Umgang mit Einsamkeit

Was tun bei Einsamkeit im Alltag?

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Man müsste meinen, in unserer heutigen vernetzten und freiheitlichen Gesellschaft sollte sich niemand einsam fühlen müssen. Doch das Gefühl von Einsamkeit gehört zum Menschsein. Theologin Heike Breitenstein gibt einen persönlichen Einblick in ihre Strategien, um Einsamkeit im Alltag sinnvoll zu begegnen.

Da wäre wieder einmal so ein Tag, an dem mich die Einsamkeit treffen könnte. Die letzten zwei Wochen war ich beruflich stark eingespannt, war auf Dienstreisen, habe viele Menschen getroffen, Vorträge gehalten und in Teambesprechungen gesessen. Am Vorabend bin ich zurück nach Hause gekommen, müde und erschöpft. Die Menschen, mit denen ich in den letzten Tagen intensiv zusammengearbeitet habe, sind weg. Nach solchen Zeiten fühle ich mich immer wieder einsam. Ich kenne das Gefühl von Einsamkeit aber auch durch Umbrüche in meinem Leben wie Umzüge oder das Ende einer Beziehung. Was hilft mir, wenn die Einsamkeit sich meldet?

Ich habe den Eindruck, dass Einsamkeit in unserer Gesellschaft ein schambehaftetes Thema ist. Eigentlich muss sich heutzutage doch keiner einsam fühlen! Ich habe unendlich viele Möglichkeiten, mein Leben zu gestalten. Damit scheint jedoch auch die Verantwortung dafür, glücklich zu sein, ganz bei mir selbst zu liegen. Gleichzeitig steht mir durch die sozialen Medien das Glück der anderen allgegenwärtig vor Augen. Stimmt also etwas nicht mit mir, wenn ich mich einsam fühle? Bin ich am Ende selbst schuld oder doch ein Opfer der Umstände? Statt mich zurückzuziehen und mich mit diesen Gefühlen zu verstecken, finde ich es hilfreich, offen damit umzugehen.

Ich schäme mich nicht

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Heike Breitenstein (Bild: Facebook)
Wenn mich das Gefühl von Einsamkeit trifft, brauche ich mich dafür nicht zu schämen, nicht vor mir selbst, nicht vor anderen Menschen und nicht vor Gott. Ich bin mit diesem Gefühl nicht allein. Egal, ob Menschen in einer Beziehung leben, ob sie eine eigene Familie haben oder Single sind, egal welche beruflichen und privaten Entscheidungen sie getroffen haben: Das Gefühl von Einsamkeit gehört zum Menschsein. Fast jeder und jede kennt Momente oder Phasen der Einsamkeit. Ich bin also umgeben von Menschen, die dieses Gefühl kennen! Und bin damit weder komisch noch sozial inkompetent! 

Ich rede darüber

Wie wäre es also, mit anderen darüber zu reden? «Um ehrlich zu sein, habe ich mich noch nicht perfekt in der neuen Stadt eingelebt und fühle mich manchmal einsam. Es führt mir meinen Mangel vor Augen und schmerzt mich, wenn ich dann sehe, was in deinem Leben gerade los ist.» Mich engen Freunden gegenüber so ehrlich zu öffnen, fällt mir schwer. Gleichzeitig merke ich, wie das Tiefe in unsere Beziehung bringt und Nähe schafft.

Wie wäre es, mich vor Gott nicht zurückzuziehen, sondern offen auszusprechen, wie es mir geht? Ihm meinen Frust und Schmerz offen und ungefiltert entgegenzuhalten, tut mir gut. Sei es beim Spazieren, beim Tagebuchschreiben oder wenn ich auf meinem Wohnzimmerteppich liege. Die Bibel tabuisiert Einsamkeit nicht und die Beter der Psalmen machen mir das vor, was es heisst, bei Gott zu klagen. Dabei merke ich: Gott hält die Wucht meiner Emotionen aus. Es ist ihm nicht zu viel. Das tröstet mich. 

Ich höre den Zuspruch

Im Gespräch mit Gott klärt sich dann auch mancher Selbstzweifel. Auf negative Gedanken fällt heilsames Licht. Ich höre auf den Zuspruch von Jesus Christus: Du bist mein geliebtes Kind. Das gilt, egal wie ich mich fühle! Es tut mir gut, mich daran zu erinnern, dass mein Wert allein darin begründet liegt. 

Ich plane vorausschauend

Und was wären ein paar alltagspraktische Strategien? Wenn ich weiss, dass ich nach einer beruflich sehr intensiven Zeit emotional häufig in ein Loch falle, plane ich vorher schon Verabredungen für diese Zeit ein. Ich kann auch mal mutig einen Anlass absagen, wenn ich den Eindruck habe, dass ich mich den ganzen Abend einsam fühlen würde. Ich habe mich bewusst fürs Leben in einer WG entschieden, weil ich weiss, dass mir das als Beziehungsmensch entspricht. An besagtem Abend habe ich es genossen, dass meine Mitbewohnerin da war, als ich müde von meiner Dienstreise gekommen bin. Es hat mir gutgetan, gemeinsam zu essen und auszutauschen – da hat sich die Einsamkeit erstmal gar nicht gemeldet.

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin INSIST.

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Datum: 22.12.2020
Autor: Heike Breitenstein
Quelle: Magazin INSIST

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