Mehr als eine Krippenfigur
Josef: Zurückhaltend, aber voller Wärme und Stärke
In der Bibel steht nicht viel über Josef, den Adoptivvater des menschgewordenen Gottes. Aber die wenigen Aussagen zeigen uns einen Menschen, der immer wieder bereit war, sein Leben umkrempeln zu lassen.
Josef war wohl nie ein Mann der ersten Reihe. Er war der Sohn Jakobs – genauso wie sein alttestamentlicher Namensvetter. Er lebte in Nazareth, knapp 30 Kilometer neben dem See Genezareth, damals ein Dorf mit vielleicht 500 Einwohnern. Josef war Zimmermann, doch das war ein anderer Beruf als heute: Ein «tekton» war Architekt und Baumeister in einem und arbeitete sowohl mit Holz als auch mit Steinen. In jedem Fall war es einer der anspruchsvolleren Handwerksberufe. Dass Jesus zu Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit nur als «Sohn der Maria» (Markus, Kapitel 6, Vers 3) bezeichnet wird, zeigt relativ deutlich, dass Josef da nicht mehr lebte.
Josef ist zurückhaltend
«Wenn Gott einen Menschen beruft, dann geschieht etwas Grosses», heisst es manchmal. Allerdings spiegeln Sätze wie diese eher die extrovertierte Persönlichkeit des Berufenen wider als den Gott, der dahintersteht, denn wenn Gott eine leise Person beruft, wird die nicht unbedingt laut. Das sehen wir bei Josef, der ein zurückhaltender Mensch war – im besten Sinne.
Und so wurde Jesus Christus geboren: Seine Mutter Maria war mit Josef verlobt. Noch bevor sie geheiratet und miteinander geschlafen hatten, erwartete Maria ein Kind. Sie war vom Heiligen Geist schwanger geworden. Josef war ein Mann, der sich an Gottes Gebote hielt, er wollte Maria aber auch nicht öffentlich blossstellen. So überlegte er, die Verlobung stillschweigend aufzulösen. Noch während er darüber nachdachte, erschien ihm im Traum ein Engel des Herrn und sagte: «Josef, du Nachkomme von David, zögere nicht, Maria zu heiraten! Denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn zur Welt bringen, den sollst du Jesus nennen ('Der Herr rettet'). Denn er wird die Menschen seines Volkes von ihren Sünden befreien.» […] Als Josef aufwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm aufgetragen hatte, und heiratete Maria. (Matthäus, Kapitel 1, Vers 18-21 und 24)
Hat Maria es Josef erzählt? Hat der Dorfklatsch ganze Arbeit geleistet? Oder hat Josef es selbst gesehen? Wir wissen es nicht. Aber irgendwann realisierte Josef, dass seine Verlobte Maria schwanger war. Er hatte sich zurückgehalten, also konnte er nicht der Vater sein. Als frommer Mann kannte er das Gesetz: Wenn ein Mann mit der Frau eines anderen die Ehe bricht, sollen beide getötet werden. (3. Mose, Kapitel 20, Vers 10)
Josef hätte nur zu den Ältesten der Stadt gehen müssen und erklären, dass er nicht der Vater war, dann wäre Maria möglicherweise gesteinigt worden. Als Verlobte galt sie quasi als verheiratet. Josef tat nichts dergleichen, stattdessen überlegte er sich, die Verlobung in aller Stille aufzulösen, damit Maria frei wäre für eine Ehe zu ihrem scheinbaren Liebhaber. Doch dann träumte Josef, so wie sein alttestamentlicher Namensvetter. Und im Traum erklärte ihm ein Engel die Sachlage: «Maria erwartet Gottes Kind. Aber dieses Kind braucht auch einen irdischen Vater.» Josef machte keinen grossen Aufstand. Er heiratete Maria – egal was die Menschen um sie herum sagten.
Josef war ein besonderer Mensch. Er liess sich von Gott überzeugen, gegen Gottes Gebot zu handeln. Er empfing einzigartige Offenbarungen und hängte sie nicht an die grosse Glocke. Stattdessen heiratete er seine Maria und arbeitete weiter als Zimmermann. Ohne Josefs zurückhaltende Art hätte Weihnachten nicht stattgefunden.
Josef lässt sein Leben umlenken
Mit seinem Ja zu Maria bekam Josefs Leben eine neue Richtung. Vieles hatte er sich vorher sicher anders vorgestellt. Aber es gab noch mehr Veränderungen:
Nachdem die Sterndeuter fortgezogen waren, kam ein Engel des Herrn im Traum zu Josef und befahl ihm: «Steh schnell auf und flieh mit dem Kind und seiner Mutter nach Ägypten! Bleibt so lange dort, bis ich dir etwas anderes sage, denn Herodes lässt das Kind suchen und will es umbringen.» Da brach Josef noch in der Nacht mit Maria und dem Kind nach Ägypten auf. Dort blieben sie mit Jesus bis zum Tod von Herodes. So erfüllte sich, was der Herr durch seinen Propheten angekündigt hatte: «Ich habe meinen Sohn aus Ägypten gerufen.» […] Als Herodes gestorben war, hatte Josef in Ägypten einen Traum. Darin erschien ihm wieder ein Engel des Herrn und befahl ihm: «Steh auf und kehre mit dem Kind und seiner Mutter heim nach Israel! Die Leute, die das Kind umbringen wollten, sind tot.» Josef gehorchte und ging mit Maria und dem Kind nach Israel zurück. (Matthäus, Kapitel 2, Vers 13-15 und 19-21)
Das Leben eines galiläischen Handwerkers war damals relativ festgelegt: In den Betrieb des Vaters einsteigen und ihn übernehmen, heiraten, Kinder bekommen, arbeiten und da leben, wo man schon immer gelebt hat. Es gab weder eine Weltreise nach dem Abitur noch die Frage, ob man nicht vielleicht doch lieber Philosophie studieren sollte. Das Leben war festgelegt – eigentlich.
Doch Josef scherte aus. Ein Engel warnte ihn im Traum vor Herodes' Rache und Josef packte seine Siebensachen und floh so weit weg, wie noch niemand aus seinem Umfeld jemals gekommen war. Er liess sich ein auf ein Leben als Fremdarbeiter, Asylant und Wirtschaftsflüchtling – übrigens schon wieder wie sein Namensvetter aus dem Alten Testament, der ja ebenfalls nach Ägypten ging. Josef liess sein Leben umlenken. Er war bodenständig, aber mehr als das: Er war gehorsam. Und für die Sicherheit seiner Familie nahm er diese Schwierigkeiten auf sich. Ohne Josefs Bereitschaft, sein ganzes Leben neu zu denken, hätte Weihnachten nicht stattgefunden.
Glaube ist ein selbstverständlicher Teil seines Lebens
Handwerker sind Realisten. Wenn ein Mann zu Josef kam und ihm erklärte: «Ich hätte gern einen kleinen Palast mit Türmchen und Erkerchen, mit Spitzbögen und einem wunderschönen Innenhof. Kannst du mir das bauen?» Dann antwortete Josef lächelnd: «Ich kann es zwar bauen, aber du kannst es nicht bezahlen. Wie wäre es stattdessen mit einem normalen Reihenhaus à la Nazareth, wie es fast jeder hat?» Trotz seines Realitätssinns ging Josef sehr selbstverständlich damit um, dass Gott ihm durch seine Engel immer wieder im Traum begegnete. Er sagte nicht: «Gestern habe ich wohl etwas Falsches gegessen – ich hatte so seltsame Träume…» Nein, für ihn war es klar, dass Gott so reden kann, wenn er das möchte.
Wir wissen nicht, welche geistlichen Erfahrungen Josef sonst noch gemacht hat. Wir wissen nur, dass er Gottes Stimme erkannte und umsetzte, was er gehört hatte. Dabei war sein Glaube nicht theoretisch, sondern gehörte zur Kategorie: «Ich werde der Adoptivvater Gottes und dafür muss ich mehrmals umziehen, fliehen und mein gesamtes Leben gerät aus den Fugen.»
Glaube war ein selbstverständlicher Teil von Josefs Leben. Er war ein besonderer Mensch. Scheinbar kam er genauso gut damit zurecht, dass Gott ihn direkt ansprach wie damit, dass er es irgendwann nicht mehr tat. Denn nach dem dramatischen Start in seine Ehe und sein Vatersein musste Gott nicht mehr regelmässig mit ihm reden – und tat es wahrscheinlich auch nicht. Was Josef nicht daran hinderte, weiter seinen Glauben zu leben. Ohne das selbstverständliche Hören von Josef auf Gott hätte Weihnachten nicht stattgefunden.
Josef ist für Jesus da – koste es, was es wolle
Im Normalfall überschlägt man die Kosten, wenn man etwas anschaffen will oder eine Entscheidung ansteht. Und manchmal ist uns der Preis zu hoch – dann lässt man es. Es ist sinnvoll und gut, Kosten zu überschlagen. Soll ich mir dieses Auto anschaffen? Will ich drei Jahre meines Lebens investieren, um an eine Bibelschule zu gehen? Auf solche Fragen gibt es keine allgemeingültigen Antworten. Wir können andere fragen und auch Gott, letztlich müssen wir die Kosten überschlagen und eine Entscheidung treffen.
So wie Josef, als der Engel ihm im Traum sagte, dass er Maria zu sich nehmen sollte. Da hätte er natürlich sagen können: «Langsam, das ist mir alles eine Nummer zu gross. Ich weiss, dass ich ein ganz entfernter Nachkomme von König David bin, aber ich bin Zimmermann, niemand, der einen König erziehen könnte. Ich kann oft nicht einmal mir selbst helfen – und du redest vom Retter der ganzen Welt? Ausserdem wird mir diese Story mit der Jungfrauengeburt ewig nachhängen. Das wird mir niemand glauben. Um es kurz zu machen: Ich bin der Falsche. Such dir jemanden anderen.» Das hätte Josef sagen können. Stattdessen weiss er, dass ihn seine Entscheidung unendlich viel kosten wird, aber er sagt einfach: «Ja.»
Er zahlt den Preis. Josef ist für Jesus da – koste es, was es wolle. Dazu gehört sogar, dass er bis heute fast unter der Wahrnehmungsgrenze verschwunden ist. Maria hat noch einen gewissen Stellenwert bei vielen Christen, aber Josef? Den gibt es eben. Zum Beispiel als Krippenfigur. Dabei war er ein Mensch aus Fleisch und Blut. Mit einem grossen Herzen. Mit einem tragfähigen Glauben. Ein Mensch, der seine Träume der Normalität von Gott durchkreuzen liess und sich auf das unfassbare Abenteuer einliess, Ziehvater von Gottes Sohn zu werden. Wenn wir Josef sagen würden: «Aber damit hättest du doch ganz gross herauskommen können…», würde er vermutlich nur lächeln und sagen: «Na und? Das wollte ich noch nie.»
Gut, dass es Josef gibt. Gut, dass es Menschen wie ihn bis heute gibt, die unaufgeregt für Gott und andere da sind, ohne im Vordergrund stehen zu müssen. Ohne Josef, der die Kosten überschlagen und trotzdem Ja gesagt hat, hätte Weihnachten nicht stattgefunden. Wie wird Josef oft dargestellt? Nie als strahlender Held. Aber oft als Mann mit einer kleinen Laterne, die ein warmes Licht gibt. Solche Menschen brauchen wir bis heute.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet