Gespräch mit Giuseppe Gracia
Journalisten sollten mehr hinterfragen
Zum Sommergespräch begrüsst Livenet-Chefredaktor Florian Wüthrich Giuseppe Gracia, welcher bis 2021 Sprecher des Bistums Chur war. Es geht um sein neues Buch, aber auch um Themen wie die freie Meinungsäusserung.
Anfang Jahr, während des Lockdowns, war Giuseppe Gracia depressiv verstimmt. Zu sehen, wie Menschen nicht mehr nach draussen gingen, sich nicht mehr begegneten und umarmten setzte ihm zu. «Einerseits verstehe ich, dass Menschen aufpassen, um einander nicht anzustecken. Andererseits finde ich es gefährlich, wenn der Mitmensch nur noch als Gefahr wahrgenommen wird.» Um sich selbst aufzuheitern, entschied er, etwas Lustiges zu schreiben und so entstand das Buch «Der Tod ist ein Kommunist».
Das Buch «Der Tod ist ein Kommunist»
Der Roman beschreibt einen Professor, welcher in die psychiatrische Klinik eingeliefert wird, weil er behauptete, eine Impfung würde Männer unfruchtbar machen. In der Klinik wird er von seinem Freund Hofstetter besucht, welcher ihn vergeblich zur Vernunft zu bringen versucht. Hofstetter wird dann von einer Gruppe Männern entführt, die behaupten, aus der Zukunft gekommen zu sein, um die Welt zu retten. Den Roman zu schreiben, war für Gracia eine Verarbeitung seiner Beobachtung mit einer Brise Humor. «Der Lockdown entlarvt, welche Dinge wir als notwendig erachten.»
Im Roman bleiben Abtreibungskliniken, Bordelle und Schnapsläden offen, während Kirchen und kulturelle Einrichtungen schliessen müssen. «Alles, was den Geist und die Seele betrifft, wurde geschlossen», sagt Gracia. Dieser Sachverhalt sei für unsere Gesellschaft derart entlarvend gewesen, dass er es unbedingt in seinem Roman einbauen wollte. «Das ist einen Witz wert», sagt er und offenbart einen humorvollen Umgang mit seinen Beobachtungen. Mit dem Buch gelang es ihm jedenfalls, sich seine depressive Stimmung vom Leib zu schreiben.
Dinge auf den Punkt gebracht
«Ich habe mich einfach lustig gemacht über die Pläne von uns Menschen», erklärt Gracia. «Es gab schon viele mächtige Menschen mit grossen Plänen. Sie sind alle gestorben.» Und dann fügt er mit Augenzwickern an: «Und meistens während der Woche.» Ja, der Tod macht alle Menschen gleich.
Mit dem Roman hinterfragt Gracia aber gesellschaftliches Geschehen auch kritisch. Zum Beispiel hält er fest, dass der Staat nicht zu einer Moralvorstellung zwingen darf. Es sei normal, dass Atheisten andere Moralvorstellungen hätten als Christen. Der Staat sei nicht dazu da, dies zu vereinheitlichen. Vielmehr sei es Aufgabe des Staates, für das Recht zu sorgen. «Es ist unheimlich, wenn von einer Wertegemeinschaft Europas gesprochen wird.» Das würde ja heissen, dass wir alle dieselbe Moral haben und das widerspreche unserer Religions- und Meinungsfreiheit.
Der Journalismus hat seine Aufgabe vernachlässigt
Es sei Aufgabe der Journalisten, die Machthabenden zu hinterfragen; zum Schutz des Volkes. «Während Corona, aber auch schon vorher, habe ich beobachtet, dass Journalisten zuerst einmal für die Machthabenden stehen. Dem Bundesrat und der Regierung wird erst einmal Recht gegeben und der Bürger, der sich dagegen auflehnt, als Trottel hingestellt.»
Die Journalisten sollten aber die Macht hinterfragen und nicht den Bürger. «Natürlich ist das Volk manchmal auch dumm. Das heisst aber nicht, dass ich als Journalist mich auf die Seite der Machthabenden stellen darf. Das ist eine ganz problematische Entwicklung.» Eine Demokratie ohne regierungskritische Medien sei eigentlich undenkbar.
Die negativen Konsequenzen freier Meinungsäusserung
Als Sprecher des Bistums Chur wurde Giuseppe Gracia entlassen und ist jetzt seit März ohne Arbeit. «Leider kann ich allein vom Schreiben nicht leben und bin deshalb auf Mandate als Berater angewiesen. Ich merke jetzt, wie schwierig es ist, eine Arbeitsstelle zu finden, nachdem ich mich mit meiner Haltung exponiert habe. Mehrmals habe ich mich öffentlich gegen Abtreibung und Euthanasie ausgesprochen und wurde dadurch als radikal wahrgenommen.» Noch bedenklicher findet er, dass selbst bürgerliche Unternehmer ihn aus Imagegründen nicht engagieren. «Wenn sich bürgerliche Menschen aus Angst vor Konsequenzen nicht mehr exponieren, dann wird es niemand mehr tun.»
Er selbst empfehle jungen Menschen bei öffentlicher Meinungsäusserung Vorsicht. «Ich empfehle jungen Personen, sich öffentliche Aussagen gut zu überlegen. Ein solcher Rat ist in einer freien Gesellschaft aber traurig.» Gracia sieht auch ein Problem darin, dass liberale, konservative und bürgerliche Arbeitgeber ihre Gleichgesinnten nicht in Schutz nehmen.
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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet