Türkei
Christliche Assyrer massiv unter Druck
Die offizielle Türkei leugnet weiterhin den Völkermord von 1915 an den Armeniern. Keine hundert Jahre später wird versucht, einew weitere christliche Minderheit loszuwerden: die Assyrer im Südosten des Landes.
Aber die Türkei will in die EU. Man achte die Menschenrechte, beteuern ihre Politiker. Für Simon hingegen hat sich im Vergleich zu früher nichts geändert: «Für die Assyrer ist es sogar schwerer geworden. Die meisten wurden aus dem Südosten der Türkei vertrieben.»
Viele leben in der Diaspora in Europa und den USA. «Die Landwirtschaft in unserem Siedlungsgebiet läuft schlecht, unsere Klöster und Kirchen sind vernichtet, einer nach dem anderen musste gehen, wenn er nicht sterben wollte. Die Türkei sagt, sie halte sich Menschenrechte und gewähre Freiheit – aber nicht für uns», sagt Simon.
Er spricht von christlichen Mädchen, die entführt werden, von Schikanen im Militär und in der Gesellschaft, von Schutzgeld, das Christen zu zahlen hätten; vielen bleibe nur das Abwandern.
Schikanen bis in die Schweiz
Auch Simon flüchtete. Doch die Schikanen würde die Christen sogar in der Schweiz einholen. «Wenn wir Papiere von der türkischen Botschaft brauchen, stellen sie die nicht aus. Meine Frau muss den Pass erneuern lassen; eigentlich eine Routinesache. Doch wir warten nun schon drei Wochen.»
Beim letzten Mal habe er die Unterlagen erst erhalten, nachdem eine Politikerin seiner Ortschaft mit auf die Botschaft kam. «Als meine Tochter zur Welt kam, stiessen sich die Behörden am christlichen Namen. Sie wollten das nicht zulassen. Dabei haben wir eine jahrhundertealte christliche Tradition! Wegen des Namens und des christlichen Glaubens kriegen wir sogar in der Schweiz Probleme.» Assyrern in anderen europäischen Ländern gehe es mit ihren türkischen Botschaften genau gleich.
Heimatlos in Europa
Die Türkei müsste die Assyrer beheimaten, sagt Simon. Man sei schon «immer» dagewesen, Assyrien war einst ein biblisches Grossreich. «Jetzt sind wir heimatlos, meine Familie ist über mehrere Länder verstreut, wir kennen uns nur noch per Telefon. Das tut weh. Wir wollen in unserer Heimat leben können, nicht verstreut werden.»
Aber Heimat und Muttersprache, das vergesse man einfach nicht. «Wir wurden vertrieben, mussten eine neue Sprache lernen und uns von Grund auf neu einrichten. Daheim hatten wir alles; wir bauten unsere Nahrungsmittel selber an. Wir waren nicht reich, aber zufrieden.»
Doch immer wieder griffen die Türken an, «und wir mussten beginnen, die Dörfer rund um die Uhr zu bewachen; auch die Kirchen und unsere Felder. Zuletzt blieb nur das Gehen. Die meisten sind längst weg. 150 Dörfer sind in den letzten Jahrzehnten praktisch ausgestorben.» Viele der verbliebenen Einwohner seien über 70, berichtet Simon.
Heimweh
Als Assyrer in einer anonymen türkischen Großstadt zu leben sei so gut wie unmöglich. Das gehe nicht einmal in Istanbul. Dies bestätigte der Osteuropa-Kenner Werner van Gent in einer Reportage in Radio DRS 1.
Simon erlebte es am eigenen Leib. «1976 kam ich nach Istanbul und wollte in einer Schneiderei arbeiten. Die erste Frage war gleich: Bist du Christ oder Moslem? Ich, sagte, dass ich Christ sei. Die brauche man nicht, war die Antwort.»
Daran habe sich nichts geändert. Die Heimat sei keine mehr, aber er sehne sich trotzdem danach. «Jedes Volk kann ein paar Jahre woanders leben. Aber einmal will man heim.» In der Schweiz könne man wenigstens in Ruhe schlafen und essen. Keiner komme hier an die Türe, weil er Zimmer durchsuchen wolle.
Europa soll helfen
Simon wünscht sich, dass die EU reagiert. «Die europäischen Regierungen sollen fragen, warum uns die türkische Botschaft so schlecht behandeln darf.» Zu lange sei man zwischen dem Hammer der Türken und dem Amboss der Kurden gelegen. Denn auch die, so Simon, hätten Assyrer angegriffen.
Simon träumt davon, dass die Assyrer unter der Lupe der EU in ihre Heimat zurückkönnen. «Wenn uns Europa nicht hilft, sehe ich keine Chance.»
* Aus Sicherheitsgründen wird hier nur der Vorname genannt.
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch