Schuljungen freigelassen
Nigeria: Verhandeln ja, Frieden nein
Nigerias Vizepräsident Yemi Osingbajo vermittelte vermutlich die Teilfreilassung der entführten Jungen in Nordnigeria. Osingbajo ist ein Pfingstpastor.
Der Norden Nigerias wurde zuletzt durch ein Neuaufflammen von Überfällen der Terrormiliz «Boko Haram» verunsichert. Zum ersten Mal verlagerten sich die Angriffe aus dem nördöstlichen Borno in westliche Richtung. Noch nie waren so viele Schulkinder mit Christen unter ihnen verschleppt worden wie diesmal Mitte Dezember (Livenet berichtete).
Die Freilassung der Hälfte von ihnen weckte zunächst voreilige Hoffnungen auf eine Entradikalisierung von Boko Haram. Eine weitere Massenentführung konnte die nigerianische Polizei verhindern. Bisher war ihr das nie gelungen.
Ursprung bei den afghanischen Taliban
Boko Haram wurde um 2004 durch späte Afghanistan-Heimkehrer vom antirussischen Partisanenkrieg der Taliban gegründet. Anstelle der Roten Armee machten sie in Nigeria die weltliche Schulbildung zum Feind. «Boko» bedeutet in der Haussprache die lateinischen Buchstaben, aber auch westlich-christliches Denken, vor allem das von Missionsschulen vermittelte. Sogar staatliche und Koranschulen gerieten ins Visier der Terrormiliz, wenn sie vom angeblich «wahren Islam» salafistischer Prägung abwichen. Boko Haram raubte einfach Schulkinder, um sie vor «Verbildung» zu bewahren.
Motorisierte Überfallkommandos
Die grosse Welt nahm diesen Terror erst im April 2014 zur Kenntnis, als die Kämpfer aus einem Mädchenpensionat in Chibok an die 300 Schülerinnen entführten, um sie einem strengen Islam zuzuführen. Bilder von ihnen in tiefer Verschleierung wurden als Propaganda und zur Einschüchterung in ganz Nigeria verbreitet. Gleichzeitig verfolgte Boko Haram damit den Zweck, seinen Kriegern Frauen zu beschaffen. Ein Teil wurde sogar weiter in Nachbarstaaten um den Gegenwert von zehn Franken verschachert. Nur wenige Mädchen konnten ihren Peinigern entrinnen.
Solche Raubzüge werden bis heute fortgesetzt, allerdings in kleinerem Ausmass. Boko Haram bedient sich dabei motorisierter Überfallkommandos. Ihre Motorräder knattern blitzartig an. Als die Regierung den Missbrauch aller Zweiradfahrzeuge verbot, sattelten die Terroristen auf Dreiradler um. Auch ein allgemeines nächtliches Fahrverbot ignorierten sie.
Auch Impfteams im Visier
Die Angriffe auf Schulen dehnten sie auf Impfstellen aus, die sie ebenfalls als «Boko» mit dem islamischen Haram (Verbot) belegten. Ärzte, Ärztinnen und Schwestern, die gegen Kinderlähmung impften, wurden brutal umgebracht.
In Todesgefahr begeben sich auch die Impfteams, die jetzt in der Coronapandemie in Nigeria die Bevölkerung vor dem Covid-Virus immunisieren wollen. Vorher haben aber Boko-Haramisten auf 150 Motorrädern die Stadt Kankara in Katsina angegriffen, einem alten Emirat, das heute als westlicher Bundesstaat zu Nigeria gehört. Von dort verschleppten sie rund 800 Schulkinder, diesmal aber keine Mädchen, sondern Knaben. Sie sollten als Kämpfer ausgebildet werden. Dagegen sträubten sich aber viele mit passiver Resistenz, stellten sich dumm oder krank.
Vizepräsident Yemi Osingbajo als Vermittler
Wegen Unbrauchbarkeit, nicht dank einer Gesinnungsmilderung der Entführer, wurden daher nachträglich wieder 344 Knaben in einem Wald zurückgelassen. Gegen Lösegeld natürlich. Unter ihnen ein Evangelikaler und drei katholische Christen. Ihre Freilassung soll der nigerianische Vizepräsident Yemi Osingbajo vermittelt haben. Bei ihm handelt es sich um einen allseits geachteten pfingstkirchlichen Hauptpastor von der Redeemed Christian Church of God (RCCG). Andererseits soll ein Entführter von Kankara schon im Nordosten als Selbstmordattentäter eingesetzt worden sein.Nur mit Waffengewalt besiegbar
Einzig realistische Hoffnung bleibt da auf Weihnachten die endlich gegen Boko Haram erfolgreichere Polizei Nigerias. Mit den politislamischen Terroristen lassen sich vielleicht Einzelvereinbarungen treffen, ein Verhandlungsfrieden wird jedoch von ihrer Ideologie und Mentalität ausgeschlossen. Christen und gemässigte Muslime können nur mit Waffen vor der Gewaltmiliz geschützt werden. So ist es zuletzt zum ersten Mal in Mahuta – ebenfalls Staat Katsina – mit schweren Waffen ausgerüsteten Polizisten gelungen, Kidnapper zu besiegen und 80 Knaben aus ihrer Gewalt zu befreien!
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Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet