Adly Youssef
Endlich frei über die Unterdrückung reden
«Ägypten ist ein moslemischer Staat geworden», sagt Youssef. Die Rechte der Christen würden massiv missachtet. Eine ganze Generation von Ägyptern sei im Fanatismus aufgewachsen. «Wenn nichts geschieht, passiert mit den Kopten das Gleiche wie mit den Menschen in Darfur im Sudan ... » – Ein Interview mit Adly Youssef über die Lage in seinem Land und seine persönlichen Ziele.
Livenet.ch: Wie ist die Situation für die Christen in Ägypten?
Adly Youssef: Wegen des Einflusses der Moslem-Bruderschaft ist sie sehr schlecht, und das seit 25 Jahren. Die Menschen adaptieren die wahabitische Form des Islam, das heisst, sie hassen andere Religionen ausserhalb ihrer eigenen Tradition. Die wahabitische Rechtssprechung erlaubt sogar das Töten. Wer einen Christen oder Juden umbringt, kommt nicht vor Gericht. Das ist der Fortschritt, seit Khomeini 1979 einen ersten islamischen „Gottesstaat“ im Nahen Osten etabliert hat. Hinter vielem stehen die Saudis. Sie investieren Unsummen, um den wahabitischen Islam rund um den Globus zu fördern; mit Moscheen und Kulturzentren.
Haben Sie ein Beispiel?
In Ägypten wurden in einer Stadt 23 Christen umgebracht. Aber das Gesetz befand niemanden für schuldig. Dieser Fall war ein Skandal. Und was geschah? Nichts! Sondern das «Freedom House»* in New York wurde angegriffen, weil es publik machte, dass man keinen der Mörder zur Rechenschaft zog. Auch Häuser der Christen wurden zerstört. Das ist in der wahabitischen Auslegung alles möglich.
Wie sieht das in der Schweiz aus?
In Genf, im Jura und im Aargau gibt es viele islamistische Lehren; auch in Zürich. Ich erinnere mich an eine CD, auf der ein Imam, der in der Schweiz lebt, dieses Land beleidigt. Ich hab nicht gehört, dass die Behörden ihn deswegen ausgewiesen hätten. Frankreich und England haben inzwischen damit angefangen. Die Schweiz, denke ich, hat Angst. 6,5 Prozent der Bevölkerung können grosse Probleme machen. Viele dieser Aktivisten haben hier Asyl erhalten. Sie sagten, sie seien in ihrem Land unterdrückt worden. Und jetzt unterdrücken sie uns hier.
Sie wollten Präsident werden. Aber dann haben Sie Ihre Kandidatur zurückgezogen. Warum?
Als ich von freien Wahlen hörte, bin ich eingestiegen. Denn ich bin in Ägypten sehr populär, auch bei vielen Moslems. Und zwar wegen meines Alters und meiner langjährigen Beziehungen. Aber dann machte das Parlament immer mehr Auflagen und Bedingungen für die Kandidaten. Alles wurde so zugeschnitten, dass nur eine Person gewinnen konnte, nämlich Herr Mubarak. Was sollte ich in ein Rennen gehen, das wegen schmutziger Tricks schon im voraus hundertprozentig gelaufen war? Das war ein Theater, keine freie Wahl. Von den neun verbliebenen Gegenkandidaten waren nur zwei ernst zu nehmen. Die anderen waren Dekoration.
Diese Fakten wurden sogar in der ägyptischen Presse kritisiert. Leute wurden für ihre Stimmen bezahlt, und auch die Polizei schmierte kräftig mit. Regierungsgeld wurde dafür eingesetzt, damit Mubarak an der Macht bleibt; Steuergelder, die auch von den Kopten stammten.
Wie beurteilen Sie nun den Ausgang der Wahl?
Eigentlich ist Mubaraks 40jähriger Sohn Gamal an der Macht. Die wirklichen Aktionen kommen von ihm. Die USA akzeptieren das, weil ihnen das lieber ist als die Moslem-Bruderschaft. Zusätzliche Probleme könnten sie sich gar nicht leisten. Sie sind schon mit Syrien, dem Irak und dem Iran beschäftigt. Das allein dauert im besten Fall noch drei bis fünf Jahre. Es ist eine sehr unstabile Gegend, und die Leute in Ägypten sind drauf und dran, wahabitische Extremisten zu werden. Sie stehen dann in einer Reihe mit dem Iran und dem wahabitischen Saudi-Arabien. Eine ganze Generation ist schon so aufgewachsen und kennt nichts Normales.
Wie sah denn Ihr Programm aus?
Ich hatte eines, das detailliert jeden Lebensbereich abdeckt. Es wurde auch in der Presse publiziert und von den Intellektuellen willkommen geheissen, jedenfalls von denen, die sich um Ägypten sorgen und nicht nur um sich und ihr Portemonnaie. Das Programm beinhaltet viele Änderungen für Ägypten. Die Zerstörung des Landes ist so kolossal, dass man dieses Programm nicht in einer einigen Besprechung durchgehen kann. Nur schon die Hauptpunkte würden eine halbe Stunde dauern.
Im wesentlichen aber geht es darum, einen religiösen Staat in einen liberalen Staat umzuwandeln. Heute ist der Islam die Staatsreligion, und alle Gesetze lehnen sich an die Scharia an. Es ist mittlerweile wie in Saudi-Arabien. – Der zweite Punkt ist, das Medienministerium so zu ändern, dass die Medien wirklich frei sind und nicht vom Staat kontrolliert.
Geben Sie jetzt auf oder warten Sie auf eine neue Gelegenheit?
Ich habe gesehen, dass manche Parteien und die freie Presse einige Punkte aus meinem Programm aufgegriffen und unterstützt haben. Das ist also ein Anfang auf dem Weg zu einer Freiheit mit Menschenrechten, Religionsfreiheit und Demokratie. Denn jetzt haben wir einen Polizeistaat. Das zu ändern ist nicht einfach; das dauert Dekaden. In der Schule zum Beispiel erleben wir seit 30 Jahren eine religiöse Bildung. Da muss erst eine ganz neue Generation heranwachsen. Mit ihren Wahlauflagen haben sie uns die Türe vor der Nase zugeschlagen.
Wollen Sie weitermachen?
Es gibt viele, die nicht zufrieden sind. Aber die Ägypter leben seit 6000 Jahren unter Druck. Das sind keine Leute, die sich auflehnen. Sie machen keine Revolte. Aber sie sind gar nicht zufrieden. Die grosse Gefahr ist die Moslem-Bruderschaft. Die hat alles infiltriert: die Armee, die Polizei, das Rechtssystem. Aus Ägypten ist ein moslemischer Staat geworden. Es sieht extrem schlecht für die Zukunft aus. Die heutige Generation ist mit dem Fanatismus grossgeworden. Kirchen sind nicht erlaubt; dafür aber Moscheen. Wenn nichts geschieht, passiert mit den Kopten das Gleiche wie mit den Menschen in Darfur im Sudan ...
Mubarak hat Schritte auf Israel zu gemacht. Bedeutet das auch etwas für die Christen in seinem eigenen Land?
Ich halte das für ein wenig Dekoration. Die Grundstruktur bleibt dieselbe. Denn bei wesentlichen Änderungen würde ihn die Moslem-Bruderschaft nicht mehr nur plagen, sondern umbringen. Sie haben es ja schon probiert. Ich denke nicht, dass er frei ist. Für die Zukunft sehe ich also sehr, sehr schwarz.
Sie erwähnten Fördergelder aus Saudi-Arabien. Wie funktioniert dieser Geldfluss?
Das Geld kommt aus deren Staatsbudget. Vor 30 Jahren starteten sie das islamische Ministerium. Dieses lässt Moscheen bauen und den Koran drucken. Es etabliert auch Leute rund um den Globus, wie in Lugano, wo es eine Moschee, eine Bibliothek und eine Bank gibt. Sie haben ein riesiges Netzwerk aufgebaut.
Sie stehen vor einem neuen Kopten-Symposium. Was sind diesmal Ihre Hoffnungen?
Das erste war ein voller Erfolg. Die Probleme der Kopten wurden nach aussen getragen. Ägypten ist demaskiert worden. Aber die Regierung nahm sich keiner unserer acht Resolutionen an. Nun haben wir vom 13. bis 16. Oktober in Washington ein weiteres Symposium. Dort machen wir das in grossem Stil publik, dass unsere Regierung nicht reagiert hat. Wir gehen viele internationale Menschenrechts-Organisationen an und solche, die sich für Religionsfreiheit einsetzen. Ich bin sicher, Ägypten wird sich danach bewegen.
Beim letzten Symposium fragten wir Sie, ob dieses Treffen in einer Linie sehen mit Theodor Herzls Zionistenkongress 1897 in Basel. Wie schätzen Sie das inzwischen ein?
Es gab definitiv ein internationales Aufwachen. Denn Ägypten ist ein Diktatorenstaat, ein Polizeistaat. Man kann von innen her nichts tun. Jetzt haben war das Problem nach aussen getragen, und die Unterdrückung ist zum weltweiten Thema geworden. Wer im Inland geplagt wird, kann sich nun nach aussen wenden. Es gibt ein internationales Recht, und das wollen wir auch anwenden.
Sind Sie ein wenig wie Moses, der sein Volk befreit?
Nun, so etwas Ähnliches kommt dabei heraus. Wegen der Unterdrückung leben über 1,5 Millionen Kopten ausserhalb Ägyptens, also 15 Prozent der koptischen Gesellschaft. In fünf bis sieben Jahre werden es wohl zwei Millionen sein. Und sie alle haben viele Verwandte und Bekannte im Land. Die Regierung hat nicht realisiert, dass sie im Ausland nun 1,5 Millionen Feinde hat, die hier problemlos über die Unterdrückung sprechen können.
Warum sind Sie in die Schweiz gekommen?
Wegen der Pressalien, die im Jahr 1952 mit der Nasser-Revolution begannen. Diese Revolution wurde 1955 in Jeddah in Saudi-Arabien bei der arabischen Konferenz bestätigt. Das Ziel war, den ganzen Nahen Osten von Christen zu „reinigen“. Ich beschloß, mit den Kindern und meiner Frau in ein anderes Land zu emigrieren. Im Alter von 40 war das sehr schwierig, mein Land und meine Leute zu verlassen. Aber ich kam. Ich hätte nicht gedacht, dass es in Ägypten so schnell geht und dass es so schlimm wird.
Was haben Sie vorher gemacht?
Ich war nie Politiker. Ich hatte eine Maschinenbau-Firma mit 270 Angestellten. Wir vertrieben auch Dinge aus anderen Ländern. Zwei Jahre bevor wir hierher kamen, begann ich hier eine Arbeit aufzubauen. Ich sah voraus, dass diese Männer eine moslemische Polizeidiktatur aufbauen würden. Diese Szenarien sind eingetroffen.
Hier findet man Ägypten sehr romantisch – dank den Pyramiden, Meer, Palmen und so. Macht Sie das wütend?
Wer so denkt, hat absolut recht. Für einen Touristen ist das sehr romantisch. Aber wenn sie sich niederlassen, wird sich ihre Meinung total ändern. Ich erlebte das Gleiche hier. Die ersten anderthalb Jahre hatte ich keine Bewilligung und wohnte im Hotel. Ich war wie ein Besucher und wurde königlich behandelt. Als ich mich dann niederliess, änderte sich das massiv. Das ist wohl überall.
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch