss ich mich angenommen und geliebt, ich bin begabt, berufen und unglaublich kostbar. Diese Beziehung ist mir das Wichtigste in meinem Leben.

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Regionalausgaben der Jesus.ch-Print Nr. 56 zu Ostern
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Dieser Artikel erscheint in den Regionalausgaben der Osterzeitung Jesus.ch-Print Nr. 56. Die Zeitungen können Sie hier bestellen.

In jeder regionalen Ausgabe sind die Adressen sowie die Gottesdienst- und Livestream-Angaben der Gemeinden und Kirchen abgedruckt. So können Menschen, die am Glauben interessiert sind, ganz einfach mit Christen vor Ort in Kontakt treten.

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Datum: 24.03.2021
Autor: Manuela Herzog
Quelle: Livenet

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