Sudan, Ägypten, Israel

Stationen einer Odyssee

Millionen Sudanesen flüchten aus Darfur, manche stranden in Ägypten. Dort sind sie längst nicht überall willkommen. Zwar gehört Ägpyten zu den Gründungsmitgliedern der UNO (1945), doch vielen Flüchtlingen werden dort ihre Menschenrechte vorenthalten. Manche fliehen erneut: nach Israel.

Einige Monate lebte die Ostschweizerin Brigitte Jenni in Israel. Dort setzte sie sich auch für sudanesische Flüchtlinge ein, die aus Ägypten durch den heissen Sinai geflüchtet waren. Ein zweites Mal hätten sie entkommen müssen. Einer von ihnen erzählte, man habe sie in Ägypten in Camps gesteckt.

Rausgetraut habe man sich kaum; die Einheimischen hätten die Sudanesen manchmal erbärmlich zusammengeschlagen. Aber nur wer schwere Misshandlungen nachweisen konnte, dem habe die UNO erlaubt, in ein anderes Land zu reisen. Wir sprachen mit Brigitte Jenni über ihren Einsatz.

Brigitte Jenni, wie sah Ihr Tag aus?
Brigitte Jenni:
Ein Beispiel von Mitte Juli: In Jerusalem besuchte ich eine sudanesische Flüchtlingfamilie, die aus Beersheva umgesiedelt wurde; etwa 20 Menschen, für die man noch keine Gastfamilie gefunden hatte. Dann unterstützte ich eine Briefaktion an Ministerpräsident Ehud Olmert und schloss mich der Demo gegen die Rückschaffung der Flüchtlinge an.

Sie fliehen immer noch nach Israel, weil sie trotz "UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge" in Ägypten unzureichend geschützt sind. Nach ihren Berichten hat man den Eindruck, dass der Genozid an ihnen sogar in Ägpyten weitergeht.

Für welches Werk arbeiten Sie dort?
Ich bin als Privatperson hier und vorwiegend im Negev unterwegs. Es war ein Vertrauensschritt; ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die Tragik im Sudan hat mich schon lange beschäftigt. Ein paar Jahre habe ich im Kongo gearbeitet. Dass ich an vorderster Front die Flüchtlinge in Israel betreuen könnte, habe ich eher für unwahrscheinlich gehalten.

Was erzählen Ihnen die Flüchtlinge?
Ihre Erlebnisse in Ägypten scheinen die grausame Realität im Sudan in den Hintergrund zu drängen. Vom "UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge" in Ägypten hatte man sich Schutz erhofft. Die Enttäuschung ist nun umso grösser. "Wir hatten dort niemanden, an den wir uns wenden konnten", klagen viele.

Ein Mann aus dem Südsudan berichtet von einem Massaker im Dezember 2005. Er hat Bilder aus einer ägyptischen Zeitung, auf denen man sieht, wie Polizisten auf Sudanesen einschlagen. 38 Männer, Frauen und Kinder wurden getötet - ohne Verurteilung.

Nach den Berichten einer Frau aus Darfur fallen sudanesische Flüchtlinge auch dem Organhandel zum Opfer. Ein Bekannter sei auf offener Strasse von einem Auto gerammt und gleich ins Krankenhaus gebracht worden. Es sei nur eine leichte Knieverletzung, habe er am Telefon den Angehörigen gesagt. Als sie ihn abholen wollten, habe man ihnen seinen Leichnam überreicht; mit Einschnitten und fehlenden Organen.

Sudanesinnen, die später in den USA untersucht wurden, fehlte nach Eingriffen in Ägypten eine Niere. "Wir wollten uns in einem anderen Land um Asyl bewerben", sagt John. Aber die Chancen seien klein, Ausreisepapiere zu erhalten.

"Nur wenn du erhebliche Misshandlungen vorweisen kannst, hast du Chancen, zum Beispiel nach Kanada zu gehen. Ich möchte lieber mit meiner Familie in ein israelisches Gefängnis als je wieder in ein arabisches Land. Moslems haben uns nicht geholfen. Hier in Israel helfen uns Juden und Christen", wiederholt ein gebildeter Moslem aus Darfur.

Wie haben Sie den Flüchtenden geholfen?
Meine Aufgabe sah ich vor allem darin, ihnen einfühlsam zur Seite zu stehen, ihnen zuzuhören, sie zu trösten und zu ermutigen. Es handelte sich gut 100 Menschen, die Hälfte davon Kinder. Schmunzeln musste ich, als sie mich aufforderten, ihnen Hebräisch beizubringen. Sie möchten sich integrieren, arbeiten, endlich ein normales Leben führen. Schwieriger war es immer, ihnen zu erklären, warum das für Israel keine leichte Aufgabe sei.

Daneben hatte ich zahlreiche kleine Aufgaben; wo es eben gerade "brannte". Zum Beispiel die News aus den Medien besprechen, Papier und Stifte beschaffen und die Kinder beschäftigen, die falschen Vorstellungen der Leute herausfinden und sie klären helfen, mit ihnen über Ängste reden, zusammen singen und beten. Oft war es eher ein Flehen.

Als die Nachricht durchsickerte, sie sollten nach Ägypten zurückgeschickt werden, da kam Panik auf. Auch auf mich wirkte diese Nachricht wie ein Hammer. Nachts um 11 Uhr sassen wir da noch zusammen. Vor meinem inneren Auge war ein Bild, wie das Volk Israel auf der Flucht vor den Ägyptern war und vor dem Roten Meer stand, verzweifelt und in Panik. Plötzlich öffnete sich der Weg, und das Wasser wich zurück. Ich war überzeugt, auch ihnen würde sich ein Weg öffnen.

Am nächsten Morgen kamen meine Freunde von der Hausgemeinde, Israelis, und brachten in einer mutigen Aktion etwa 14 Familien bei Privatleuten unter. Für die Zurückbleibenden war es dann hart. So war ich am Abend erneut gefordert und sollte klären, hinhören, ermutigen und zu Gott flehen. Am nächsten Tag ging aber eine weitere Türe auf. Bis kurz nach der Demo in Jerusalem konnten alle diese Familien plaziert werden. Den Singles wurde in Eilat und Tel Aviv Arbeit in Hotels angeboten.

Wie sind diese Menschen nach Israel gekommen?
Die Flüchtlinge, die ich in diesen rund drei Wochen begleitet habe, verbrachten schon fünf Jahre in Ägypten. John, Vater einer fünfköpfigen Familie aus dem Südsudan, erzählte mir zum Beispiel: "Ich wollte sogar in den Sudan zurückkehren, so schlimm war es in Kairo. Aber dann würde die Polizei kommen und am nächsten Tag wäre die ganze Familie tot; das geht nicht. Unsere einzige Rettung ist Israel!"

Elisabeth erzählt mir, wie sie im Traum gehört hat, sie solle nach Israel gehen. "Wie soll das gehen, ich habe kein Geld", habe sie sich gefragt. Am nächsten Morgen rief ihr ein Verwandter aus Kenia an und bot ihr das nötige Geld an. Beduinen aus dem Sinai haben sich darauf spezialisiert, Flüchtlinge für rund 500 US-Dollar durch die Berge an die israelische Grenze zu führen; eine Zweitage-Reise.

"Den Nachbarn sagten wir, dass wir Freunde besuchen gehen, als wir den Bus an der Stadtgrenze von Kairo bestiegen", sagt John. "Ich hatte Angst, schon auf der Strasse erschossen zu werden."

Was mussten sie durchleben?
Die letzten 500 Meter bis zur israelischen Grenze stecken den meisten noch in den Knochen. Diesen Sprint mussten sie alleine zurücklegen, ein Wettlauf mit dem Tod. Dann am Zaun die Kinder und Frauen drüberhieven und zum Schluss selber nicht dran hängen bleiben.

Einige haben miterlebt, wie auf ägyptischer Seite Flüchtlinge erschossen wurden. "Sobald ich israelische Soldaten sah, fühlte ich mich in Sicherheit!" erzählt John erleichtert. Neben den vielen Kindern hat auch eine hochschwangere Frauen die Strapazen überlebten. Am Tag nach der Flucht kam in Beersheva der kleine "Israel" zur Welt.

Wie reagiert man in Israel auf die Flüchtlinge?
Die Reaktionen sind gemischt; teils mit Ablehnung und Überforderung: "Wir haben wirklich genug Probleme in Israel!" Für andere ist es ganz klar: "Wir müssen helfen, denn wir waren ja auch Flüchtlinge!"

Wo gibt es Probleme in Israel?
Man befürchtet, das könne einen Flüchtlingsstrom auslösen, wenn man jetzt diese Menschen aufnimmt. Engagierten Studenten sind zudem skeptisch, was die Camps an der ägyptischen Grenze angeht, die die Regierung dort errichtet. Das Ganze erscheint ihnen als nicht transparent. Deshalb wurden auch die verbleibenden Flüchtlingsfamilien in einer letzten Aktion bei Gastfamilien untergebracht.

Diese tun ihr Bestes, doch es ist eine grosse Herausforderung, den Bedürfnissen dieser leidgeprüften Menschen gerecht zu werden. Noch haben sie keine Papiere und keinen Status und es fehlt vielen auch das Verständnis und die Geduld für die komplexe ungeregelte Situation in Israel.

Zweifelsohne hat das israelische Parlament folgenschwere Entscheidungen zu treffen. Die Frage stellt sich, ob es gut beraten ist, falls das UNHCR auf folgender Aussage beharrt: "Asyl gibt es im ersten Land, das der Flüchtling betritt. Es wird nicht nach dem komfortabelsten Staat gesucht."

Die Welt schaut zu und weg! Kann ein europäisches Land nachvollziehen, was es für Israel heisst, für Genozid-Flüchtlinge zu sorgen, während gleichzeitig die eigene Bevölkerung nicht vor den täglichen Raketen aus Gaza geschützt ist?

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Datum: 06.08.2007
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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