Putins Russland

Zwischen orthodoxer Kriegsheiligung und «wehrlosen» Mennoniten

Mit seinem gross angelegten, mehrmals verfilmten Roman «Krieg und Frieden» ist der russische Schriftsteller Leo Tolstoi auch bei uns heute noch berühmt. Bald kriegerisch, bald friedensbewegt gab sich dann in der Sowjetunion die orthodoxe Kirche.

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Vladimir Putin
1943 dankte die orthodoxe Kirche Stalin für das Ende der schlimmsten Verfolgung mit Ausrüstung einer kompletten Panzerdivision. Dann tat sich die Moskauer Orthodoxie bis hin zur Wende von 1989/90 in den Gremien des Täuschungsmanövers der kommunistischen Friedenspropaganda hervor, sei es in den Reihen der «Friedenspriester» oder des Prager «Weltfriedensrates».

Nach einer vorübergehenden postkommunistischen Phase der Verinnerlichung und wirklicher Friedensgesinnung setzte seit Vladimir Putins Machtantritt 2000 eine bisher nie dagewesene Militarisierung der russischen Kirche ein. Zwar haben Waffensegnungen und die Verehrung von heiligen Kriegern schon zum Repertoire des byzantinischen Christentums gehört. Die Schaffung einer eigenen Synodalabteilung für die Streitkräfte im Moskauer Patriarchat und ihre Leitung durch einen zum Bischof umgeweihten Spezialisten für Raketenangriffe übertrifft aber alles in der Orthodoxie bisher in Sachen Gewaltverherrlichung Dagewesene.

Goldene Millionenkuppel für Armeekathedrale

Das 75jährige Gedenken an den sowjetischen Sieg über Hitlerdeutschland wurde im Juni – wegen Corona verspätet – mit Machtentfaltung einer grossartigen Armeeparade gefeiert. Volle Prachtentfaltung herrscht bei der neuen «Kathedrale der Streitkräfte», einem riesigen Bauwerk im Freizeitpark «Patriot» vor den Toren Moskaus. Mit ihrer 100 m hohen goldenen Kuppel hat diese «Siegeskirche» an die 40 Millionen Franken gekostet. Patriarch Kyrill nannte sie bei der Einweihung «ein Symbol für die Hinwendung Russlands zum Glauben». Zu einer national-orthodoxen Staatsideologie wäre richtiger gewesen.

Zwar wurde das schon eingesetzte Mosaik von «Väterchen Stalin» im letzten Moment aus dem Gotteshaus ins «Kirchenmuseum» von nebenan geschafft. Umso inbrünstiger verehren junge Uniformierte ihren «Soldatenheiligen» aus dem Tschetschenienkrieg, Jewgeni Rodionow. Er wurde bei der russischen Sommeroffensive von 2015 bei Bamut an der inguschetischen Grenze von Partisanen gefangen genommen. Rodionow wollte sich dann nicht durch die Verleugnung Jesu vor einem langsamen Foltertod retten. Das dürfte Legende sein, die zur religiösen Verbrämung um die gnadlose Niederkämpfung der Tschetschenen gerankt wurde.

Friedfertiger Rest von Mennoniten

Ein Flämmchen christlicher Gewaltabwendung glüht aber auch in der einstigen Sowjetunion bei jenen «wehrlosen» Täufergemeinden, die nach dem der Perestrojka folgenden grossen Auszug der « Russlanddeutschen» Richtung Westen übrig geblieben sind. Im kasachischen Karaganda zum Beispiel, wo die 1957 gegründete «Mennoniten-Gemeinde» einige tausend Seelen stark blieb. Sie bekennt sich zur Ächtung von Krieg, Kriegsdienst und jeder Gewalt, wie das der friesische Reformator Menno Simons zu einem wesentlichen Grundsatz seiner Auffassung vom Täufertum gemacht hatte.

Diese friedlichen Täufer wurden – damals auch in der Schweiz – umso gewaltsamer verfolgt. Zuflucht fanden sie zunächst in Polen an der unteren Weichsel. Als dort das evangelisch-staatskirchliche Preussen 1796 Landesherr wurde, wanderten die Mennoniten in die USA, aber auch in Russlands neugewonnenen Randgebiete aus. Zarinnen und Zaren brauchten fleissige Ansiedler und fragten nicht danach, was sie glaubten und lebten. Bei der Oktoberrevolution von 1917 dürfte es im russischen Reich über 120'000 Mennoniten gegeben haben. Sie konnten sogar noch Ende 1924 einen Kongress in Samara an der Wolga abhalten.

In Lenins Taktik und Stalins Straflagern

Die frühe sowjetische Religionspolitik sah aber auch in den Mennoniten Sektierer, die sie gegen die orthodoxe, aber ebenso katholische und lutherische Grosskirche ausspielte. Lenin sah im «Sektantsvo» einen Hebel zum Aufsplittern einträchtiger Gläubigkeit. Stalin hingegen erblickte in den Mennoniten nur «gefährliche Deutsche», die er in die Arbeits- und Todeslager des «Gulag» mit dessen heimlicher Hauptstadt Karaganda zerstreute. Kraft zum Durchhalten gab vielen Mennoniten ihre vorkommunistische pietistische Erneuerung, an der auch aus Basel St. Chrischona Anteil hatte.

Sauerteig im russischen Kirchenmosaik

Heute teilt Putins Bevorzugung der orthodoxen Kirche die anderen Religionsgemeinschaften Russlands in «historisch» Geduldete wie z.B. die Baptisten und diskriminierte «Neureligionen» einschliesslich aller Evangelikalen ein. Da liefern die Mennoniten neben ihrem gewaltfreien Zeugnis wider den postkommunistischen Militarismus auch einen Beweis für die Daseinsberechtigung von Klein- und Freikirchen. Ein Sauerteig zur Durchdringung der veräusserlichten, staatshörigen rusisschen Kirchenszene durch echt christlichen Ansatz.

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Datum: 01.07.2020
Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet

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