Mehr als (nur) Mode

Neue Würde für Frauen aus der Zwangsprostitution

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Rahel Arizmendi (Bild: zVg)
«Dignity Fashion» ist mehr als ein Modelabel. Die Kleider werden von Frauen produziert, die aus der Zwangsprostitution gerettet wurden. Rahel Arizmendi und ihr Team vertreiben die Kleider und unterstützen die Arbeit in Indien.

Rahel Arizmendi (26) ist verheiratet mit einem Mexikaner und lebt in Tägerwilen am Bodensee. Als Teil einer Gruppe, reiste sie 2016 zum ersten Mal nach Indien. Dabei sollte sich ein kurzer Besuch bei Chaiim, einer Schneiderei in Mumbai, in ihrem Leben als wegweisend erweisen.

Chaiim: Neue Würde für Frauen aus der Zwangsprostitution

Chaiim (das hebräische Wort bedeutet Leben) bildet Frauen, welche aus der Zwangsprostitution gerettet worden sind, zu Scheiderinnen aus. «Die meisten dieser Frauen wurden im Alter von zwölf bis vierzehn Jahren von Verwandten oder Loverboys verkauft», erzählt Rahel. «Da Frauen in Indien als wertlos gelten, kann das Verbrechen des Menschenhandels gedeihen.»

Manchmal würde Menschenhandel bei Razzien auffliegen und die Mädchen dann in staatlichen Heimen untergebracht. Sobald sie achtzehn Jahre alt sind, stehen sie dann aber auf der Strasse. Aus dieser Not heraus wurde Chaiim gegründet. Ein Ort, wo diese Frauen Würde und eine Berufsausbildung erhalten.

Kurzer Besuch mit grossen Folgen

Schon seit Jahren liebäugelte Rahel mit einem Missionseinsatz. «Dabei empfand ich regelmässig, dass die von Europäern aufgebauten Werke nicht nachhaltig sind. Sind die 'Weissen' weg, bleibt die Arbeit stehen.» So hielt sie Ausschau nach guten Beispielen. «Als ich das Konzept von Chaiim in Indien sah, wusste ich sofort, dass ich genau nach so etwas gesucht hatte.» Während des höchstens zweistündigen Besuchs bei Chaiim begann Rahels Herz höher zu schlagen. Doch erst, als sie das Leiterehepaar im Folgejahr in der Schweiz besuchte, begann sie zu ahnen, dass deren Arbeit mehr mit ihrem Leben zu tun hatte.

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Chaiim in Indien (Bild: zVg)
Durch die Arbeit, welche von Indern geleitet wird, geniessen die Frauen eine Ausbildung, durch welche sie in die Selbstständigkeit kommen. Es wird ihnen auch geholfen, in den Besitz der nötigen Papiere zu kommen und ein Bankkonto zu eröffnen. In vielen praktischen Dingen des Lebens werden sie angeleitet. Nach Abschluss der Ausbildung sind die Frauen in der Lage, ihr eigenes Geschäft zu starten. «Die Frauen werden dazu gebracht, wieder Lebensträume zu haben – etwas, das sie während der Zwangsprostitution verloren haben.»

Gemeinsam den Frauen dienen

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Chaiim in Indien (Bild: zVg)
Als Rahel einer Freundin von der Tätigkeit von Chaiim erzählte, war diese sofort begeistert. In den Gesprächen mit den Chaiim-Leitern sprang dann der Funke. «Die Vision entstand, dass wir von der Schweiz aus ihrer Arbeit mitfinanzieren könnten.» Das war im Jahr 2017 und Rahels Freundin wurde ihr für die folgenden Jahren eine wertvolle Wegbegleiterin – bis sie heiratete und in eine andere Gegend umzog. Das Ziel war, die von Chaiim produzierten Kleider in der Schweiz zu verkaufen und dadurch die Arbeit in Indien zu unterstützen.

Tatsächlich wurde die Arbeit bald aufgenommen und entwickelte sich gut. Umso härter traf Rahel der Abschied ihrer Freundin. «Da wurde mir klar, dass ein Verein gegründet werden musste.» Anfang 2020 war es dann soweit und der Verein mit dem Namen «Dignity Fashion» wurde geboren. Das Ganze nahm immer mehr Form an. «Wir sind sechs Personen, die alle aus demselben Ort kommen. Interessanterweise habe ich sie alle zuvor nicht wirklich gekannt. Wann immer wir nach jemandem suchten, tauchte die entsprechende Person auf.» So stellte sich ein Team, bestehend aus einem Webmaster, einem Buchhalterehepaar und anderen Personen zusammen.

Wenn Frauen ihre Würde erkennen

Anfänglich reiste Rahel jedes Jahr nach Indien. «Es war ein Gehen auf dem Wasser. Ich hatte eine KV Ausbildung gemacht und vom Schneidern eigentlich keine Ahnung.» Doch die Motivation stimmte. Rahel erinnert sich beispielsweise an eine Frau, die ihr bereits bei ihrem ersten Besuch aufgefallen war. «Ich nahm die Frau wahr, weil sie sehr abweisend auf uns reagierte. Als ich den Produktionsraum bei meinem zweiten Besuch betrat, rannte diese Frau fast auf mich zu und bot mir etwas zum Trinken an.» Die Veränderung, welche diese Frau in ihrem ersten Jahr bei Chaiim durchmachte, überwältigte Rahel. «Ihre ganze Ausstrahlung war komplett anders geworden.» Das Engagement für diese Frauen lohnte sich wirklich!

Motiviert in die Zukunft

Die meisten Frauen sind zwischen 18 und 25 Jahren alt, vereinzelt auch etwas älter. «Es sind Frauen in meinem Alter, mit denen ich während der letzten Jahre schon einige Freundschaften aufbauen konnte.» Die Begegnungen sind immer sehr rührend und motivieren Rahel für ihren Einsatz in der Schweiz. «Wir haben einen Onlineshop, über welchen wir Kleider verkaufen und im Oktober 2022 haben wir ein Ladenlokal in Gottlieben eröffnet.» Rahel freut sich auf den Shop, wo sie Kunden auch einen Kaffee anbieten kann. «Immer wieder werden wir von verschiedensten Gruppen eingeladen, um von unserer Arbeit zu erzählen.» So besuchten Rahel und ihr Team schon Jugendgottesdienste, Frauengruppen, Schulklassen oder Kirchen. Die Gruppen waren sehr unterschiedlich, Rahel freut sich aber immer, ihre Leidenschaft mit Interessierten teilen zu können.

Es gibt so viel Not in dieser Welt, so viele Orte, wo angepackt werden kann. «Ich möchte Leute ermutigen, Dinge einfach mal zu starten und auszuprobieren», blickt Rahel über ihre eigene Arbeit hinaus. «Als wir anfingen, hatten wir keine Ahnung und es kam gut. Doch auch wenn wir gescheitert wären, würde die Erfahrung für mich eine Bereicherung sein.»

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Datum: 02.12.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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