Interaktiver Livenet-Talk

«Gewaltverzicht um jeden Preis?»

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Riki Neufeld (links) und Stephan Jütte (Bild: zVg / RefLab)
Von der Will-Smith-Ohrfeige bis zum Ukraine-Konflikt: Im Livenet-Talk markieren zwei Gesprächspartner zwei «christliche» Positionen zum Thema Gewalt und Pazifismus – und zeigen, wie jede Position im Moment extrem herausgefordert ist.

Die Frage ist alt, das Thema erschütternd aktuell: Dürfen oder sollen Nachfolger von Jesus Christus Waffen und im Notfall Gewalt brauchen? Sowohl die Position des «gerechten Krieges» als auch die des gewaltlosen Widerstands verkaufen sich als «christlich». Die Argumentation der «Gewaltlosen», vertreten durch Riki Neufeld, Mennonit und friedenskirchlicher Bildungsreferent, hält sich unter Berufung auf verschiedene Jesus-Worte an die Maxime «Widerstand gegen das Böse nur gewaltfrei», während die andere Seite davon ausgeht, dass das Reich Jesu halt nicht von dieser Welt ist, Kriege und das Böse aber durchaus zu dieser Welt gehören und zur Not auch mit Mitteln der Welt bekämpft werden müssen. Stephan Jütte, Leiter und Redaktor von RefLab, vertrat eher diese These.

Von der Ohrfeige zu den Raketen

Es wurde nicht diskutiert, ob man die Will-Smith-Ohrfeige bei der Oscar-Verleihung unter «Gewalt» einordnen sollte – einig waren sich die Gesprächspartner darin, dass sie gemischte Gefühle und einen Schock auslösten, wobei interessanterweise die Frau von Will Smith als die eher Leidtragende des Männergeplänkels dargestellt wurde.

Zum Glück ging das Gespräch recht bald in Richtung der Gewalt, die die Welt im Moment ungleich mehr beschäftigt, nämlich Putins Aggression in der Ukraine. Hier waren sich die Gesprächspartner einig, dass wir vom gemütlichen Wohnzimmer aus kein Recht haben, den Ukrainern vorzuschreiben, wie sie reagieren und ihr Land verteidigen sollen. Riki Neufeld musste sich selbst – angesichts eines gewalttätigen Bruders – seine Friedensposition mühsam erarbeiten; er wies darauf hin, dass es in der Ukraine eine deutlich ausgebildete pazifistische Tradition gibt und dass entsprechende gewaltlose Aktionen im Moment in den Medien zu wenig vorkämen. Stephan Jütte wies auf der anderen Seite auf die Gewaltfeldzüge Putins in den letzten Jahren in anderen Regionen der Welt hin und beklagte, dass der Westen diesen immer tatenlos zugesehen hat.

«Hätte Jesus eine dreijährige Tochter gehabt…»

Stephan Maag hatte vor kurzem in einem Livenet-Talk erklärt, dass das Evangelium in seiner Verbreitung klar ohne Gewalt vorgehen müsse; aber seine Familie würde er persönlich mit der Waffe verteidigen. Hier scheuten die Gesprächspartner auch theologisch dünnes Eis nicht. «Was wäre, wenn Jesus ein Kind gehabt hätte und das hätte verteidigen müssen?» Dahinter steht die Frage, wie weit Jesus- und überhaupt Bibelworte aus dem Zusammenhang zu verstehen sind und ob wir sie immer zu allgemeinen Maximen machen dürfen.

In eine ähnliche Richtung geht die Frage eines Zuschauers, ob die – immer persönlich gehaltenen – Jesusworte zum Thema Gewalt überhaupt als Maximen für politisches Handeln geeignet sind. Kann man mit Jesusworten Politik machen? Die Frage wird bekanntlich sehr kontrovers beantwortet. Für Stephan Jütte ist klar: «Manchmal ist das Eingreifen in einem Krieg eine Befreiungshandlung. Es gibt Dinge, die wichtiger sind als das eigene Überleben und für die es sich zu sterben lohnt.»

Es geht oft nicht ohne Schuldigwerden

Wertvoll war Jüttes Hinweis auf Dietrich Bonhoeffer, der die Spannung nicht auflöst, sondern zum Thema «Tyrannenmord» festhält: egal, ob ich mit Gewalt reagiere oder mich gewaltlos verhalte – in jedem Fall scheitere ich und werde schuldig und kann nur auf die Gnade Gottes hoffen. Angesichts des sehr realen Bösen gibt es in vielen Gewaltsituationen kein «schuldfreies» Handeln. Selbst Mahatma Gandhi soll sinngemäss erklärt haben: «Wenn ich die Wahl habe zwischen passivem Zuschauen, wie jemand getötet wird, und eingreifen, muss ich mich fürs Töten entscheiden.»

Auf friedliche und wertschätzende Art stellten beide Gesprächspartner fest, dass zur Frage von Gewalt, Kriegsdienst und Waffen verschiedene biblische Positionen möglich sind und wir alle unseren Horizont, unser Gottesbild – und schlussendlich auch unsere Emotionen und unser eigenes Herz immer wieder hinterfragen und erweitern lassen müssen.

Hier können Sie den kompletten Talk ansehen:

Zur Website:
RefLab
Bienenberg
CAS im Umgang mit Konflikten und Friedensbeförderung
Blog Benni Kraus

Zum Thema:
Livenet-Talk: Was können wir für den Frieden tun?
Regula Lehman: Empörung ist billig
Warum Beten etwas anderes ist: «Pray for Putin» – echt jetzt?

Datum: 01.04.2022
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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