Alphalive-Gründer Nicky Gumbel
«Keine Zeit, gegeneinander zu kämpfen!»
Nicky Gumbel,
Vorreiter der internationalen Alphalive-Bewegung, ist überzeugt, dass nur eine
geeinte Kirche der Welt etwas zu sagen hat. Sein Credo: aufeinander zugehen und
voneinander lernen. Dazu gab er im aktuellen AMEN-Magazin zum Thema «Herzensweite» ein Interview, das Livenet hier auszugsweise publizieren darf:
AMEN: Nicky, mit deinem Einsatz verfolgst du stets das Ziel, dass Christinnen und Christen unterschiedlicher Traditionen gemeinsam vorwärtsgehen. Wie kam es zu diesem Bestreben?
Jesus hat selbst gebetet, dass wir eins sein sollen, damit die Welt glaubt. Jesus verbrachte einen grossen Teil seines Lebens mit Beten, er lehrte uns zu beten, und immer wieder ging er auf einen Berggipfel, um zu beten. In Johannes 17 finden wir ein langes Gebet, das er «live» gesprochen hat. Der Hauptschwerpunkt dieses Gebets ist die Einheit. Einheit hatte für Jesus eine hohe Priorität, und der Sinn dieser Einheit ist, dass die Welt glaubt. Deshalb haben wir eine grosse Verantwortung, in Einheit zusammen zu arbeiten, einander zu lieben, einander zuzuhören und zu erkennen, dass Jesus die Wahrheit ist und jeder nur einen Teil davon erkannt hat. Wir haben verschiedene Blickwinkel auf Jesus, der die Wahrheit ist, und gemeinsam haben wir die Wahrheit. Also müssen wir einander zuhören, von verschiedenen Teilen der Kirche und ganz grundsätzlich besser verstehen lernen, woher die Leute kommen und gemeinsam an der Einheit arbeiten. Ob wir jemals in der Lehre übereinstimmen können, ist dabei zweitrangig.
Du betonst immer wieder, dass es um Liebe geht. Wie zeigt sich
das in deinem täglichen Unterwegssein mit Menschen?
Nicky Gumbel: Das ist richtig. Wenn ich in einem Wort zusammenfassen
müsste, worum es im christlichen Glauben geht, würde ich das Wort «Liebe»
wählen. 1. Gott liebt dich. 2. Unsere Antwort ist, Gott zu lieben. 3. Liebt
einander. Darum geht es. Ich bin dazu bestimmt, die Botschaft weiterzugeben,
dass Gott dich liebt. Ich bin dazu bestimmt, Gott zu lieben, und ich bin dazu
bestimmt, andere Menschen zu lieben.
Wie sieht das konkret aus, wenn du mit anderen Gemeindeleiterinnen und
-leitern zusammen bist?
Ich respektiere sie, lerne von ihnen, höre ihnen zu und
versuche, Dinge gemeinsam mit ihnen zu tun. Wir lieben es beispielsweise,
gemeinsam Alphalive zu machen oder uns für «Love Your Neighbor»-Projekte
einzusetzen. Kirchen in ganz Grossbritannien – Katholiken, Anglikaner,
Methodisten, Baptisten, die Heilsarmee, die Hillsong Church, Kirchen der
schwarzen Mehrheit, Pfingstkirchen – haben sich aktuell zusammengetan, um
Lebensmittel und Medikamente zu verteilen, Telefongespräche zu führen,
Seelsorge zu leisten und viele andere Dinge zu tun, die in Zeiten von COVID-19
nötig sind.
Grosszügig zu sein, den eigenen Glauben zu verstehen und in der
Beziehung zu Jesus zu wachsen, kann überwältigen. Welche Herausforderungen
hattest du dabei?
Ich erinnere mich, als einmal auf einer Konferenz zwei
Männer auf mich zukamen, um mit mir zu sprechen. «Wie können Sie zulassen, dass
in der katholischen Kirche Alphalive angeboten wird?», fragte mich einer von
beiden. Bevor ich ihm antwortete, drehte ich mich zu dem anderen Mann um und
fragte ihn: «Aus welchem Teil der Kirche kommst du?» Er antwortete: «Ich bin
Katholik.» Da sagte ich zu ihnen: «Ihr zwei solltet miteinander reden!» Und
dann liess ich sie miteinander reden.
Gab es auf dem Weg, den ihr mit Alphalive geht, irgendwelche Ängste oder
Kritik?
Als wir die erste Konferenz mit der katholischen Kirche
organisierten, sagten einige Leute, sie würden aufhören, Alphalive zu machen.
Ich fand das sehr seltsam, weil Sie damit andeuteten, dass Katholiken das
Evangelium nicht hören sollten. Das ist grotesk, denn jeder sollte das
Evangelium hören. Wir haben diese Konferenz für Priester und Laienleiter
gemacht und haben erlebt, wie der Heilige Geist wirkte. Wieder zuhause las ich
in der Apostelgeschichte den Satz: «Wenn Gott denselben Geist über sie
ausgiesst wie über uns, wer sind wir, dass wir dem Heiligen Geist widerstehen?»
Wir müssen die Menschen lieben. Diejenigen, die diese Grosszügigkeit ablehnen,
haben wahrscheinlich einen Grund dafür. Und wir müssen anerkennen, dass auch
sie Teil der Kirche sind.
Wie gehst du mit Menschen um, die schlecht über dich reden oder dir
gegenüber feindlich gesinnt sind?
Es ist sehr leicht für Menschen, einander zu verärgern und
zu verletzen. Wir müssen unser Bestes tun, um das nicht selbst zu tun. Paulus
sagt, dass wir – soweit es an uns ist – mit allen in Frieden leben sollen. Wir
können nicht verhindern, dass manche Menschen uns nicht mögen oder dass sie
schlecht über uns reden. Wir können versuchen, ihnen zuzuhören, uns in sie
hineinzuversetzen und zu verstehen, dass jeder seine eigenen Kämpfe austrägt.
Wir sind herausgefordert, andere zu lieben, und wo wir dabei versagen,
Vergebung anzunehmen.
Glaubst du, dass COVID-19 euch als Kirchen geholfen hat, im Glauben
grosszügiger zu werden?
Ja, ich denke, COVID-19 hat
die Kirchen in Grossbritannien dahingehend näher zusammengebracht, als dass wir
hinausgegangen sind, um den Armen zu dienen. Das ist es, wozu die Kirche
bestimmt ist. Ich habe gerade ein Buch auf meinem Schreibtisch mit dem Titel
«The Rise of Christianity» von Rodney Stark. Darin geht es auch um Epidemien.
Während der Pandemien in den Jahren 165 n. Chr. und 251 n. Chr. wuchs die
Kirche sehr schnell. Denn während die Ungläubigen davonliefen, blieben die
Christen bei den Kranken und gingen auf die Bedürfnisse der Menschen ein.
COVID-19 bietet eben diese Gelegenheit. Dies ist nicht die Zeit, sich
zurückzuziehen. Es ist ein Moment für das Reich Gottes, um zu wachsen.
Inwiefern sind wir Christen Richtung Einheit unterwegs?
In Grossbritannien gibt es so wenige Christen, dass wir
wirklich keine Zeit haben, uns gegenseitig anzugreifen. In gewisser Weise müssen wir zusammenarbeiten. Wir haben
gar keine andere Wahl. Wir versuchen, mit allen zusammenzuarbeiten. Ich denke,
es ist auch Teil des Anglikanismus, eine weite und umarmende Kirche zu sein,
gerade weil es innerhalb der anglikanischen Kirche eine Menge verschiedener
Traditionen gibt.
Einen grosszügigen, weiten Glauben zu leben bedeutet auch, sich darüber
im Klaren zu sein, was man selbst glaubt. Wie bringst du Klarheit in dein
Glaubensleben?
Der Glaube kommt vom Hören auf das Wort Gottes. Ich liebe
es, jeden Morgen die Bibel zu studieren. Ich verbringe die erste Stunde des
Tages damit, in der Bibel zu lesen. Jesus ist die Wahrheit, und wir hören
davon, indem wir die Bibel lesen. In der ganzen Bibel geht es um Jesus. Sie ist
kein akademisches Buch, sondern ein Liebesbrief Gottes, und ich bete jeden Tag,
dass er zu mir spricht und ich mehr von seiner Liebe in der Beziehung zu ihm
erfahre.
Personenbeschreibung
Nicky Gumbel
ist anglikanischer Priester und Buchautor. Er gilt als Pionier der
Alphalive-Bewegung und leitet als Vikar der HTB in London eine der grössten
Kirchen in England.
Dieser Artikel erschien zuerst im Amen-Magazin «Herzensweite».
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Autor: Rachel Stoessel / Leonardo Iantorno
Quelle: Amen-Magazin