Generation Y
Zwischen Smartphone und Sinnsuche
Wir machen es spontan. Oder kurz «sponti». Das kleine Wort spiegelt etwas von meiner Generation wider, der Generation Y. Andere nennen uns die «Generation Maybe» – diejenigen, die sich nicht recht festlegen wollen und alles ein wenig spontaner leben. Wer ist diese Generation Y, die heute 20- bis 35-Jährigen? Warum sind wir so, wie wir sind?
Ich und die anderen meiner Generation sind in der Postmoderne aufgewachsen. Seit den 1990er-Jahren prägt und beeinflusst das postmoderne Denken unser Handeln. Individualismus, Romantik und Pluralismus sind Markenzeichen dieser Trendwende. Zuvor verstand die Moderne das Leben als Einheit. Die Postmoderne dreht das Bild in ein «Leben der Vielfalt». Und dies ist es, was es ermöglicht, Dinge auch mal anders zu denken. Englisch kling Y wie «why», das englische Wort für «warum». Und dieses «Warum» passt sehr gut zu meiner Generation. Denn wir hinterfragen so ziemlich alles. Schadet das Unternehmen der Umwelt? Ist das, was der Chef oder mein Pastor sagen, immer richtig? Andererseits fragen sich junge Menschen aber auch: «Warum nicht?». Als gäbe es keine Grenzen, sondern nur Grenzenlosigkeit.Gelobt, gefördert, verwöhnt
Die Generation Y sind die heute etwa 20- bis 35-Jährigen. Kerstin Bund schreibt in ihrem Buch «Glück statt Geld», dass die Menschen in diesem Alter – zu denen sie sich auch zählt – besonders von Lob überschüttet wurden. Nicht nur von Eltern. Medaillen und Urkunden von Vereinen und Schulen bringen zum Ausdruck, dass man etwas kann und jemand Besonderes ist. Keine Generation wurde je so gelobt, gefördert und verwöhnt. So steckten uns unsere Eltern nicht nur in den Fussballklub, sondern auch in die Musikschule, zum Reiten und zum Tennis.
So viele Möglichkeiten wie noch nie
Meiner Generation standen in den vergangenen Jahren so viele Möglichkeiten offen wie keiner Generation zuvor: im schier grenzenlosen Internet, im Supermarktregal oder der Variante, wie der Kaffee im Coffeeshop getrunken werden möchte. Allerdings haben viele durch diese zahllosen Möglichkeiten auch Angst, etwas zu verpassen: «Uns stehen so viele Türen offen, dass wir uns nicht mehr trauen, durch eine zu gehen, weil es ja gerade die falsche sein könnte», schreibt Kerstin Bund. Aus dieser Angst heraus sind Smartphones wichtige Begleiter geworden. Mit ihnen habe ich die neuesten Nachrichten aus aller Welt und der Freunde jederzeit per App dabei. Ich kann ständig auf das Wissen von Google und Wikipedia zugreifen und schnell per Klick etwas einkaufen. So schaffe ich vieles schneller und kann dadurch mehr erleben.Anders leben, anders arbeiten
Wir aus der Generation Y wollen unsere Möglichkeiten nutzen. Wollen anders leben, anders arbeiten, anders sein. Wollen Freiräume bei der Arbeit und selbstbestimmt arbeiten – und daneben Zeit für Familie und Freizeit. Uns ist wichtig, dass wir uns mit Freunden treffen. Darin investieren wir am liebsten die ohnehin knapp gewordene Zeit. Neben Spass und Selbstverwirklichung wollen wir ausserdem Feedback bekommen und uns weiterentwickeln. Wir möchten an unserer Arbeit gemessen und trotzdem als eigenständige Personen wahrgenommen werden. Denn uns ist wichtig, einen Sinn in dem zu sehen, was wir tun.
Neben privaten Herausforderungen wie der Ablösung von der Familie, Eintritt in Ausbildungs- und Berufsleben und Neugründung einer eigenen Familie, muss sich meine Generation Y insbesondere zwei gesellschaftlichen Entwicklungen stellen: der Globalisierung und der Individualisierung.
Grenzenlose Möglichkeiten in einer grenzenlosen Welt
In der heutigen globalisierten Welt sind wir zunehmend voneinander abhängig. Gleichzeitig leben wir in einer Kultur der Gereiztheit und Überreiztheit. In Echtzeit bekommen wir mit, was in der Welt geschieht (Fukushima, Ukraine, Syrien, Balkanroute...), verfolgen im Fernsehen, wie eine Rakete ihr Ziel trifft. Die Nachrichtenflut überfordert uns. Der Mensch schwankt ständig hin und her zwischen Erregung, Ignoranz, Jammern, Anklage, Forderung und Moralismus. In dieser Situation wuchs die Generation Y auf. Sie geniesst die Vorzüge, lässt aber auch Erkennen, dass sie Hilfe und Grenzen braucht. Die Globalisierung bringt beides mit sich: die scheinbare Grenzenlosigkeit und die Sehnsucht nach einer neuen lokalen und nationalen Verbundenheit.
Wer bin ich? Was will ich sein? Was will ich einmal werden? Mit wem will ich zusammenleben oder wohnen? Heutzutage haben wir die Wahl, und treffen sie auf unsere Art, also immer individueller: Wir beginnen, uns selbst zu formen und zu verändern. In einer Wohlstandsgesellschaft, in der der Mangel überwunden scheint, haben wir auch viel Zeit dafür. Das Mehr an Möglichkeiten lässt die Welt aber komplizierter erscheinen – und weckt letztlich das Bedürfnis, mich verändern zu wollen. Aber um das eigene Ich zu finden, braucht es zuvor ein Wir. Es braucht Normen, an denen wir zweifeln oder gegen die wir rebellieren können. Das ist das Widersprüchliche daran: Hinter der Individualisierung verbirgt sich im Kern die Gemeinschaft. Die Generation Y braucht bei aller Individualisierung ein persönliches Gegenüber, um Orientierung zu gewinnen.
Glaube und Generation Y
Viele meiner Generation haben Gemeinde und Glauben verlassen. Das liegt laut dem Institut Empirica am «Zweifel an der Lehre». Meine Generation hinterfragt vieles. Die Antworten der Gemeinde überzeugen oft nicht, insbesondere wenn sie antiwissenschaftlich mit überzogenen Moralvorstellungen und schlechter Verkündigung daher kommen. Viele meiner Generation sind ausserdem geprägt von negativen Erfahrungen mit Gemeinden und Kirchen.Meine künftige Aufgabe in der Jugendarbeit sehe ich deshalb auch darin, den jungen Menschen Hilfestellungen zu bieten, ihre Fragen im Dialog zu bearbeiten und ihrem Glauben einen Rahmen zu geben. Viele aus der Generation Y wünschen sich das. Aber in den wenigsten christlichen Familien wird auch zuhause über den Glauben gesprochen. Laut Umfragen spricht nur einer von acht christlichen Jugendlichen zuhause über den Glauben. Dies hat zur Folge, dass auch andere, teils heikle Themen, nicht in der Familie besprochen, sondern der Gemeinde überlassen werden.
Suche nach echter Orientierung
Die Generation Y sehnt sich im Grunde nach Grenzen, Hilfestellungen und Orientierung im eigenen Leben. Damit sich die alltäglichen Spannungen auflösen und Herausforderungen bewältigt werden können, die das Leben mit sich bringt – bei aller globalisierten Grenzenlosigkeit und der vielfachen Gestaltungsmöglichkeiten. Hierbei spielen Beziehungen für junge Erwachsene eine entscheidende Rolle. Darin besteht eine Chance für christliche Gemeinden. Bei allen Herausforderungen und Fragen reicht es nicht, dass junge Erwachsene nur einen allgemeinen Anschluss an eine Gemeinde haben. Gemeinden sollten darüber hinaus konkrete Ansprechpartner anbieten. Mentoren, Paten und Coaches können hierbei eine wichtige Rolle einnehmen. In mancher Gemeinde sollten ältere Menschen wieder neu ein echtes Interesse an der nächsten Generation entwickeln.
In der Gemeindearbeit brauche ich also nicht unbedingt innovative Ideen und völlig neue Wege beschreiten, um die Generation Y zu erreichen. Die Gemeinde Gottes besteht aus der Gemeinschaft aller Generationen und schliesst niemanden aus, sondern integriert jede Altersgruppe. Das erfordert, dass man den Anderen wahrnimmt und auf ihn eingeht. Kurz gesagt: miteinander – füreinander. Eine Rückbesinnung auf diese Grundberufung der Gemeinde reicht schon aus, damit gemeinsam der Weg der Heiligung beschritten werden kann. Aber dabei sollte man nicht vergessen: Bei der Vielzahl von Möglichkeiten und der geringeren Zeit an Freizeit müssen wir, die Generation Y, Entscheidungen darüber treffen, was wir mit unserer Zeit anfangen, worin wir uns investieren möchten. Und dann machen viele es halt «sponti»!
Timon Sieveking (27) hat 2015 sein Theologie-Studium am tsc beendet. Seine tsc-Bachelor-Arbeit hat er über die Generation Y geschrieben. Mit seiner Frau Tabea, tsc-Absolventin 2013, wird er demnächst nach Südafrika ausreisen. In der Evangelischen Stadtmission am Kap der Guten Hoffnung wollen sie sich in der Jugendarbeit engagieren. Die Evangelischen Stadtmissionen im Südlichen Afrika gehören zum Chrischona-Verband.
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Autor: Timon Sieveking
Quelle: Chrischona Magazin