Indianer in Mittelamerika

Heilkräuter, Drogen und Gottes Hilfe

Wie schaffen es Indianer in Mittelamerika, aus dem Teufelskreis von Armut und Sucht auszubrechen? Thomas und Patricia Gerber haben auf ihrer Reise Victor kennengelernt.

Wir treffen Victor (22 Jahre) im Bergland von Costa Rica, auf den Steinbänken einer Finca (Farm). Die Regenzeit setzt ein und die schweren Tropfen prasseln auf das Blechdach über uns. Victor sitzt hier, um mit Freunden eine Runde Carambol zu spielen, doch erzählt er uns vorher aus seinem Leben, was nicht nur uns, sondern auch seine Freunde in den Bann zieht.

Victor kommt aus Honduras, aus dem Stamm der Misquito-Indianer. Wie die meisten Menschen der indigenen Kultur nennt er uns mit Stolz seinen vollen Namen: Victor Rito Pravia Calderon. Und er ist stolz auf seine Kultur, seine elfköpfige Familie sowie seine indigene Sprache. Er ist der zweitälteste der Familie, aber das Lieblingskind seines Vaters.

Was Kräuter nicht heilen

Wie er uns dies erzählt, hält er inne - nein, es war nicht immer so. Vor einigen Jahren enttäuschte er seine Familie schwer. Wie kam das? Mit vierzehn Jahren traf ihn wie aus heiterem Himmel eine Krankheit, die sich in schwerer Atemnot äusserte. Die dem Misquito-Stamm bekannten Heilkräuter halfen zwar, doch stürzte ihn dieses Erlebnis in eine innere Krise.

In den folgenden Jahren versuchte er, seine Probleme mit leichten Drogen zu vergessen. Alkoholkonsum kam dazu und immer härtere Rauschmittel, bis er ein körperliches Wrack war. Auf Hilfe seiner Familie verzichtete er und beschönigte seine Sucht. Mitten in diesem Teufelskreis auf der Suche nach Geld und Stoff litt er wieder an der verhassten Atemnot. Victor war verzweifelt. Mit seiner Familie wollte er nichts zu tun haben, Freunde suchten auch Hilfe in Drogen und jemand anders kannte er nicht. Sogar die bewährten Heilkräuter zeitigten keine Wirkung - er war dem Tode näher als dem Leben. In seiner Verzweiflung schrie er in einer Nacht zu Gott.

"Wenn du mich gesund machst…"

Wie Victor dies erzählt, blitzen seine pechschwarzen Augen: "Ich kann mich gut erinnern, es war ein Uhr nachts und ich schloss mit Gott einen Pakt: Ich gebe dir mein Leben, wenn du mich gesund machst, aber bitte erlöse mich von meiner Krankheit, und meiner Sucht!"

Victor konnte es selbst kaum glauben, aber urplötzlich verschwand seine Atemnot, er verspürte keine Lust mehr auf Drogen und fand in ein geordnetes Leben. "Gott nahm dieses Gebet sehr ernst", bekennt er lachend. Doch wusste er, dass er nun auch seinen Teil des Deals zu erfüllen hatte. Als erstes wollte er seine Beziehungen wieder geradebiegen: Schweren Herzens bat er seinen Vater um Vergebung. Den schamorientierten Menschen der Misquito-Kultur fällt es besonders schwer, Fehler zuzugeben. Victor spürte die enorme Befreiung, die er durch den Zuspruch der Vergebung seines Vaters erfuhr.

Ausbildung als Schritt zur Selbständigkeit

Wie viele der indigenen Völker Zentralamerikas kämpfen die Misquito mit ökonomischer Benachteiligung - auch Victors Umgebung litt unter Arbeitslosigkeit, minderwertiger beruflicher Ausbildung und staatlicher Korruption, die Hilfsgelder versickern lässt. Victor wusste, dass die Organisation "Licht in Lateinamerika" Ausbildungen für Indigenas anbot. Und so fasste er mit 21 Jahren den Entschluss, Hilfe bei diesem christlichen Ausbildungszentrum in Costa Rica zu erbeten.. "Ich arbeitete viele Wochen, um die Reise mit Schiff und Bus zu finanzieren. Vom Vertreter des Hilfswerks erfuhr ich, dass die nächsten Kurse in zwei Wochen anfangen, ich jedoch einen gültigen Personalausweis vorzeigen müsse!"

Victors Freunde lachen. In einem Land wie Honduras sei es kaum möglich, innerhalb von zwei Monaten ein offizielles Dokument zu erhalten, wie sollte es denn in weniger als zwei Wochen vonstatten gehen? Doch Victor war sich seines Weges sicher. Zielstrebig beantragte er in der Hauptstadt Tegucigalpa sein Dokument und erinnerte Gott an sein nächtliches Erlebnis damals. Er wolle ihm mit der Ausbildung bei "Licht in Lateinamerika" dienen, aber dazu brauche er sein Dokument! Tags darauf hielt der völlig verblüffte Victor seinen neuen Ausweis in den Händen. "Für mich war dies erneut ein klares Zeichen Gottes, dass er für mein Leben einen Plan hat. Schliesslich versprach ich Gott, es gehöre ihm!"

Wissen und Fertigkeiten fürs Leben im Dorf

So konnte Victor eine qualitativ hochstehende Ausbildung in Holzverarbeitung und Zimmermannsarbeiten beginnen. Seine Ausbildung macht ihm Spass, er saugt das Wissen wie ein trockener Schwamm in sich auf. Er brennt schon darauf, am 29. Juli 2009 mit abgeschlossener Ausbildung nach Puerto Lempira, seiner Heimat, zurückzukehren. "Ich werde mit meinem Vater in der Schreinerei arbeiten. Dank ergänzendem Unterricht in Fächern wie Mathematik oder Hygiene werde ich auch in meinem Dorf vielfältige praktische Hilfe leisten."

Victor schielt zum Carambolbrett, das zum Spiel bereit liegt. Doch bevor er seine Partie beginnt, formuliert er wohlüberlegt: "Weisst du, hier auf der Finca von ‚Licht in Lateinamerika' erlernte ich viel, das ich in meiner Arbeit anwenden werde. Doch hier erstarkte auch meine Gewissheit, dass dieser Gott, dem ich mein Leben verschrieb, einen guten Plan mit mir hat. Ich kann - im Gegensatz zu vielen meiner Freunde zu Hause - froh in die Zukunft blicken".

Jahrestreffen von ‚Licht in Lateinamerika' am Sonntag, 25. Mai, in Bäretswil ZH.

Webseiten:
www.lil.ch
www.licht-in-lateinamerika.de

Weiterer Artikel von Thomas und Patricia Gerber:
Ein besseres Leben: Indianer im Wilden Westen

Autoren: Thomas und Patricia Gerber

Datum: 15.05.2008
Quelle: Livenet.ch

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