Was trägt?
Eine Lebensfrage – viele Antworten
Die Frage «Was trägt?» gehört zu den grundlegenden jeder und jedes Suchenden und Fragenden. Dabei ist es gar nicht unbedingt nötig, eine Antwort darauf zu finden – solange es uns gut geht. Aber sie wird existenziell, wenn schwierige Zeiten kommen.
Die Leser des theologischen Portals «feinschwarz» wurden in der Weihnachtszeit gefragt, was sie trägt. Zusammengekommen sind sehr unterschiedliche Antworten für das neue Jahr, manche hoffnungsvoll, einige eher zweifelnd, andere frustriert.
Meinungen
Wohltuend bei der Zusammenstellung von «feinschwarz» ist, dass hier keine theologischen Richtigkeiten aneinandergereiht werden. So kommen die Antworten von unterschiedlichen Menschen in verschiedenen Lebenssituationen. Das merkt man. Dabei tut es gut, nicht erst einmal zu denken: «falsch», oder zu fragen, warum der oder die andere so und nicht anders denkt, sondern einfach mal darüber nachzudenken. Hier eine kleine Auswahl der Äusserungen:
«meine füsse reichen
bis auf den
boden
der trägt»
(Franz Huber)
«Was trägt?
Das fragst Du mich in dieser Zeit.
Eine Nominierung fürs Kabinett Trump wohl kaum.
Virtuelle likes meinen so einige.
Unsere Brücke dachten die Bewohner*innen von Genua.
Hass und Neid sagen die neuen Nazis.
Wohl kaum entgegnet die Geschichte der Menschheit.
Geld sagte X vor der Finanzkrise.
Religion, bis das Schwert durch die Luft surrte.
Was trägt?
Du fragst noch einmal.
Ich weiss, was mich trägt –
Deine Liebe.»
(Judith Weingart)
«Ich kann mit der Frage nichts anfangen […] Es ist eine
extrem dunkle, leidvolle Zeit, sehr hoffnungslos. Ich würde jeden Ausweg
nehmen, wenn es einen gäbe.»
(Michael Mauerer)
Von der Theorie zur Praxis
Der Liedermacher Wolfgang Tost nannte eine seiner CDs «Was trägt» und meinte dazu: «Ist das eine Frage oder eine Aussage?». Alle Titel drehen sich darum und spiegeln durch die Texte von Jörn Philipp unter anderem Lebens- und Glaubenserfahrungen nach schweren Krankheiten wider.Die Liste solcher unterschiedlichen Erfahrungen und Äusserungen liesse sich fast beliebig verlängern. Offensichtlich ist es nicht nur so, dass Menschen dieses Thema auf andere Weise wahrnehmen: Es spielt je nach Situation eine höchst unterschiedliche Rolle im eigenen Leben. Wer eben sicher geglaubt hat, kann morgen zweifeln. Und wer gerade noch auf sich selbst gebaut hat, kann morgen nach einer haltenden Hand suchen. «Was trägt?», ist keine Frage, die sich theoretisch wirklich beantworten lässt. Es ist wie beim Betreten einer Hängebrücke in schwindelnder Höhe. Das Datenblatt zur Materialfestigkeit ist sicher informativ. Die Statistik, wie viele Personen sie bereits unbeschadet überquert haben, kann auch beeindrucken. Aber letztlich muss man die Brücke selbst betreten und darauf vertrauen, dass sie trägt.
Zur Frage «Was trägt?» kommt noch die Frage der Notwendigkeit: Wem es gut geht, der braucht keinen, der ihn trägt. Er weiss sich vielleicht von Menschen oder Gott getragen, doch hat dies kaum praktische Auswirkungen. Wenn derselbe Mensch in Probleme gerät, sieht die Situation anders aus: Jetzt ist er darauf angewiesen, dass das wirklich trägt, was er vorher für tragfähig gehalten hat. Theorie muss jetzt Praxis werden, sonst wird er «haltlos».
Jeden Tag buchstabieren
Zur Menge der Meinungen und Antworten kommt noch etwas hinzu: Niemand trifft die Entscheidung, was er für tragfähig hält, ein für alle Mal. Man sammelt Erfahrungen mit dem Vertrauen oder dem Zweifeln, aber man muss sich immer wieder neu entscheiden. Trägt mein Glaube? Worauf will ich vertrauen?
Um solch ein Vertrauen wirbt Gott. Immer wieder. Zum Beispiel durch die direkte Aufforderung: «So werft nun eure Zuversicht nicht weg, die eine grosse Belohnung hat» (Hebräerbrief, Kapitel 10, Vers 35). Und Christen aller Zeiten erfuhren, dass Gott tatsächlich hilft, trägt, hindurchträgt. Der Autor und Dichter Jochen Klepper fasste sein Gottvertrauen während der Zeit des Nationalsozialismus in die bekannten Liedverse:
«Ja, ich will euch tragen
bis zum Alter hin.
Und ihr sollt einst sagen,
dass ich gnädig bin.
[…]
Lasst nun euer Fragen,
Hilfe ist genug.
Ja, ich will euch tragen,
wie ich immer trug.»
Doch das tägliche Buchstabieren dieses Vertrauens wäre nicht vollständig ohne seine Brüche. Derselbe Jochen Klepper, der seinen Glauben sprachgewaltig in Worte fasste, ging am 11. Dezember 1942 mit seiner jüdischen Frau Hanni und seiner Tochter Renate in den Tod, weil sie keinen Ausweg mehr vor den Nazis sahen. Seine letzte Notiz spiegelt seine Ausweglosigkeit und gleichzeitig sein trotziges Festhalten an dem Gott, der ihn trägt: «Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.»
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / feinschwarz.net