Molzgasse in Biel
XXL-Lebensgemeinschaft gegen Einsamkeit
Wer nicht in eine Liebesbeziehung oder Familie eingebunden ist, für den können die jetzigen Zeiten sehr einsam sein. Andererseits haben Gemeinschaften die Wirkung vom Dienst an Menschen, aber auch für den Wohnort entdeckt. Im grossen Stil wird das in der WG «Molzgasse», mitten in der Stadt Biel, gelebt – mit 20 Personen.
In der Schweiz ist jeder dritte Haushalt ein Single-Haushalt. Eine aktuelle Sotomo-Umfrage hat ergeben, dass jüngere Singles stärker unter den Corona-Einschränkungen leiden als ältere. 31 Prozent der unter 34-Jährigen fühlten sich einsam. Scheinbar sind es ältere Semester eher gewohnt oder haben sich arrangiert, ihre Zeit ohne andere zu gestalten.
Gemeinschaft mit Austausch- und Gebetszeiten leben hat sich die «Molzi» auf die Fahne geschrieben. Diese besondere WG bietet damit einen praktikablen Lösungsansatz gegen Einsamkeit.
Gegen Corona-Koller: «Wir hatten uns»
Wer schon alleine gelebt hat, kennt die Zeiten, in denen man gern mit jemandem zusammen wär, sei es nur für einen kurzen Schwatz beim Tee. Eine Lebensgemeinschaft bietet genau dies. Es ist das Unkomplizierte, jemand ist immer anzutreffen, ohne gross herumtelefonieren zu müssen.
Ein eindrückliches Fazit zu aktuellen Zeiten des Alleinseins hat Viviane Moser (27), eine Mitbewohnerin der Molzgasse: «Wir hatten uns!»
Auch ein «Bed and Breakfast» bieten sie erfolgreich an. «Ich erlebe es als grosse Chance, Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen zu begegnen. Beim Morgenessen entstehen Gespräche, wo uns die Gäste auf unsere Atmosphäre ansprechen und wir etwas von unsrem Glauben weitergeben können. Zusätzlich gibt es einen finanziellen Zustupf.»
Livenet hat mit Viviane Moser noch weiter in die Tiefen der Lebensgemeinschaft geblickt.
Aus welchen Gründen sind Sie in die Gemeinschaft eingezogen?
Viviane Moser: Ursprünglich komme ich aus der Ostschweiz und zog nach Biel, ohne
jemanden zu kennen. Ich lebte zuvor für ein Jahr allein in einer Wohnung. Mit der
Zeit fiel mir jedoch die Decke auf den Kopf. Durch eine Bekannte erfuhr ich von
der Molzgasse. Vom ersten Besuch an fühlte ich mich pudelwohl. Hier waren
Leute, die Jesus liebten und mit denen man sich austauschen und Zeit verbringen
konnte. Ich war fasziniert davon, wie sie gemeinsam Leben und Glauben teilten.
So entschloss ich mich, mit 19 anderen Menschen zusammenzuziehen. Ich knüpfte
viele bereichernde Freundschaften, die andauern. Ich liebe es, wie sich mein
Umfeld so in den letzten vier Jahren in der Molzgasse vergrössert und
verändert hat. Gemeinsam macht das Leben mehr Spass!
Wie erleben Sie die beiden Seiten: Zeit für sich haben und Leben mit andern teilen? Wie geht man gut damit um?
«Da hat man ja nie seine Ruhe» ist der Standardspruch, den ich oft
höre. Vielleicht liegt ein bisschen Wahrheit in der Aussage. Ich bin immer
wieder herausgefordert, mir Zeit für mich selbst zu nehmen. Doch dafür gibt es
bei uns genügend Möglichkeiten und Räumlichkeiten. Ich persönlich erlebe die
Gemeinschaft als eine sehr grosse Bereicherung. Es ist fast immer jemand da,
mit dem man sich unterhalten oder etwas unternehmen kann. Solche Zeiten, in
denen man zusammen unterwegs ist, formen und prägen einen und bringen einen
weiter.
Ich erlebe immer wieder, dass die Molzgasse auch ein Ort ist, wo man Dinge ausprobieren und Fehler machen darf. Dies ist für mich bereichernd. Zudem schätze ich die Momente, die wir nur zu zweit oder zu dritt im Wohnzimmer verbringen und mehr übereinander erfahren. Ich denke, in einer grossen WG ist es wichtig, sich bewusst zu sein, was die eigenen Bedürfnisse sind und zu lernen, auf sich selbst zu hören. Denn jeder braucht individuell viel Zeit für sich.
Im Gegensatz zum Alleinwohnen von früher, ist es diese Frage, die sich mir in der neuen Wohnform besonders stellte: Was ist mir wichtiger? Dass alles jederzeit blitzblank und ohne ein Staubkorn ist, so wie ich das mag und machen würde, oder dass ich Gemeinschaft mit anderen Menschen haben kann? Diese Frage muss ich mir immer wieder stellen und bisher ist die Antwort immer zu Gunsten der Gemeinschaft ausgefallen.
Die Wohnung mit anderen zu teilen, ist eine intensive
Form von Gemeinschaft (gerade für den heutigen Zeitgeist), kennen Sie auch
lockerere Arten?
Also, in der Zeit, als ich allein lebte, halfen mir Kontakte zu einzelnen
Gemeindemitgliedern, die mich immer wieder zu Treffen am See oder Grillieren
einluden. Zudem war für mich ein Hauskreis sehr wichtig. Hier erlebte ich
Gemeinschaft und konnte meinen Glauben teilen. Als WG sind wir auch immer
wieder darauf bedacht, Leute zu uns einzuladen, um Gemeinschaft mit ihnen zu
haben. Ich glaube, viele schätzen es, dass sie in der Molzgasse ein- und ausgehen
können, ohne hier zu wohnen. Heute ist halt alles corona-konform, auch das BnB.
Junge sind häufiger in Gruppen, mit Kollegen unterwegs, wie erlebten
Sie selber Zeiten von Einsamkeit, auch in Ihrem Umfeld?
Persönlich habe ich eher Mühe mit Einsamkeit, beziehungsweise damit,
wenn nichts läuft. Es gibt zum Teil Momente, in denen es mich auch frustriert.
Doch ich bin am Lernen, meine freie Zeit sinnvoll zu nutzen und zu gestalten.
Es ist ein Umdenken, selbst aktiv zu werden, sein Leben selbst in die Hand
zu nehmen und nicht von anderen abhängig zu machen. Gerade in der Corona-Zeit lernte ich die Gemeinschaft nochmals ganz
neu schätzen. Viele Menschen waren von heute auf morgen isoliert und einsam.
Wir hatten uns. Wir erlebten diese Zeit als eine, die uns näher zueinander brachte und
neu verband.
Was wünschen Sie sich gesellschaftlich für die Zukunft?
Wir Menschen sind für Gemeinschaft geschaffen. Gerade in dieser Zeit
wünsche ich mir, dass die Gemeinschaft wichtiger wird, dass dabei ein
Wir-Gefühl entsteht, man sich gegenseitig hilft und Zeit zusammen verbringt. Diesen Austausch erlebe ich selbst als eine grosse Chance und riesiges
Geschenk und kann es jedem nur wärmstens weiterempfehlen. Wir haben immer wieder freie Zimmer und freuen uns über Leute, die uns
besuchen und unsere WG bei einem «Znacht» kennenlernen!
Zur Webseite:
Molzgasse
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Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet