«New Monastics» ausbilden
«Sich auf ein Abenteuer mit Gott einlassen»
Das Stadtkloster Thun und
die «Alte Gärtnerei» Steffisburg bilden in einer neuartigen Schulung junge Menschen aus,
eigene «New Monastic Communities» in ganz Europa zu gründen. Der Name ist
Programm: «Adventure of the 300». Wir sprachen mit Mike Bischoff, einem der
Leiter der Schulung.Livenet: Mike Bischoff, woher kommt der Name «Adventure of the 300»?
Mike Bischoff: Das kommt aus der Gideon-Geschichte, wo sich 300 Mutige mit
Gideon auf das Abenteuer einlassen. Wir suchen Leute, die bereit sind, sich auf
ein Abenteuer mit Gott einzulassen. Wir laden sie zu einer aussergewöhnlichen
Ausbildung ein mit qualifizierten Lektionen, persönlicher Herausforderung in
einem Enduro-Kurs, einer Pilgerreise und als Bonus einer Einführung ins
Bogenschiessen.
Abenteuer – für eine Generation, die recht verwöhnt ist?
Es ist schon eine Gegenbewegung zu einem Leben, das
durchstrukturiert und wo alles verfügbar ist. Viele sind gesättigt in der
Multi-Options-Gesellschaft und fragen sich: «War das jetzt alles?» Gerade junge
Leute fragen sich das. Man sieht das auch an der ganzen Outdoor-Begeisterung.
Biken, Wandern, Gleitschirm – sogar Zelten ist wieder «in».
Bei uns geht's nicht primär um Outdoor, obwohl wir da starke Elemente drinhaben. Grundsätzlich suchen wir Leute, die mehr von Gott erwarten.
In der Männerwelt wird ja seit Jahren der «wilde Mann» gefordert und
gefördert …
Genau. Wir bieten nicht ein klassisches Schulmodell an, das
man absitzt und absolviert. A300 ist mehr ein ganzheitliches Erlebnis als ein
klassischer Lehrgang. Aber das Abenteuer ist nicht unsere Grundmotivation. Wir
möchten nicht primär Abenteuer-Sucher,
sondern Leute ausrüsten, die eigene Gemeinschaften gründen können und so
die «neue monastische Bewegung» fördern. Das ist in sich ein Abenteuer, das
auch in der Stadt erlebt werden kann.
Man kennt sie als «Urban Monks» (Mönche in der Stadt), die einen
gemeinschaftlichen Lebensstil des Gebets und der Arbeit in der Stadt leben.
Konkret: wie unterscheidet sich «A300» von anderen Ausbildungen wie ISTL oder
IGW?
Es geht uns ja nicht darum, eine Alternative für gängige
theologische Kurse anzubieten. Schon vom
Zeitaufwand ist A300 nicht vergleichbar mit einer mehrjährigen theologischen
Ausbildung. Wir haben einen modularen Aufbau innerhalb von zwei Jahren. Du bist in deinem
Beruf und bekommst monatliche Skype-Gespräche, die dich weiterbringen. Dazu
kommen zehn Tage im Sommer, wo du gemeinsam in der Gruppe lernst. Wir machen
Reisen und lernen Gemeinschaften in anderen Länden kennen. Im März war ich z.B.
mit einer Gruppe in Deutschland bei der Gemeinschaft «Polylux», einer
24/7-Gemeinschaft, die in Ex-DDR-Plattenbauten lebt. Sie leben sehr einfach,
urban, sozial. Unterrichtssprache ist Englisch, da wir Leute aus ganz Europa
ansprechen wollen.
Über Auffahrt haben wir das Enduro-Modul, wo die Teilnehmer viel draussen sind, übernachten und Aufgaben lösen müssen – alles Elemente, die in einer klassischen Ausbildung nicht vorkommen. Immer wieder haben wir auch im Sommerkurs ganzheitliche Elemente drin, z.B. Bogenschiessen, Enduro und andere körperliche Übungen. Als Abschluss schicken wir die Teilnehmer auf eine Pilgerschaft durch Europa, wo sie ganz eigene Erfahrungen machen.
Wo kommen die Interessenten her? Wie findet ihr sie?
Wir selbst als Stadtkloster Thun und «Alte Gärtnerei / Manor
House» Steffisburg sind ja Teil des weltweiten 24/7-Netzwerks. Das ist unsere
geistliche Familie, und in diesem Kontext werden Leute auf uns aufmerksam. Die
24/7-Bewegung hat ja schon lange die «Boiler Rooms» - aus dem Gebet haben sich
Gemeinschaften entwickelt. Wir treten aber auch im evangelikalen Bereich auf,
z.B. hatten wir einen Stand an der EXPLO.
Wird hier eine neue geistliche Elite herangezüchtet?
Gute Frage. Elite im abgrenzenden Sinn ist sicher nicht
unser Ziel. Es geht uns nicht um abgehobene Cracks, sondern einfach um Leute,
die bereit sind, sich auf einen unkonventionellen Lebensstil einzulassen:
mutig, neue Wege zu beschreiten und sich auf ganzheitliche Herausforderungen
einzulassen. Das würde ich aber nicht als «geistliche Elite» bezeichnen.
«New Monasticism» ist in der evangelikalen Szene noch nicht allzu
bekannt …
Bewegungen rund um das gemeinschaftliche Leben hat es schon
immer gegeben – von den alten Orden und Klöstern bis hin zu neuen evangelischen
Lebensgemeinschaften. Der Begriff selbst bezieht sich auf ein Bonhoeffer-Zitat,
wo er in den 30er Jahren in einem Brief an seinen Bruder schreibt: «Die Restauration der Kirche kommt gewiss aus einer
Art neuen Mönchtums, das mit der alten nur die Kompromisslosigkeit eines Lebens
nach der Bergpredigt in der Nachfolge Christi gemeinsam hat. Ich glaube, es ist
an der Zeit, hierfür die Menschen zu sammeln. Es gibt doch nun einmal Dinge,
für die es sich lohnt, kompromisslos einzutreten. Und mir scheint der Friede
und die soziale Gerechtigkeit oder eigentlich Christus, sei so etwas.»
Jonathan Wilson benutzte den Begriff «New type of monasticism» zum ersten Mal 1998 in seinem Buch «Living Faithfully in a Fragmented World».
«Mönchtum»
klingt nach «Männer, Asket, Einzelzelle» …
Natürlich sind wir nicht eine Kopie der alten Mönche und
Klöster, die sicher in ihrer Zeit Grosses erreicht haben. Die meisten der «New
Monastics» sind evangelisch, Single oder verheiratet, haben oft
Familie. Wir werden einfach angesprochen von den geistlichen Schätzen des Klosterlebens,
die wir im 21. Jahrhundert aufzunehmen versuchen.
Welche
Elemente übernehmt ihr zum Beispiel?
Da ist vor allem einmal das regelmässige Gebet – im Falle der
«Alten Gärtnerei» jeden Abend. Am Morgen fangen die, die können, den Tag mit
gemeinsamem Bibellesen an. In Anlehnung an die Benediktiner arbeiten wir auch
gemeinsam mit unseren Händen. Wir unterziehen uns sehr bewusst dem Rhythmus des
Kirchenjahres, was z.B. für unsere Kinder sehr wichtig ist. Weiter sind wir gastfreundlich und nehmen
Menschen bei uns auf, die unterwegs sind. Wir feiern viel, und auch ein Bier
schmeckt uns …
Welche
Auswirkung hat solch eine geschlossene Lebensgemeinschaft auf die Gesellschaft?
Wir leben verbindlich, aber nicht abgeschlossen. Wir haben viele
Gäste, die inspiriert werden und sind so ein Katalysator für andere
Lebensgemeinschaften. Wir möchten ein Modell sein, wie man Berufsalltag, Ehe
und Familie mit geistlichem Rhythmus verbinden kann. Das ist nicht spektakulär,
aber es zeigt, wie man heute ganzheitlich in Gemeinschaft leben kann. Als Einzelne sind wir in der Wirtschaft, in
den Medien und in der Politik tätig – und unser Leben hat seine Auswirkungen in
diesen Bereichen.
Die
alten Kelten gingen in Europa auf Missionsreise. Worin besteht die «Mission»
von monastischen Bewegungen?
Wir setzen ein Zeichen für einen bewussten, gemeinschaftlichen
alternativen Lebensstil. Menschen kommen vorbei, schauen rein und nehmen eine
Zeitlang an unserem Leben teil. Vor allem aber motivieren wir andere, selbst
solche Gemeinschaften zu gründen und damit ein Zeichen des Reiches Gottes in
unserer Gesellschaft zu setzen. Wir können durch unsere Gemeinschaft keine
Therapie anbieten, aber immer wieder in sozialen Notfällen helfen. Ausserdem
beten wir über Jahre hinweg für Menschen und Situationen. Diese «Mission» ist
auch nicht zu unterschätzen. Wir sind noch klein, aber es kommt immer wieder
vor, dass Menschen bei uns hineinschauen, die Schönheit des Zusammenlebens
sehen und dann selbst anfangen, Jesus nachzufolgen.
Es
gibt ja die drei Grundstrukturen im Volk Gottes: Missionsgesellschaften,
Kirchen/Gemeinden und Klöster. Wie ist euer Verhältnis zu den Kirchen und
Gemeinden an eurem Wohnort?
Das ist lokal sehr verschieden. An vielen Orten sind gerade die
24/7-Initiativen lebendiger Teil der örtlichen Gemeinde und Allianz. Es gibt
Gemeinschaften, die die Mitglieder als ihre geistliche «Heimat» ansehen, an
anderen Orten gehen sie durchaus noch in eine örtliche Gemeinde. Da sind wir
frei. Grundsätzlich sehen wir uns als Ergänzung zu den örtlichen Gemeinden,
nicht als Alternative oder gar Konkurrenz. Jede der drei Strukturen hat ja ihre
Stärken und Schwächen. Wir können keine grossen Gottesdienste anbieten, aber im
Kleinen die Einübung in Gemeinschaft anbieten.
Was
ist der Unterschied zu «normalen» christlichen Wohngemeinschaften? Die gibt's
ja schon lange …
Berechtigte Frage. Ich habe selbst lange in einer WG gelebt. Der
Unterschied ist in der höheren Verbindlichkeit als in einer durchschnittlichen
WG. Dazu kommt der Lebens- und Gebetsrhythmus. WGs sind in der Regel weniger
strukturiert als unsere Gemeinschaften. Wir sind auch keine Kommune, jeder hat
sein Privatleben, seine Wohnung und seinen Rückzugsort.
Was
sind die Haupt-Inspiratoren für neue monastische Bewegungen?
Da ist die Bibel - das Alte Testament mit seinen Festen und wie
die Christen im Neuen Testament zusammengelebt haben – dann die keltischen
Klostergemeinschaften und in der Neuzeit Dietrich Bonhoeffer. Aber auch
Herrnhut und die modernen Boiler Rooms sind wichtige Wurzeln.
Wo
gibt’s in Europa überall noch solche modernen Klostergemeinschaften?
In England, aber auch in Holland haben wir einige gefunden, dann
in Deutschland und der Schweiz. Das Netzwerk sind wir erst am Aufbauen. Mit
unserer «Tafelrunde» möchten wir solche Gemeinschaften zunehmend vernetzen.
Zum Thema:
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet