Glaube und Sucht
Religion kann bei Süchtigen wertvolle Ressource sein
Der christliche Glaube und Gebete können Suchtkranken einen Halt und eine Perspektive geben. Das sagte die Seelsorgerin Simone Bell-D'Avis im Deutschlandfunk. Allerdings seien Gebete kein geeignetes Therapiemittel.
Die katholische Theologin Simone Bell-D'Avis hält den Glauben für eine wertvolle Ressource im Umgang mit Süchten. Im Interview des Deutschlandfunks betont sie, dass der Gedanke, Gott immer an seiner Seite zu wissen, auch für Suchtkranke sehr wertvoll sein könne. Die Theologin hat über das Verhältnis von Christentum und Sucht promoviert und lange in der Suchtberatung gearbeitet.
Wenn es bei Religion nur darum gehe, stark sein zu müssen, sei sie keine geeignete Ressource im Kampf gegen eine Sucht. Wer in schwierigen Situationen bete, müsse sich immer im Klaren sein, dass das Beten keine Naturgesetze aufhebe. Insofern sei das Beten selbst keine Therapie. Oft nutzten Menschen das Gebet, um sich der Liebe Gottes zu versichern. «Aber ich darf nicht davon ausgehen, dass Gott eingreift und mir jetzt quasi irgendetwas schenkt oder mich vor einer Krankheit bewahrt.» Das wäre für Bell-D'Avis eine zynische Sichtweise von Religion. Denn offen bleibe die Frage, warum Gott den einen rette und den anderen nicht.
Problemlagen nicht aus der Gemeinde heraus projizieren
Mit Beten allein könne man nicht von einer Sucht loskommen, aber das Gebet könne dabei unterstützen, sich der Liebe Gottes zu vergewissern und nicht mehr aus der Angst heraus zu leben. Für gefährlich hält Bell-D’Avis die Argumentation, dass es Menschen besser gehe, wenn sie mehr beteten. Das Gebet dürfe nicht «moralisch instrumentalisiert» werden.
Die Theologin findet es schwierig, wenn die verfasste Kirche sich auf die Arbeitsteilung zwischen Gemeinde und Caritas berufe. Dadurch würden Problemlagen aus der Gemeinde heraus projiziert und Armen oder Suchtkranke in den eigenen Reihen übersehen und ausgeschlossen.
Wer die Angebote der Anonymen Alkoholiker besuche, habe oft schon den Tod vor Augen gehabt. Andere Einrichtungen versuchten, ähnlich wie in einem Kloster, mit intensiver Gemeinschaft und Gebet das Suchtproblem zu bearbeiten. Beide Herangehensweisen könne man als Suchtmittel-Ersatz interpretieren. Da diese aber Leben retteten, seien sie vertretbar. Wer in seiner Sucht Einsamkeit und Verlust erlebt habe, dem helfe ein Ort der Gemeinschaft und des Vertrauens, um von seinem Gift wegzukommen.
Zum Originalartikel von PRO
Zum Thema:
Ermutigender Song nach Überdosis: «Wir haben mehr mit Süchtigen gemeinsam als wir ahnen»
Macht Religion Angst?: Spirituelle Konflikte, Ängste und der Einfluss der Persönlichkeit
Neue Studie zeigt: Geistliche Erfahrungen verbessern die psychische Gesundheit
Autor: Johannes Blöcher-Weil
Quelle: PRO Medienmagazin