Good Morning Kairo

«Uns erwartet ein Darfur»

Die christliche Minderheit in Ägypten wird seit Jahrzehnten unterdrückt. Die Lage habe sich verschlimmert, sagt Adly Youssef, ein Ägypter, der seit rund 40 Jahren in der Schweiz lebt. Er sagt, er befürchte ein zweites Darfur.

Die Moslembruderschaft unterdrücke die christlichen Ägypter, die auch Kopten genannt werden. Er sei von Natur aus optimistisch, aber mittlerweile sehe er keinen Ausweg mehr, sagt Adly Youssef (87). Im Jahr 2005 kandidierte Youssef für das ägyptische Präsidentenamt, doch die rund zehn Kandidaten seien nur Marionetten gewesen um der Wahl einen demokratischen Anstrich zu geben, darum habe er sich vorzeitig zurückgezogen. Youssef sagt, er befürchte, dass die Kopten ähnlich überrollt würden, wie die Bevölkerung Darfurs. Livenet.ch traf den Geschäftsmann in seinem Büro in Zürich.

Livenet.ch: Adly Youssef, wie leben die Christen heute in Ägypten?
Adly Youssef: Die Lage der Kopten verschlechtert sich seit 1952. Unter Präsident Hosni Mubarak wurde es massiv schlimmer, denn er öffnete dem saudischen Islam, dem Wahhabismus, die Tür. Dieser fördert den Hass auf Christen. Die Imame hetzen öffentlich in den Freitagspredigten. Christen und Juden werden Söhne und Töchter von Schweinen und anderen Tieren geschimpft. In den letzten Monaten wurden nach solchen Predigten Christen angegriffen. Vor ein paar Wochen zum Beispiel wetterte ein Geistlicher, dass Kopten in ihrer Ortschaft eine Kirche bauen wollen. Allein schon das Wollen wird als Verbrechen angesehen.

Das Problem begann mit Präsident Sadat, vor ihm wurden Mitglieder der Moslembruderschaft ins Gefängnis gesteckt. Sadat liess sie frei und gliederte sie in Politik, Gerichte, Polizei und Militär in führende Positionen ein. Diese Bruderschaft kontrolliert das Land zusehends. Mubarak ist zu schwach, um ihr die Stirn zu bieten. Er weiss zum Beispiel nicht, ob er die Armee hinter sich einen kann.

Was haben die Christen in den nächsten Monaten zu erwarten?
Ich bange um meine Familie, die dort lebt. Ich fürchte, dass es Blutbäder in den Strassen geben wird. Vor langer Zeit haben die ägyptischen Christen akzeptiert, Bürger zweiter Klasse zu sein. Sie haben wenig Ämter. Zehn Prozent der Kopten leben heute in der Diaspora. Die Situation ist hoffnungslos und wir sind hilflos. Wir tun nicht das, was die Libanesen taten – mit Gewehren gegen die Moslems vorgehen. Kopten können das nicht. Wir sind friedlich und wissen nicht wie gegen Gewalt vorgehen. Gewehre werden mit Gebet bekämpft. Antwortet man mit Frieden, versteht die Moslembruderschaft das aber als Zeichen der Schwäche. Sie töten Priester. In Oberägypten brachten sie in einer Kirche 21 Menschen um. Das Gericht konnte keine Schuldigen finden. Diese 21 haben sich wohl selbst umgebracht. Und nachdem sie gestorben waren, waren sie noch mal ins Leben zurückgekehrt, um ihre Häuser anzuzünden ... Im November 2005 sagte ich, es wird wie in Darfur. Man hielt das für übertrieben. Jetzt sind wir auf dem Weg dazu. Ich hoffe, dass es nicht geschieht!

