Pfarrer über Bauernsuizide
«Medien dramatisieren die Situation»
Berichte über Suizide von Bauern in der Waadt haben jüngst auch die Deutschschweiz aufgeschreckt. Deutschschweizer Medien berichteten über die Vorfälle in der Romandie. Pfarrer Lukas Schwyn findet dies übertrieben. Als Präsident des Bäuerlichen Sorgentelefons weiss er um die Probleme der Bauern. Und diese will er auch gar nicht kleinreden.
Mehr Suizide bei Bauern?
Lukas Schwyn glaubt nicht, dass die Suizidrate bei den Bauern höher ist als in der übrigen Bevölkerung. Beweisen kann er das allerdings nicht; denn es gibt keine offizielle Statistik über die Suizide von Landwirten. «Die jüngsten Medienberichte suggerieren, dass die Bauern sich das Leben nehmen, weil ihre wirtschaftliche Situation so schwierig ist», sagt der Pfarrer. Beim Bäuerlichen Sorgentelefon stelle man aber fest, dass bei vielen Ratsuchenden persönliche oder familiäre Schwierigkeiten im Vordergrund stünden. So etwa bei dem Mann, der darunter litt, dass seinen Eltern, die bereits die erste Frau abgelehnt hatten, auch seine zweite Ehefrau nicht genehm war. Und der zudem Bauer wider Willen geworden war – den Eltern zuliebe.
Lukas Schwyn: «Meine These lautet: Die Gefahr, Suizid zu begehen, entsteht dann, wenn verschiedene Faktoren zusammenkommen. Zum Beispiel, wenn der Betrieb schlecht läuft und familiäre Probleme hinzukommen.»
Generationenkonflikte sind das Hauptproblem
Die meisten Ratsuchenden kontaktieren das Bäuerliche Sorgentelefon wegen Generationenkonflikten. «Ganz klassisch: Die Schwiegermutter oder der Schwiegervater mischen sich ständig ein.» Lukas Schwyn erzählt vom 85-jährigen Vater, der den Hof vor 20 Jahren seinem Sohn übergeben hat, aber noch immer das Zepter führt. Der Sohn wurde psychisch krank. Aber nicht nur das Zusammenleben der älteren mit der jüngeren Generation ist eine Herausforderung. Auch das veränderte Rollenbild junger Frauen kann zu Konflikten führen, wenn es kollidiert mit konservativen Vorstellungen der älteren Generation, wie eine Bäuerin zu sein hat. «Ich habe manchmal das Gefühl, da ist noch etwas im Gange im bäuerlichen Milieu, das andernorts schon weiterentwickelt ist», stellt Lukas Schwyn fest.
Der Präsident des Sorgentelefons möchte die Situation der Bauern nicht generell als schlimm bezeichnen. Diese Gefahr bestehe, weil man beim Sorgentelefon immer nur mit den schwierigen Fällen zu tun habe. Lukas Schwyn sagt aber, als Pfarrer habe er auch Einblick in viele Bauernfamilien im Emmental, die gut funktionierten.
Bauern wollen keine Bürolisten sein
Die Probleme des Bauernstandes möchte er dennoch nicht kleinreden. Was das Einkommen betrifft, sei der Druck bei den Bauern höher als in anderen Wirtschaftszweigen, räumt Lukas Schwyn ein. Gleichwohl seien nicht alle Landwirte von sinkenden Preisen betroffen: Die Milchbauern habe es «erwischt», die Weinbauern dagegen nicht. Und beim Fleisch gebe es in gewissen Bereichen auch gute Preise.
«Was aber alle Bauern betrifft, sind die Agrarbürokratie und die ausufernden Kontrollen. Das ist wirklich ein Problem.» Wer Direktzahlungen bekommen will, muss für seinen Antrag entsprechende Formulare ausfüllen. Das braucht viel Zeit. Und damit die zuständigen Stellen Kontrollen durchführen können, müssen die Bauern täglich Journale nachtragen. Die zunehmenden administrativen Tätigkeiten passten nicht zum Selbstverständnis des Bauern, erklärt der Pfarrer. «Wer Bauer wird, versteht sich nicht in erster Linie als Bürolist.» Hinzu käme, dass das Ausfüllen der Formulare tatsächlich anspruchsvoll sei.
Kirche muss eine Ahnung haben von ökonomischer Realität
Über die Jahre hinweg hat sich der frühere Industriepfarrer, der in der Stadt Biel aufgewachsen ist, auch in die agrarwirtschaftliche Thematik eingearbeitet. Seit jeher ist er überzeugt, «dass sich die Kirche mit den wirtschaftlichen Verhältnissen der Menschen auseinandersetzen muss, weil das ihre Realität am stärksten prägt. Als Pfarrer muss man etwas von dieser Realität verstehen.»
Unterdessen ist das offenbar der Fall. Ob ÖLN, ökologischer Leistungsnachweis, oder SAK, Standardarbeitskraft. Der Pfarrer weiss Bescheid. Und spürt Anerkennung und Dankbarkeit bei Bauern im Dorf.
Der Pfarrer hat noch Zeit
In Kontakt mit den Landwirten kommt Lukas Schwyn in seiner Funktion als Pfarrer. Wenn er Kinder tauft, Paare verheiratet, Verstorbene beerdigt. Im Gespräch mit kath.ch erzählt er von diesem und jenem Bauer, mit dem er noch diese Woche zu Mittag essen geht. Von einer Bäuerin, die ein Burnout erlitt, und einem Landwirt in finanzieller Not. Beide begleitet er seit Jahren. Ganz wichtig ist für Lukas Schwyn, zunächst Vertrauen zu den Menschen aufzubauen.
«Ein Pfarrer kann sich noch Zeit nehmen, um mit Menschen eine Beziehung aufzubauen, um nachher Schritte zur Lösung eines Problems zu gehen.» Viele andere Stellen hätten diese Zeit nicht mehr oder seien kostenpflichtig.
Zur Person
Seit 2002 ist Lukas Schwyn Reformierter Pfarrer in Signau BE. Seit Januar 2011 ist er Geschäftsführer der Schweizerischen Reformierten Arbeitsgemeinschaft Kirche und Landwirtschaft (Srakla). Ebenfalls seit sechs Jahren präsidiert er den Vorstand des Bäuerlichen Sorgentelefons.
Bäuerliches Sorgentelefon
Wenn jemand beim Bäuerlichen Sorgentelefon anruft, nimmt am anderen Ende der Leitung eine Bäuerin oder ein Bauer den Anruf entgegen, sagte der Vorstandspräsident des Sorgentelefons, Lukas Schwyn, gegenüber kath.ch. Die Beratung auf der Nummer 041 820 02 15 erfolgt anonym. Oft würden die Berater die hilfesuchenden Personen auch auf andere Angebote aufmerksam machen. Etwa auf die kirchlichen Familien- und Eheberatungsstellen, juristische Beratungsstellen, eine Sexualberatungsstelle, die «Anlaufstelle Überlastung Landwirtschaft» im Kanton Bern oder das Netzwerk «Mediation im ländlichen Raum».
Die Unterstützung durch die Berater erfolge ausschliesslich am Telefon oder per Mail. Hofbesuche gibt es laut Schwyn nicht.
Das Bäuerliche Sorgentelefon wurde 1996 von Personen aus kirchlichen und landwirtschaftlichen Kreisen gegründet. Anfang 1997 nahm es seinen Betrieb auf.
Der Betrieb des Sorgentelefons wird laut Angaben von Schwyn durch Spenden, Kollekten und Beiträge von Institutionen, darunter auch Kirchgemeinden, finanziert.
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Autor: Barbara Ludwig
Quelle: kath.ch