Ägyptens Christen
Nach der Präsidenten- die Patriarchenwahl
Die koptischen Christen stehen zwischen Unterwerfung und Sezession. Sollen sie sich staatstreu geben – oder gegen den künftigen muslimischen Staat aufbegehren? Die Meinungen sind geteilt.
In Ägypten steht endlich die Zusammensetzung des 2600-köpfigen Wahlkongresses zur Bestellung eines neuen kirchlichen Oberhauptes der Kopten. Ihre Zahl wird auf zwölf Millionen geschätzt. Es geht um den Nachfolger des im März nach 40-jähriger Kirchenleitung verstorbenen Schenuda III.Wahl wegen politischer Ereignisse vertagt
Die Patriarchen-Wahl sollte ursprünglich im Mai stattfinden, wurde aber wegen der politischen Umwälzungen in Ägypten vertagt. Die Kopten wollten vor allem abwarten, wer Ende Juni Ägyptens neuer Präsident sein wird. Mit der Wahl des Muslim-Bruders Muhammad Mursi sind inzwischen die Würfel in Richtung einer islamisch orientierten Politik gefallen. Dieses neue Umfeld wird nun das Votum der koptischen Wahlmänner – und einiger weniger -Frauen – für den neuen Patriarchen entscheidend beeinflussen.
Der derzeit amtierende Patriarchatsverweser Amba Pachomios bemüht sich um eine Fortsetzung des Kurses von Schenuda. Dieser bekräftigte immer wieder trotz Diskriminierungen und offener Verfolgung die unverbrüchliche Treue zum ägyptischen Staat und die patriotische Verbundenheit mit der muslimischen Mehrheit.
Kontakte mit dem «starken Mann Ägyptens»
In diesem Sinn sucht jetzt Amba Pachomios, selbst aussichtsreicher Kandidat für die Patriarchenwürde, das direkte Gespräch mit Ägyptens starken Mann. Der ist nicht etwa der neue Präsident, selbst nur eine Marionette der mächtigen Muslim-Bruderschaft, sondern ihr Generaloberer Muhammad Badie. Pachomios traf ihn in seinem Hauptquartier am Kairoer Hausberg Mukkatam und besprach dort die Zukunft der ägyptischen Christen. Er versprach deren volle Loyalität, sofern künftig das islamische Recht der Scharia nicht auch auf sie angewandt wird. Vor allem müssten die Kopten in Ehe- und Familienfragen weiter nach ihrer Religion leben dürfen.
Volle Gleichberechtigung und Religionsfreiheit gefordert
Gegen einen solchen Minimalismus wendet sich die andere Richtung unter der Führung des Bischofs Bischoi von Damietta. Angesichts dieser Herrschaft der Muslim-Brüder sei die Stunde zur Einforderung voller politischer Gleichberechtigung und wirklicher Religionsfreiheit gekommen. Sollte diese nicht gewährt werden, droht Amba Bischoi – sollte er Patriarch werden – mit einer Sezession der ägyptischen Christen. Diese sollten dann unter internationalem Schutz in einem eigenen Koptenstaat aus mehreren Territorien des Nildeltas, von Mittel- und Oberägypten leben – wie das bei Libanons Christen schon länger der Fall ist.
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Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet