Wahlen mit Überraschungen
Irak: Eine mutige Lehrerin trotzte allen Widerwärtigkeiten
Muqtada as-Sadr und eine Christin setzten sich bei den Wahlen im Irak durch. Letztere überraschend. Doch der Schiiten-Imam ist nicht ein Verbündeter Irans, wie bereits suggeriert wurde.
Im Irak heisst der Sieger der Parlamentswahlen Muqtada as-Sadr. Seiner radikal-schiitischen Gruppierung mit sozialem Vorzeigeeinsatz hatten alle Prognosen bestenfalls die Rolle eines Züngleins an der Waage bei schwieriger Regierungsbildung zwischen den traditionellen schiitischen Grossparteien zugetraut. Mehr auch dann nicht, als Sadr unter dem Namen «Sairun» (Marsch nach vorn) eine Listenkoppelung mit den Kommunisten einging.Vom Iranfreund zum Verbündeten Saudi-Arabiens
Der neue starke Mann des Irak ist jüngster Spross einer mächtigen Dynastie schiitischer Kleriker, der Neffe des Gründers der «Daawa al-Islamia» (Islamische Mission), des Grossayatollahs Baqr as-Sadr. Die Partei will nicht nur einen Islamischen Staat aufrichten, sondern ebenso ein korankonformes Wirtschaftssystem einführen. Sie liegt damit voll auf der Linie der Islamischen Republik Iran. Iraks letzten Christen stehen noch schwerere Zeiten bevor.
Weltpolitisch galt Sadr seit einer Reise nach Teheran 2004 als der Mann Irans im Irak. Er entfremdete sich jedoch zunehmend von Khomeini-Nachfolger Ali Khamenei und wird heute in Bagdad als Freund Saudi-Arabiens gehandelt. Weniger aus Sympathien für dieses, sondern aus Rivalität zu den Iranern. Für Sadr ist der Irak mit seinen zentralen schiitischen Heiligtümern Nadschaf und Kerbela das wahre Herz des Schiitentums, Iran hingegen nur hinterste Provinz.
Fünf Sitze (offiziell) garantiert
Zur Interessenvertretung der nach offiziösen Angaben noch 258'000 Christen im Irak – bis zu den Kriegen ab 1980 waren es 2 Millionen – wurden ihnen fünf der 329 Parlamentssitze garantiert. Sie sind an die Wahlkreise Bagdad, Ninive und Kerkuk im Norden sowie Erbil und Dohuk im autonomen Kurdistan gebunden. Darum bewarben sich diesmal unter insgesamt 87 Parteien neun Christen-Listen, alle geführt von orthodoxen (Assyrer) bzw. mit Rom verbundenen (Chaldäern) Politikern der aramäischen Minderheit.
Ränkespiele gegen christliche Kandidaten
Als ob diese fünf christlichen Volksvertreter immer noch zu viele wären, hatten sowohl schiitische wie kurdische Parteien diesmal von ihnen gelenkte Ableger auf die Beine gestellt, die unter Führung von Scheinchristen Stimmen wegnehmen sollten. Als der chaldäisch-katholische Patriarch Louis Raphael Sako dagegen protestierte, wurde ihm von muslimischer Seite Einmischung in die Politik vorgeworfen: Genau das, was von christlicher Seite immer dem Islam als politischer Religion angelastet werde. Sako verteidigte darauf im Namen aller christlichen Konfessionen des Landes den Anspruch der Kirchen, «zum Schutz der Rechte und Freiheiten der Person, für die Förderung rechtsstaatlicher Prinzipien und des Prinzips der Staatsbürgerschaft für alle mit gleichen Rechten» einzutreten.
Hoffnung für die Hoffnungslosen
Iraks evangelische Christen hatten keine eigene Partei, wurden aber genau dort aktiv, wo es überhaupt kaum Hoffnung mehr zu geben schien: In der seit dem zweiten Jahrhundert ältesten christlichen, aber heute so gut wie von Christen gesäuberten Hafenstadt Basra. Dort hatte zwischen 2003 und 2011 die englische Besatzungsmacht die Vertreibung so gut wie aller Christen durch fanatische Schiiten geduldet. Knapp 400 blieben zurück: Chaldäer und Assyrer, ein paar Armenier, Baptisten, Pfingstchristen und Adventisten. Open Doors versorgt sie mit Kinderbibeln. Mit Hilfe der Evangelischen Kirche von Österreich hielt sich ihr Hilfswerk «Aladins Wunderlampe» noch lang aufrecht. Es kam in erster Linie kranken Kindern zugut, von denen die meisten schiitische Eltern hatten.
Die Überraschung
Für die kleine Christenschar von Basra wurde im neuen Parlament kein Platz reserviert. Doch der Lehrerin Evan Fayek Yakub – ihre presbyterianische Mutter nannte sie so nach der amerikanischen Schauspielerin Evan Rachel Wood – hat es geschafft, als «Unabhängige» doch einen Sitz im Bagdader Repräsentantenrat – so heisst das Parlament – zu erkämpfen. Sie hatte das weitgehend ihrer Bekanntheit und Beliebtheit aus der Jugendarbeit zu verdanken. Ihr Beispiel zeigt, dass bei diesen irakischen Wahlen Überraschungen nicht nur einem Muqtada as-Sadr gelungen sind!
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Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet