Für «unperfekte Eltern»
Wie christliche Erziehung gelingen kann
Was ist überhaupt christlich an einer christlichen Erziehung? Und wie sieht das praktisch aus? In einem Praxisbuch gehen zahlreiche Fachleute auf offene Fragen ein.
Im Februar veröffentlichten der Praktische Theologe Tobias Faix und der Erziehungswissenschafter Tobias Künkler die Ergebnisse ihrer Familienstudie, die sie während zwei Jahren unter religiös engagierten Eltern durchgeführt hatten. Nun ist das Praxisbuch dazu erschienen.
Antwort auf Unsicherheiten bei der Erziehung
Aufgrund der Studie entwickelte das Team ein Praxisbuch mit dem Titel «Frei erziehen – Halt geben. Christliche Erziehung für unperfekte Eltern». Das Buch nimmt vor allem die Themen auf, bei denen die Studie Unsicherheiten bei den befragten Eltern festgestellt hat. Ein spezieller Fokus liegt dabei auf der Frage, ob und wie Kinder in den christlichen Glauben eingeführt werden können, ohne dass ihnen ein dogmatischer Glaube übergestülpt wird, der ihr Leben mehr belastet als beglückt. Zu diesem und anderem Thema kommen jeweils Autorinnen und Autoren zu Wort, welche die Veränderungen in der Pädagogik und in der Gesellschaft wahrgenommen haben und biblische Aussagen und Werte damit in einen Zusammenhang bringen können. Sie gehen davon aus, dass diese Veränderungen auch vielfältige positive Ansätze für eine christliche Erziehung hervorgebracht haben.Christliche Erziehung als Manipulation?
Eine Erziehung zum Glauben gilt heute unter Kinderpsychologen als umstritten. Sie wird als unerlaubte Manipulation diskreditiert und ist zum Beispiel für das Personal in einem christlichen Kinderheim ein Tabu. Künkler und Faix gehen dagegen davon aus, dass es ein Bedürfnis der Kinder gibt, auf Fragen nach Anfang, Ende und dem Sinn des Lebens Antworten zu bekommen. Sie verweisen darauf, dass das Kind oft selbst religiöse Fragen stellt – und damit nicht selten die Eltern überfordert. Laut der Pädagogin Rachel Suhre ist es kein Widerspruch, Kinder zu selbstbewussten und eigenständigen Persönlichkeiten zu erziehen und sie gleichzeitig auf einem Weg zu begleiten, der sie in eine Beziehung mit Gott führt. Die Gottesbeziehung soll dabei vor dem Einhalten religiöser Regeln stehen. Statt Glauben aufzudrängen, soll das Vorleben Priorität haben. Ziel soll die eigenständige Entscheidung des Kindes zum Glauben sein. Eltern hilft es in Spannungssituationen, ihre Kinder immer auch als «Kinder Gottes» zu sehen.
Und die andern Religionen?
Es wäre blauäugig zu denken, dass ein Kind heute nur von der Religion des Elternhauses beeinflusst wird. In der Schule, auf dem Pausenplatz und in den sozialen Medien sind auch die andern Religionen ein Thema. Wie sollen Eltern damit umgehen. Der Theologe und Pädagoge Matti Schindehütte rät zu einem angstfreien Umgang mit andern Religionen. Gerade in der Begegnung mit andern Religionen gewinne der eigene Glaube an Profil. Der Besuch einer Moschee oder Synagoge könne zum spannenden Lernprozess werden. Auch am Esstisch seien Erfahrungen und Kontakte mit Menschen anderer Religionen ein Thema, das überraschende Einsichten zutage fördere.
Rituale vertiefen den Glauben
Ein weiteres Kapitel ist den Ritualen und Gebeten gewidmet. Die Sozialwissenschafterin Christiane Schurian-Bremecker sellt verschiedene Formen vor und gibt Ratschläge: Erstens: Schaffen Sie eine Tagesstruktur, in der eine feste Zeit eingebaut ist, die Sie mit den Kindern verbringen. Zweitens: Suchen Sie dazu einen Ort, der ruhig ist, an dem Sie alle zusammen sind und nicht gestört werden. Drittens: Überlegen Sie ganz bewusst, wie Sie in einem hektischen und chaotischen Alltag rituelle Elemente einbauen, die regelmässig stattfinden.
Theologisieren mit Kindern
Bettina Wendland, Redaktorin bei der Familienzeitschrift «family», formuliert fünf Kinderfragen, die letztlich religiös beantwortet werden müssen. Sie weist darauf hin, dass Kinder von selbst mit diesen Fragen (zum Beispiel zum Tod) zu den Eltern kommen. Die Fragen seien je nach Entwicklung der Kinder unterschiedlich zu beantworten, Eltern müssten aber nicht immer eine schlüssige Antwort haben. Sie weist auf die Idee des «Theologisierens mit Kindern» hin, die in der Religionspädagogik vor 15 Jahren aufgenommen worden sei. Eltern oder Religionspädagogen könnten mit Kindern im Gespräch gemeinsam Antworten finden und entdecken. Gleichberechtigt und auf Augenhöhe. Dabei kämen oft Antworten auf, die auch Erwachsenen neue Einsichten vermitteln, auch wenn es nicht «die richtige Antwort» sei.
In weiteren Kapiteln nimmt das Buch auch den Umgang mit Spannungsfeldern (Grenzen setzen, Konsequenzen), den digitalen Medien, Sexualerziehung und die Rolle der christlichen Kirche auf. Ein hilfreiches Buch, das von kompetenten Leuten in einer Sprache geschrieben ist, die keine Gehirnakrobatik verlangt.
Zum Thema:
Studie zu Erziehung: Wie wachsen Kinder in christlichen Familien heute auf?
Fünf Gedanken zur Erziehung: Zusammen essen ist kontrakulturell … und deshalb so wichtig
Christliche Erziehung: Was tun, wenn sich mein Kind gegen den Glauben entscheidet?
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet / Schweizerische Stiftung für die Familie