Ein Theologe im Livenet-Talk
Christian A. Schwarz: «Gott ist unkaputtbar!»
Christian A. Schwarz ist der Empiriker unter den Theologen. Jetzt legt der Vater der «Natürlichen Gemeindeentwicklung NGE» sein neues Buch vor: «Gott ist unkaputtbar». Ein Livenet-Talk mit Florian Wüthrich.
Christian A. Schwarz (62) steht dafür, dass er Fragen rund um persönliches und gemeindliches Wachstum aus einer gefühlten in eine nachgefragte Wirklichkeit herausgehoben hat. 1994 begann der Theologe damit, Gemeinden nach qualitativen Kriterien ihres Alltags zu befragen. Das begann mit respektablen 1'000 Gemeinden und bewegt sich heute bei 75'000 Gemeinden weltweit.
Inzwischen liefern die Daten dieser wissenschaftlichen Primärstudie eine Fülle an Informationen über Gemeindeentwicklungen und Trends der letzten Jahre. Einige davon hat Schwarz in seinem aktuellen Buch «Gott ist unkaputtbar. 12 Antworten auf die Relevanzkrise des Christentums» zusammengefasst.
Hauptpunkt Relevanzkrise
Was viele fühlen oder ahnen, belegt Christian A. Schwarz mit seinen Forschungsergebnissen: Momentan findet ein epochaler Wandel im Christentum statt – und zwar weltweit. Von der Hauskirche in China über die Megachurch in den USA bis hin zur Landeskirche in Nordfriesland. Der Wandel äussert sich durchaus unterschiedlich, aber in den letzten sechs bis acht Jahren gab es einen «participation shift» – das Beteiligungsverhalten in Gemeinden (z. B. am Gottesdienst) hat sich deutlich verändert. Christen besuchen nach wie vor Gottesdienste, aber längst nicht mehr so regelmässig wie früher. Tatsächlich ist dies ein weltweites Phänomen.
Wie kann Kirche und Gemeinde trotzdem relevant bleiben? Ein Geheimnis wachsender Gemeinden sei es, die Bedürfnisse von Menschen anzusprechen. Diese sind heute durchaus anders als vor zehn Jahren. Und relevant ist dabei das, was andere Menschen als relevant empfinden, nicht das, was in irgendwelchen Plänen von Gemeinde verabschiedet wurde.
Die Bonhoefferfrage
Der Theologe und Widerstandskämpfer des Dritten Reichs formulierte einmal, dass man den transzendenten Gott mitten im Leben erfahren müsste. Gott ist aktiv, verändernd und gestaltend. Wer ihn nicht so erlebt, hat laut Schwarz «ein Relevanzproblem» – und zwar völlig unabhängig von Denomination und Frömmigkeitsstil, denn diese persönliche Ebene ist unabdingbar. Versöhnlich ergänzt Schwarz: «…aber daran kann man arbeiten.»
Lernen von der Ostkirche
Die orthodoxen Kirchen stehen für mehr als für Ikonen und Zwiebeltürme, ihr Glaube wird bestimmt von einem Staunen über Gottes Geheimnis. Tatsächlich lässt sich zeigen, dass das, was der Westkirche am meisten fehlt, in der Ostkirche liegt – und dass das, was die Ostkirche braucht, von der Westkirche angeboten wird.
Leider findet in diesen Richtungen kaum Kommunikation statt, obwohl damit so viel Bereicherung möglich wäre. Erneuerungskonferenzen im Westen haben oft als Ergebnis, dass sich die Gemeinden noch mehr Richtung «Westen» entwickeln, anstatt die Schätze der Ostkirche zu entdecken. Leider verschärfen sie damit ihr Problem. Entgegen mancher Ängste müssten sie weder «katholisch» noch «orthodox» werden, aber sie könnten von deren Sichtweise profitieren – so wie diese Kirchen von ihnen profitieren können. Schwarz unterstreicht: «Diesen vorhandenen, aber verborgenen Schatz müssen wir heben, wenn wir echte Erneuerung wollen.»
Messbare Qualität
Der Anspruch auf qualitatives Wachstum gehört zum christlichen Glauben. Anders als manche denken, führt er dazu, dass Gemeinden Bereiche definieren können, in denen sie dieses Wachstum erleben oder fördern. Die «natürliche Gemeindeentwicklung» hat dazu acht Qualitätskriterien entwickelt, die gemeindliche Qualität nicht nur messbar, sondern auch veränderbar machen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit auch des zahlenmässigen Wachstums. Die Basis dazu ist dieses «Gott persönlich erleben». Nur wenn das stattfindet, geschieht ein Verbundensein mit Gott – unabhängig von theologischen Ausrichtungen.
Die Welt ist mündig geworden
Das betonte bereits Dietrich Bonhoeffer in den 1930er-Jahren. Bonhoeffer schrieb damals bewusst für die Zukunft, in eine andere Zeit hinein – in unsere. Schon damals war ihm klar, dass paternalistisches Bevormunden in Zukunft nicht mehr möglich wäre, stattdessen suchte er Begegnungen auf Augenhöhe.
Konkret bedeutet dies, dass Christen im Umgang mit Andersdenkenden gemeinsames Terrain suchen, dass sie Erfahrungen betonen, bei denen Gottes Energie spürbar ist. Durch ein Miteinander auf Augenhöhe entsteht so eine neue Dynamik. Schwarz erklärt dies am Beispiel des Dialoges mit einem Muslim, dem er sagte: «Ich will von dir als Muslim lernen, weil ich ein besserer Christ werden möchte.» Auf dieser Basis, die dem anderen nichts verkaufen, aber auf ihn hören will, wachsen Freundschaft und Vertrauen – und das Evangelium findet hier seinen Platz. So werden christliche Gesprächspartner für andere wieder interessant.
Eine sehr konkrete Möglichkeit ist es, im Gespräch den Begriff «Gott» durch «Energie» zu ersetzen. Das mag sich esoterisch anhören, aber es verhindert das Gleichsetzen von «Gott» mit «Kreuzzügen». Schwarz betont, dass dies kein Spiel mit Worten und Begriffen ist, sondern es dabei um biblische Substanz geht – der Begriff «Energie» ist nicht nur ein häufiges Synonym für Gott selbst, sondern hat zum Beispiel in der Ostkirche theologisch einen hohen Stellenwert – in der westlichen Theologie kommt er dagegen nicht vor, doch das liesse sich durchaus ändern.
Thema Fundamentalismus
Während er darüber nachdenkt, was Gemeinde wachsen lässt, spricht Schwarz auch über das Thema des Fundamentalismus. Dabei geht es ihm nicht um die Liebe zur Bibel, sondern um vorgefasste, feste Meinungen, mit denen manche Christen an die Bibel herantreten. Für ihn ist dies ein Holzweg. «Dabei geht es nicht um meine persönliche Meinung, die ist relativ uninteressant.» Stattdessen bemüht Schwarz die Ergebnisse seiner Studie. Er hat mit seinem Team einen «Fundamentalismus-Quotienten» entwickelt. Wenn der bei einer Gemeinde sehr hoch ist und sich die Gemeinde dann mit NGE auseinandersetzt, dann sinkt dieser Fundamentalismus. Die Folge davon ist keine «Ich nehme die Bibel nicht mehr ernst»-Haltung, sondern tatsächlich eine gestiegene Liebe zur Bibel und eine neue Hingabe an Evangelisation. Das sind keine Mutmassungen, sondern konkrete Ergebnisse der vorliegenden Umfragen.
Schwarz erfährt es immer wieder, dass sein Reden von der «Energie Gottes» keine Lernbereitschaft hervorruft, sondern einen Abwehrmechanismus. Begeisterung für die Bibel? Fehlanzeige. Stattdessen schiebt sich hier eine Lehre in den Vordergrund, die kaum biblische Grundlagen hat. Tatsächlich stellt sich bei einigen vehementen Gegnern bald heraus, dass sie weniger die Bibel verteidigen als ihre eigene Komfortzone – «sola scriptura» ist hier nur noch ein Schlagwort. Dabei reicht eine Lehre von Gott nicht aus, stattdessen braucht jeder Mensch die persönliche Begegnung mit Gott und der Bibel. Das ist mehr als Gefühl, denn es bedeutet, Dinge anders zu machen, Veränderung zu akzeptieren.
Unkaputtbar
Es scheint so, als wäre Hingabe an Christus nicht mehr gleichzusetzen mit regelmässiger Beteiligung z. B. an Gottesdiensten. Deshalb sollte es gar nicht das Ziel sein, alle Christen jeden Sonntag in einer Gemeinde zu versammeln. Stattdessen sollten sie fürs Leben als Christen in ihrem Alltag ausgerüstet werden. Natürlich kann hier der wöchentliche Gottesdienst eine wichtige Rolle spielen, doch Dreh- und Angelpunkt des Glaubens ist er nicht.
«Unkaputtbar» als Titel klingt erst einmal salopp, aber dahinter steht, dass Gott ewig und unzerstörbar ist. Energie lässt sich nicht wegnehmen. Gott kommt mit seinen Gemeinden zu seinem Ziel – und er gebraucht uns trotzdem dabei, während Gottes transzendente Welt mit unserem Diesseits in Kontakt tritt.
Sehen Sie sich hier den Livenet-Talk mit Christian A. Schwarz an:
Zum Buch:
Gott ist unkaputtbar
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet-Talk