Projekt «Emmanuel»
Zu den Ärmsten der Armen gerufen
Äthiopien ist ein rasant wachsendes Land, trotzdem lebt immer noch rund ein Viertel der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze. Mit einer siebenköpfigen Gruppe ging die Ärztin Rahel Röthlisberger ihr eigenes Projekt besuchen. Mit im Gepäck waren mehrere Rollen Schweissdraht, Krücken und medizinische Mittel, die im Westen Afrikas dringend benötigt werden.Als Beispiel der positiven Trends im aufstrebenden Land, stieg die Lebenserwartung vom Jahr 2005 mit 53,6 Jahre auf 63,7 Jahre im Jahr 2015. Zudem erhielt kürzlich der Regierungs-Chef Abiy Ahmed für seine bisherigen Verdienste den Friedens-Nobelpreis (Livenet berichtete).
Krücken und Ermutigung für Äthiopien
Rahel Röthlisberger hat Nischen zur Beschäftigung körperlich Behinderter gefunden und hilft hier, den Kreislauf der Armut zu durchbrechen; denn meistens mittellos und gesellschaftlich geächtet, gehören sie zu den Ärmsten der Armen. Dabei wird Selbstständigkeit gefördert und respektvolles Leben mit Perspektive vermittelt; also nebst den normalen Krücken auch «geistige Geh-Hilfen».
Livenet war im Gespräch mit der Initiantin und Projektleiterin, der Ärztin Rahel Röthlisberger.
Wie startete das Projekt und was hatte es mit Ihrem Lebensmotto zu tun?Rahel Röthlisberger: Eigentlich begann alles mit einer Teenie-Sinnkrise. Ich sass im strömenden Regen auf einer Bank im Wald und beschloss: Ich gehe nicht eher weg von da, bis Gott mir sagt, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Eine Bibelstelle fiel mir ein (Jesaja Kapitel 61, Verse 1-2), die Jesus zitierte: «Der Geist des Herrn hat von mir Besitz ergriffen, weil der Herr mich gesalbt und bevollmächtigt hat. Er hat mich gesandt, den Armen gute Nachricht zu bringen, den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen werden...» Das war's! Benachteiligten Menschen Hilfe bringen, wo immer ich kann. Tropfnass trat ich durch die WG-Tür, wo meine Kollegin gerade das Lied hörte: «Wir verkündigen das Gnadenjahr des Herrn, Blinde werden sehn, Lahme werden gehen, Gefangene werden frei…». Mir blieb die Spucke weg: Gott hatte also meine Bitte um ein «Lebensmotto» gehört – und geantwortet!
Sie erhielten wundersame Bestätigungen durch Material und
Finanzen – wie genau?
Ein spannendes Leben begann – mit
vielen kleinen Hilfsprojektlein: Kleidertransporte nach Rumänien,
Benefiz-Kuchenverkauf am Gymnasium, mehrere medizinische Kurzeinsätze in
Afrika, Mitgründung Kinder-Fussball in Togo (EFD), Choco Togo (erste
Schoggifabrik im Land), Hilfe beim Aufbau eines Altersheims in Ghana (Mercy
Home Care)… Vielleicht war ich ein bisschen naiv – «tun, was mir vor die Hände
kommt – und weiterfahren damit, solange es nicht 'abverheit'»(daneben geht;
Anmerkung Red.), hiess mein Motto. Und glauben und erleben, dass Gott Unmögliches
tun kann. So brauchte ich als Studentin Helfer beim Containerverladen und rund
10'000 CHF – ich betete, lernte eine afrikanische Bibelschule kennen, die in
der Folge immer freiwillig beim Containerladen mit anpackte, und erhielt auf sieben Umwegen von einer unbekannten Frau 10'000 Franken und vom Schweizer Zivilschutz
Spitalmaterial im Wert von über 100'000 Franken – als Geschenk!
Welche Rolle spielte der Einheimische, ein gelähmter
Physiotherapeut?
Einmal wieder hatte ich Zeit, einen medizinischen
Drittwelteinsatz zu machen. Ich suchte und suchte nach Einsatzmöglichkeiten,
vergeblich. Viele Hilfswerke, mit denen ich im Einsatz war, hatten mich von
ihrer Liste gestrichen – weil ich «zu wild» war, immer wieder abhaute, um zu
sehen, wie die Ärmsten und meine Patienten leben… ich hätte im bewachten Areal
bleiben sollen! Dann klappte es doch noch. 2015 machte ich eine Stellvertretung
in einem Spital in Äthiopien. Beim Abendspaziergang blieb mein Blick auf einem
Töffschild hängen – dort stand: «EMMANUEL – GOD IS WITH US – Disability is not
inability!» (Behinderung ist nicht Unfähigkeit, Anmerkung Red.). Ich war
gefesselt: Was in aller Welt bedeutet das? Ich packte mir den zum Töff
gehörenden gelähmten Physiotherapeuten des Spitals und bat ihn: «Erzähl mir dein
Leben, deine Vision!» Als ich im Januar 2015 Melese und seine Vision
kennenlernte, war ich sehr berührt.
Wie kam es dann konkret zum Selbsthilfe-Projekt für mittellose
Behinderte?
Am Sonntag auf dem DAMOTA Mountain sprang mich erneut ein
Bibeltext an, als ich über die Situation vieler behinderter Bettler in Soddo
Town nachdachte. Jesaja Kapitel 58: «Das ist ein Fasten, das dem Herrn gefällt. Brich
dem Hungrigen dein Brot, nimm Obdachlose zu dir ins Haus… Dann wird die
Herrlichkeit des Herrn dir vorausgehen und sein Segen dich begleiten»
(sinngemäss). Das sass! Für mich war klar, dass ich tun wollte, was mir vor die
Hände kommt. Und weitermachen, so lange es nicht «abverheit» – ich traf mich
mit Melese, wir tauschten aus, beteten gemeinsam – Projekt «Emmanuel» war
geboren. Unsere Kernanliegen sind bis heute: mittellosen behinderten Bettlern
Hilfsmittel schenken, Arbeitsplätze vermitteln, Essen, Unterkunft und
Gemeinschaft geben.
Wie sieht das Projekt und seine positiven Auswirkungen
heute aus?
Heute (Stand 2019) gehören rund 40
behinderte Männer und Frauen zu den Mitarbeiter/innen des Projekts. Die Männer
stellen Hilfsmittel (Krücken, Rollstühle) her, die Frauen produzieren und
verkaufen Lebensmittel. Einzelne Behinderte arbeiten als Schuhputzer und
Strassenverkäufer in der Stadt. Alle erhalten Essen und Unterkunft: Im
projekteigenen Männer- und Frauenhaus, oder in staatlichen Miethütten.
Dankbarkeit und Freude unter den Beschenkten sind zu spüren, und wir wünschen
uns gemeinsam, noch vielen anderen behinderten Bettlern auf den Strassen zu
dienen und neue Lebensperspektiven zu schenken.
Aktuell:
Willkommen sind freiwillige
(aktive oder pensionierte) Fachkräfte wie Schreiner, Metallarbeiter,
Näherinnen, Bäcker/Konditor, welche Kurz-Ausbildungskurse für Behinderte
anbieten. Bitte bei R. Röthlisberger via Mail rahel_medizin@gmx.ch melden.
Zur Webseite:
Projekt Emmanuel
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Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet