Sommer-Serie

Elke Werner: Überrascht von Hoffnung

Zuversicht und Hoffnung während der Coronazeit? Genau diesem Thema widmete Andreas Boppart, Missionsleiter von Campus für Christus, ein Buch. Er lässt dabei verschiedene Persönlichkeiten zu Wort kommen. Elke Werner, Referentin und Autorin, schreibt, wie sie Gefallen am «neuen Leben» gefunden hat.

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Elke Werner
Wir alle lieben angenehme Überraschungen. Und das Leben bietet viele davon: ein unerwarteter Besuch, eine Gehaltserhöhung, die Ankündigung einer Geburt, eine glückliche Wendung in schweren Umständen… wer würde sich da nicht freuen? Doch es gibt Überraschungen, die wir nicht lieben und die uns in Unsicherheit stürzen. So kann sich das Leben innerhalb von wenigen Minuten, ja Sekunden komplett verändern. Die Kündigung der Arbeitsstelle oder des Mietvertrags, eine Diagnose, die die Lebenserwartung verändert, Betrug oder Verleumdung – all das sind böse Überraschungen.

Corona als böse Überraschung

In der Zeitschrift New Scientist wurde am 17. Januar 2009 der Begriff Überraschung definiert als «Wechsel der Erwartung aufgrund des Eintreffens neuer Daten». Und genau das erleben wir gerade in den Corona-Zeiten. Ein gefährliches Virus verbreitet sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit weltweit und wir alle erwarten ständig die neuen Daten, um entsprechend unser Verhalten zu ändern. Aber ändern wir auch unsere Erwartungen?

Es ist leichter, sich auf der Verhaltensebene zu ändern – also einen Mundschutz zu tragen, die Hände noch einmal gründlicher zu waschen als wir das bisher vielleicht getan haben, den Abstand zu wahren und Kontakte zu reduzieren –, als sich mit den eigenen Erwartungen an das Leben an sich und vor allem an das eigene Leben zu beschäftigen. Was erwarte ich in und von meinem Leben? Und was erwarte ich von Gott in meinem Leben? Ändern die Corona-Daten etwas an meiner Beziehung zu Menschen und zu Gott?

Covid-19 hat uns alle kalt erwischt. Wir hatten doch alles so gut im Griff! Unser Leben im Wohlstand, abgesichert in einem uns wohlwollenden Staat mit hervorragendem Gesundheitswesen und einem umfassenden Sozialsystem. Wir kannten uns aus in unserem Alltag mit der beruflichen und familiären Herausforderung, unsere Freizeit- und Urlaubsplanung stand fest und weckte Vorfreude. All das war von der Erwartung auf ein schönes und sich hoffentlich immer weiter verbesserndes Leben geprägt. Doch dann kam Corona … und eine böse Überraschung nahm ihren Anfang.

Für manche Menschen ist dies vielleicht die erste bedrohliche Krise im Leben. Neu für uns alle ist, dass es eine Gefährdung ist, die alle Länder der Welt gleichzeitig betrifft. Wir werden nun rund um die Uhr an diese Bedrohung erinnert. Die Medien versorgen uns mit Daten, Statistiken sowie Bildern von Patienten auf den Intensivstationen in aller Welt.

Erinnerungen an eigene Krankenhausaufenthalte

Diese erschreckenden Bilder haben mich persönlich an meine eigenen Aufenthalte im Krankenhaus und auf solchen Stationen erinnert. Da war sie wieder: die Angst vor der Hilflosigkeit, dem Ausgeliefertsein, das ich von diesen Aufenthalten nur allzu gut kenne. Einer Krankheit ausgeliefert zu sein, ja, sogar seinem eigenen Körper, der nicht mehr das tut, was man von ihm wünscht, ist schwer auszuhalten. Weder mit dem eigenen Willen noch mit guten Gedanken kann man seinen eigenen Körper von der Krankheit und sich selbst aus der Situation befreien. Das ist kaum zu ertragen, vor allem für jemanden wie mich, die gerne die Dinge vorausschauend plant und die Kontrolle darüber behält. Beim Anschauen der Bilder im Fernsehen muss ich mich beherrschen, damit ich mich nicht zu sehr in die beatmeten Patienten hineindenke, die ich im Fernsehen auf dem Bauch liegend sehe, umgeben von Schläuchen und Maschinen, von Menschen in Schutzkleidung und mit Mundschutz.

Erinnerungen an meinen einige Wochen andauernden Aufenthalt auf einer Isolierstation werden lebendig. Ich lag dort aufgrund einer Krebsdiagnose, gekoppelt mit einer Salmonellen-Erkrankung. Ich erinnere mich, wie ich mich danach sehnte, Gesichtszüge hinter den Masken zu erkennen und ein Lächeln oder auch nur das Zucken der Mundwinkel zu sehen, wenn ich mit einer Krankenschwester oder einem meiner Besucher sprach. Diese lebensbedrohlichen Zeiten liegen für mich schon länger zurück. Doch ihre Spuren in meinem Leben sind da und melden sich jetzt wieder lautstark. Es scheint, als ob Corona Ängste in mir aufweckt, die ich schon lange vergessen glaubte. Hat Gott denn meine Ängste noch immer nicht geheilt? Wieso tappe ich so schnell wieder in diese Falle der Angst?

Neues Leben

Die Tage vergehen schnell in dieser Corona-Zeit, auch wenn sich an den äusseren Umständen nichts verändert. Ich merke, wie meine Angst wieder nachlässt. Es ist, als ob mit der fallenden Zahl von Infektionen und Todesfällen das Virus seine Macht über mich verliert. Ich gewöhne mich an das Leben mit reduzierten Sozialkontakten, an den nun frei einteilbaren Tagesablauf ohne Termindruck, ohne durch vorher vereinbarte Zeiten gebunden zu sein. Ich freue mich über Zeit zum Lesen und Schlafen, ich fange an, die alltägliche Routine im Haushalt zu geniessen. Alles Dinge, die ich viele Jahre so nicht erlebt habe, denn mein Kalender war ausgebucht und meine Tage mit vielen Reisen, Vorträgen, Predigtdiensten in verschiedenen Ländern der Welt gefüllt.

Ich gebe zu: Dieses neue Leben gefällt mir. Mein Mann ist zu Hause – der sonst auch viel reist und unterwegs zu Sitzungen und Verkündigungsdiensten ist – und wir geniessen die gemeinsame Zeit. Ich habe mich daran gewöhnt, dass ein jüngerer Freund für uns einkaufen geht, dass wir keinen Besuch bekommen und auch keinen machen, dass wir per Zoom und WhatsApp mit Freunden und Verwandten verbunden sind, dass unsere Gottesdienste uns über den PC erreichen. Und ich ertappe mich dabei, dass ich gerne einige Teile dieses Lebens beibehalten würde: Aufstehen und schlafen gehen, wann ich es will. Kochen und essen, worauf ich gerade Lust habe (das mit dem Speiseplan ist bei den vielen Reisen, besonders in asiatische Länder, eine echte Herausforderung für mich). Jetzt kann ich lesen und fernsehen bis zum Abwinken.

Fragen über Fragen

Doch eine Frage beunruhigt mich: Wo ist Gott in dem allen? Wo bleibt Gott in meinem Leben, wenn ich nicht mehr für ihn unterwegs sein kann? Reicht es aus, dass ich viele Telefonate mit Menschen führe, die gerade an ihre Grenzen stossen? Dass ich Artikel schreibe und mehr für Familie und Freunde bete? Theoretisch weiss ich und verkündige es voller Überzeugung allerorts: Gott liebt mich, auch wenn ich nichts für ihn tun kann. Ich kann mir das Geschenk der Nähe Gottes nicht verdienen. Und jetzt, wo ich wirklich nichts für Gott tun kann, werde ich unsicher. Was ist mit meinem in meinen Augen so wichtigen Dienst für Gott? Ist das alles überflüssig? Zählt es gar nicht für Gott, dass ich um die halbe Welt reise, Schlafmangel und Krankheiten in Kauf nehme, ständig im Auto, Flugzeug oder Zug sitze, um meinen Dienst wahrnehmen zu können? Warum mache ich das alles eigentlich?

Sicher, meine Arbeitssituation ist nicht mit der von vielen anderen zu vergleichen. Ich habe keinen «Alltag». Jeder Tag ist anders. Als Frauenbeauftragte der weltweiten Lausanner Bewegung bin ich privilegiert, an viele Orte dieser Welt zu reisen und Frauen zu ermutigen. Während ich diese Zeilen schreibe, wäre ich eigentlich zu einer Frauenkonferenz in Baku, Aserbaidschan, unterwegs. Die nächste Reise würde nach Rumänien gehen. Doch das alles findet jetzt nicht statt. Vorträge bei Frühstückstreffen sind gestrichen, ebenso die Verkündigung bei einer Pfarrfrauentagung in Hessen.

Auch wenn mein Leben anders verläuft als das von vielen Menschen, denke ich, dass viele sich gerade ähnliche Fragen stellen: Braucht die Welt mich und meine Arbeitskraft eigentlich? Bin ich austauschbar, ersetzbar? Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit… das alles kann einem den Boden unter den Füssen wegziehen. Und wieder erinnere ich mich, diesmal an meinen Abschluss der Ausbildung für das Lehramt an Haupt- und Realschulen. Allen Absolventen meines Jahrgangs wurde Anfang der 1980er-Jahre vom Arbeitsamt mitgeteilt, dass wir keine Chance auf eine Anstellung in unserem Beruf hätten, auch längerfristig nicht. Ich erinnere mich an dieses Gefühl, überflüssig zu sein, nicht gebraucht zu werden.

Dabei stellte sich mir damals wie heute die Frage: Braucht Gott mich oder ist es nur so, dass ich es brauche, gebraucht zu werden? Liebt er mich, auch wenn ich nicht mehr tun kann, als abzuwarten? Wenn die Seiten in meinem Terminkalender leer bleiben? In diese Gedanken hinein überrascht mich Gott mit seiner Gnade. Es ist Gnade, dass es bei meinem Glauben nicht auf meine Leistung ankommt. Es ist dieselbe Gnade, die mir meine Schuld und meine Versäumnisse vergibt. Es ist Gnade, dass ich leben darf und gesund bin. Gnade, dass ich in einem Land leben darf, in dem ich gut versorgt bin.

Hoffnung in Jesus finden

Es mag sein, dass die schöne Jahreszeit des Frühlings mithilft, die Schwere der Corona-Gefahr abzumildern. Die Natur erwacht und mit ihr auch die Freude am Leben. Vogelstimmen, bunte Farben, Wachstum, wo das Auge hinsieht … all das tut der Seele gut. Doch reicht das aus, um mir Hoffnung zu geben? Hoffnung ist grundsätzlich anders als Wunschdenken, als der Traum vom nächsten Urlaub, als die Vorstellung der wiederhergestellten Normalität nach dem Sieg über Covid-19. Hoffnung, die mich immer wieder selbst überrascht, ist wie ein fester Punkt ganz tief in meinem Herzen. Mitten im Sturm der Gedanken ist sie das Auge im Sturm, der feste Punkt des Glaubens an Gottes Liebe tief in meinem Innern.

Meine Hoffnung hat ein festes Fundament und das gibt mir in allen Stürmen des Lebens eine Festigkeit, die mich selbst überrascht. Mein Glaube und meine Hoffnung gründen sich nicht auf äussere Umstände oder auf meine eigene Resilienz, meine Widerstandsfähigkeit, meine innere Stärke, meine Gesundheit oder meine Schaffenskraft. Meine Hoffnung ruht auf dem, was Jesus Christus schon für mich getan hat.

In Jesus finde ich den Beweis der Liebe Gottes. Er hat mich nicht theoretisch geliebt, sondern so sehr, dass er seinen Sohn Jesus auf die Erde geschickt hat, der für mich am Kreuz gestorben ist und damit alle Schuld auf sich genommen hat. In seiner Auferstehung nach drei Tagen im Grab ist meine Hoffnung, dass auch ich mit ihm auferstehen werde nach meinem Tod.

Bei dieser Hoffnung geht es nicht um meine Gefühle. Begründete Hoffnung beruht auf den Fakten, die durch Kreuz und Auferstehung ein unumstössliches und von keiner Krise gefährdetes Fundament gelegt haben: Das Leben siegt über den Tod. Wer sich mit Jesus verbindet, der wird leben, auch wenn er stirbt. So sagt es Jesus, nachzulesen im Bericht des Johannes, wo Jesus zu Marta, deren Bruder vor wenigen Tagen gestorben ist, sagt: «Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Er wird ewig leben, weil er an mich geglaubt hat, und niemals sterben. Glaubst du das, Marta?» (Johannes Kapitel 11, Verse 25-26)

Glaube ich das?

Diese Frage ist wichtig: Glaube ich das? Die Nachricht, dass Jesus den Tod überwunden hat, und dass wir deshalb im Leben und im Sterben bei ihm geborgen sind. Und dass wir mit ihm in Ewigkeit leben werden.

Diese Nachricht ist so wichtig, dass sie jeder Mensch hören sollte. Meine Hoffnung ist nicht die auf bessere Zeiten, auf Gesundheit und Wohlstand. Meine Hoffnung geht über den Tod hinaus, ja, sie hat in Jesus selbst schon den Tod überwunden. Wenn ich mir das vor Augen führe, wächst auch in mir die Hoffnung, dass ich schon bald wieder unterwegs sein werde, um Menschen auf dieses Fundament hinzuweisen.

«Denn niemand kann ein anderes Fundament legen als das, das schon gelegt ist – Jesus Christus.» (1.Korinther Kapitel 3, Vers 11) Das ist die Hoffnung, die bleibt. Die Hoffnung, die mich immer wieder neu überrascht und zum Staunen bringt.

Zur Person

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Buchcover «Hoffnung»
Elke Werner, Referentin und Autorin, verheiratet mit Roland, hofft auf die Erfindung von Schokolade ohne Kalorien

Dieser Text erschien zuerst im Buch «Hoffnung – Zuversicht in Zeiten von Corona» von Andreas Boppart.

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Datum: 01.08.2020
Autor: Elke Werner
Quelle: Buch «Hoffnung – Zuversicht in Zeiten von Corona»

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