Sie denken, dass es ähnlich wie in Darfur werden könnte?
Ich denke ja. Denn die westliche Welt ist nicht fähig, eine harsche Position gegenüber Saudi-Arabien einzunehmen. Terror aus diesem Staat traf viele Nationen, auch Ägypten in Sharm el-Sheik. Keiner gebietet Einhalt. Und niemand kann leugnen, dass die Saudis hinter der wahhabitischen Invasion stehen. Wegen dem Öl schreitet aber keiner ein. Solange wir ihr Öl brauchen, leben wir unter ihren Füssen. Wo immer sie können, versuchen sie ihren Glauben auszubreiten. Auch in China, Indien und Japan. Es ist eine internationale Gefahr und ich bin froh, dass die Schweizer Regierung sagte, dass der islamische Terror die grösste Gefahr für das Land ist. Der Westen hat Geld über die Moral gestellt und Saudi-Arabien versteht das und nützt dies gut aus. Wir leiden unter dieser moralischen Entartung.

Sollen die Kopten auf die UNO hoffen?
Nein, sie hat sich als schwach erwiesen. Wird es irgendwo wirklich gefährlich, kommt das vor den Sicherheitsrat. Eines der fünf Mitglieder hat immer ein wirtschaftliches Interesse, so wie China beispielsweise sein Veto für den Iran einlegt – denn sie verkaufen ihnen Waffen. Oder Russland in vielen anderen Fällen. Die UNO ist eine schwache Waffe. Die fünf Vetomächte – entschuldigen Sie das Wort – sind Wirtschaftsprostituierte.

Die Bruderschaft hat in Ägypten Einfluss, wie sieht es in Europa aus?
Die Moslembrüder haben 86 Zweige rund um die Welt. Sie haben zum Beispiel Macht in Malaysia und in Europa sind sie durch verschiedene Organisationen vertreten. Keiner steht dagegen auf. Höchstens die Königin von England, die Salman Rusdhie zum Ritter schlagen will und damit ein Zeichen gegen diese Fundamentalisten setzt. Auch die Hamas entsprang den Moslembrüdern.

Was will die Bruderschaft in Ägypten bewirken?
Sie wollen islamischen Staat aufbauen, so wie der Iran oder Saudi-Arabien einer ist. Sie verstecken das gar nicht erst. Imame indoktrinieren diese Botschaft in den Moscheen.

Was hat der Westen zu tun, dass das nicht Ägpyten und Europa überkommt?
Ich weiss es nicht. Viele Fehler wurden gemacht. Zum Beispiel in Darfur. Zwei Millionen Menschen wurden im Sudan getötet*. Doch wo ist die Reaktion? Ich bin da nicht mehr optimistisch. Oder gerade hat es geheissen, dass es vielleicht eine Intervention gibt, die Fatah und die Hamas trennen werde. Angenommen, das kommt überhaupt vor den Sicherheitsrat wird Russland oder China sein Veto einlegen. Ob da jemand einschreitet, wenn in Ägypten zwei Millionen Kopten getötet werden? Unglücklicherweise bin ich nicht optimistisch.

* Rund 2 Millionen im Südsudan und 200'000 bis 400'000 (je nach Quelle) in Darfur.

Sie erheben Ihre Stimme, zum Beispiel durch Kopten-Konferenzen. Was hat das gebracht?
Wir berichteten über das Leiden der Kopten in Ägypten, aber es ist sehr schwer im Land etwas zu bewirken, weil die Kopten immer schon von Fremdherrschaft geprägt waren und sie werden sich kaum wehren.

Der Ölpreis ist hoch gestiegen, aber wir bezahlen ihn. Und mit einem Teil des Geldes werden Christen in Ägypten unterdrückt.

Was sind Ihre Pläne?
Ich verfolge die Situation täglich. Wir bitten den Herrn, dass er einschreitet. Sogar die grossen Kräfte sind nicht in der Lage im Sudan einzuschreiten. Und es sieht nicht aus, als wären wir Menschen fähig die Lage zu ändern. Wir sind abhängig vom Westen und dieser von Saudi-Arabien, wegen den zehn Millionen Barrel, die sie täglich in die Welt setzen*. Es braucht ein Wunder von Gott, das verhindert, dass die Moslembruderschaft uns übermannt.

* Täglich werden über 80 Millionen Barrel Erdöl verbraucht, ein beachtlicher Teil kommt aus Saudi-Arabien.

Ausschnitte aus dem Interview als Audio-Beiträge (englisch):
„Es braucht ein Wunder“
„Nur der Herr kann helfen“

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Webseite: www.copts-united.com

Datum: 09.07.2007
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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