Wycliffe bietet Sprachunterricht
«Sprache ist der Schlüssel zur Integration»
Wycliffe übersetzt die Bibel nicht einzig in die Sprachen aus aller Herren Länder – das Werk leistet auch einen Beitrag dazu, dass Flüchtlinge die deutsche Sprache besser lernen können. Dies mit Unterlagen namens «Deutsch für Flüchtlinge». Interessierte können dadurch selbst zu Unterrichtenden werden. Wir unterhielten uns mit Kathrin Pope von Wycliffe über diesen Kurs.
Kathrin Pope: Zuhören ist der erste Schritt. Der Sprachpate – so nennen wir den «Lehrer» – sagt Dinge, die der Lernende dank der begleitenden Bewegungen und unterstützenden Bilder verstehen kann. Dies geschieht interaktiv und spielerisch. Es wird viel gelacht und gleichzeitig intensiv gearbeitet. Wenn möglich werden Teile der Stunde aufgenommen, zum Beispiel aufs Smartphone. So kann der Lernende das Gelernte zuhause vertiefen. Wenn er neue Wörter genügend oft gehört hat, purzeln sie ihm automatisch aus dem Mund, ohne dass er sie je «gebüffelt» hat. Auch Grammatik kann man auf diesem Weg vermitteln – also nicht, indem abstrakte Regeln gelehrt werden, sondern durch wiederholtes Hören, bis der Lernende weiss, «wie es klingen muss». Es ist ähnlich, wie wenn ein Kind sprechen lernt. Dies als ganz kurze Zusammenfassung.
Was bieten Sie nun bei Wycliffe konkret an?
Wir bieten die Unterlagen «Deutsch für Flüchtlinge» an, die man kostenlos auf der Webseite von Wycliffe Schweiz herunterladen kann. Diese Unterlagen unterstützen Laien darin, nach den beschriebenen Grundsätzen Deutschunterricht zu geben. Es ist aber nicht jedermanns Sache, sich nur aufgrund von schriftlichen Materialien vorzustellen, wie das genau ablaufen soll. Deshalb bieten wir auch halb- oder ganztägige Seminare für Laien an, in denen wir diesen Sprachlern-Ansatz vorstellen und auch gleich praktisch üben.
Wie viele Flüchtlinge und Asylsuchende haben durch Ihre Arbeit bereits Deutsch gelernt?
Schwer zu sagen. Die schriftlichen Unterlagen sind seit November 2015 verfügbar, und Workshops gibt es seit März 2016. Insgesamt waren es bisher etwa 150 Teilnehmer. Ich schätze, dass rund die Hälfte nun den Ansatz anwendet, jeder wird zwischen fünf und zehn Schüler haben.
Wie ist dieses Projekt entstanden?
Die deutschen Wycliffe-Kollegen erhielten ab Frühling 2015 zahlreiche Anfragen von Menschen, die sich ehrenamtlich im Deutschunterricht für Flüchtlinge engagieren wollten, aber mit den traditionellen Lehrbüchern nicht viel anfangen konnten. «Wycliffe arbeitet ja mit Sprachen, also wisst ihr doch sicher etwas übers Sprachelernen!», hiess es oft. Das stimmt zwar, aber wir hatten bisher einen anderen Blickwinkel: Menschen gehen in ein fremdes Land und wollen dort eine Sprache lernen. Dazu hatten wir viele Unterlagen und Hilfsmittel. Nun war aber das Umgekehrte gefragt: Fremde Menschen kommen zu uns, und wir möchten ihnen unsere Sprache beibringen.
Der erste Gedanke war, Seminare anzubieten. Es wurde bald klar, dass dies unrealistisch ist. Deutschland ist ein grosses Land, Wycliffe hat ein kleines Team. Also musste etwas her, was man ins Internet stellen kann. Wir entwickelten die schriftlichen Unterlagen dafür und drehten ein paar kurze Videos. Dann zeigte sich, dass es doch auch Seminare braucht. In der Deutschschweiz fanden bisher sieben solche Seminare statt, bei Bedarf bieten wir gern weitere an. Auch in der Westschweiz tut sich etwas.
Gleichzeitig scheint auch Integrationsarbeit zu geschehen. Wie muss man sich dies vorstellen?
Die ehrenamtlichen Sprachpaten sind meist motiviert, nicht nur Deutsch zu unterrichten, sondern zu den Lernenden auch Beziehungen aufzubauen. Unser Motto ist: «Sprache ist der Schlüssel zur Integration». Dazu braucht es Beziehungen. Wenn niemand bereit ist, sich auf die Fremden einzulassen, sie kennenzulernen, mit ihnen Zeit zu verbringen, ihnen zu erklären, wie die Schweizer «ticken», was man hier macht und nicht macht, dann bleiben sie Fremde.
Sie sind zudem Sprachlernexpertin bei Wycliffe. Wie sieht diese Arbeit aus?
Ich unterrichte dieselben Sprachlernmethoden in ein- oder zweiwöchigen Blockkursen auf dem Wycliffe-Zentrum in Deutschland. Dort werden Leute ausgebildet, die irgendwo im Ausland eine Sprachbarriere überwinden müssen. Gerne würde ich solche Kurse auch in der Schweiz anbieten. Wenn Sie eine fremde Sprache lernen, mit welchem Ziel auch immer, kommen Sie in der Regel viel schneller und mit mehr Freude voran, wenn Sie diese Grundlagen kennen.
Zudem biete ich Sprachlern-Beratung an, zur Hauptsache per E-Mail oder Skype. Ich bin auch schon zweimal ins Ausland gereist, um mit Sprachelernenden direkt vor Ort zusammenzuarbeiten. Da war zum Beispiel eine Gruppe in Senegal, die den Eindruck hatte, dass sie mit ihren Sprachpaten immer über die gleichen Dinge reden und keine Fortschritte mehr machen. Ich konnte ihnen zahlreiche Ideen vermitteln, wie sie effizienter arbeiten können. Dies hat ihnen frischen Schwung gegeben.
Wycliffe setzt sich ja stets für Übersetzung der Bibel ein. Haben Sie auch damit Erfahrung?
Ja, während zehn Jahren war das meine Hauptaufgabe. Ich lebte in Nordwest-Benin (Westafrika) und habe die Übersetzung des Neuen Testamentes auf Waama geleitet. Waama wird von etwa 60'000 Menschen gesprochen. 1995 wurde das Neue Testament eingeweiht. Seither sind die Waama-Gemeinden noch stärker gewachsen als vorher. Sie haben gemerkt, dass sie auch das Alte Testament brauchen. So wurde die Übersetzungsarbeit vor etwa fünf Jahren wieder aufgenommen.
Zur Webseite:
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Quelle: Livenet