Die Leihmutterschaft
Eine kleine Studie zur schiefen Ebene in ethischen Fragen
Es begann ganz harmlos mit der künstlichen Befruchtung. Heute sind wir über mehrere Zwischenstationen bei der Leihmutterschaft angelangt. Dazwischen liegt eine schiefe Ebene, auf der mit der Zeit immer mehr ethische Überzeugungen ins Rutschen kamen.
Wir beginnen unsere kleine Studie mit einem heterosexuellen Ehepaar, das sich sehnlichst ein Kind wünscht. Auf dem gewohnten Wege scheint dies auch nach mehreren Jahren nicht zu gelingen. Wenn niemand von beiden fremd gehen wollte, gab es bis vor wenigen Jahrzehnten nur zwei Möglichkeiten: Ein fremdes Kind zu adoptieren oder auf den Kinderwunsch ganz zu verzichten. Anfangs wohl enttäuscht, mit der Zeit aber vielleicht beseelt vom Wissen, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens lernen sollte, mit unerfüllten Wünschen zu leben.
Erste Abwärtsstufe: Die In-Vitro-Fertilisation
Diese Ausgangslage änderte sich, als in den 1960er- und 1970er-Jahren von Robert Edwards – der 2010 dafür den Nobelpreis für Medizin erhielt – und Patrick Steptoe die In-Vitro-Fertilisation (IVF) entwickelt wurde. Übersetzt heisst das schlicht «Befruchtung im Glas», es ist also eine Methode zur künstlichen Befruchtung. Eigentlich eine schöne Möglichkeit für Ehepaare, die zwar beide fruchtbar sind, sich aber – aus welchen Gründen auch immer – ihren Kinderwunsch auf natürlichem Wege nicht erfüllen können. Bei dieser Variante wären wir ethisch noch auf sicherem Boden.
Mit der IVF gab es aber quasi automatisch neue Möglichkeiten: Das potenziell fruchtbare Ei der Frau konnte nun mit potenziell fruchtbaren Samen eines fremden Mannes zusammengebracht werden. Damit geriet die künstliche Befruchtung definitiv auf die schiefe Ebene. Die damit verbundenen ethischen Fragen lassen sich aus dem entsprechenden Bundesgesetz direkt oder zumindest zwischen den Zeilen herauslesen.
«Die legale Samenspende in der Schweiz darf ausschliesslich bei verheirateten Paaren erfolgen». So fasst «Fertisuisse», eine Firma für Kinderwunschbehandlung, die Gesetzgebung zusammen. Der soziale Vater müsse wissen, dass er die Vaterschaft nicht anfechten könne – auch wenn er nicht der genetische Vater ist. Und weiter: «Die Kinder dürfen bei Erreichen der Volljährigkeit Informationen zum Samenspender einholen, wobei sie diese selbstständig beim Bundesamt für Zivilstandswesen beantragen müssen. Wenn der Spender zu diesem Zeitpunkt keine Kontaktaufnahme wünscht, werden die Kinder gleichzeitig mit der Aushändigung der Spenderdaten darüber informiert, dass der Spender keinen Kontakt wünscht – und dass dementsprechend auch ein Recht auf Persönlichkeitsschutz besteht.» Bis zu diesem Zeitpunkt sei die Spenderanonymität durch das Gesetz geschützt. Von einem Spender dürften maximal acht Kinder gezeugt werden. Und ein Spender dürfe – wegen der nötigen Kontrolle – lediglich in einem Zentrum Samen spenden.
Artikel 4, Absatz 2 des Gesetzes sagt dann klar, dass die Untersuchung des Erbguts von Embryonen in vitro und deren Auswahl nach ihrem Geschlecht oder nach anderen Eigenschaften nur in medizinischen oder genetischen Ausnahmefällen erlaubt ist.
Übertragen auf die Situation einer mit der Methode IVF glücklich gewordenen Familie heisst das im Klartext: Hier wächst ein Kind heran, das bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit in der Regel nicht weiss, wer sein biologischer Vater ist. Vielleicht wird es ihn sein Leben lang nie treffen. Und: Je nach Ehrlichkeit des sozialen Vaters wächst dieses Kind bis zur Volljährigkeit mit einer Lüge auf.
An diese ethische Grundproblematik hat man sich heute schon fast gewöhnt. Im Werbetext von «Fertisuisse» werden die ethischen Überlegungen unter dem Motto «Familien zum Glück verhelfen – Werden Sie Samenspender» sogar umgedreht. «Unsere Gesellschaft befindet sich im Wandel und Wandel bedeutet Fortschritt. So geht man heute offen und zuversichtlich mit den neuen Möglichkeiten um, Familien zu gründen.» Samenspender seien ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Gemeinschaft und würden neuem Leben ein liebevolles Umfeld ermöglichen, wird weiter gesäuselt.
In diesem «liebevollen Umfeld» folgt dann prompt der zweite Schritt.
Zweite Abwärtsstufe: Ehe für alle
Am 26. September 2021 wurde in der Schweiz per Volksentscheid die so genannte «Ehe für alle» eingeführt. Damit wurden gleichgeschlechtliche Paare bei der Familiengründung mit heterosexuellen Ehen gleichgestellt, verheiratete Frauenpaare erhielten Zugang zur gesetzlich geregelten Samenspende, wie sie weiter oben auf der schiefen Ebene eingeführt worden war.
Die «Ehe für alle» gilt als Ersatz für die vorherige (eigentlich sinnvoll geregelte) gleichgeschlechtliche Partnerschaft. Bei der dadurch nötigen Umdefinition der Ehe stand bekanntlich das Gleichheitsargument im Vordergrund. Die gleiche Menschenwürde und auch die gleiche grundsätzliche Fähigkeit, andere Menschen zu lieben, sei hier nicht in Frage gestellt. Aber gerade im für unser Thema entscheidenden Bereich – in der Sexualität – besteht offensichtlich eine Ungleichheit. Gleichgeschlechtliche Sexualität zwischen Männern bzw. Frauen ist natürlicherweise unfruchtbar. Deshalb muss ja auch nachgeholfen werden.
Was hat sich mit diesem Schritt aus ethischer Sicht geändert? Die bereits erwähnten ethischen Probleme der Samenspende bleiben auch in dieser Ehe-Konstruktion bestehen. Für das fremdgezeugte Kind in einer lesbischen Beziehung kommt aber nun dazu, dass nicht nur der biologische, sondern auch der soziale Vater fehlt. Auch wenn sich die biologische Mutter und die Assistenz-Mutter darum bemühen werden, das Kind liebevoll aufzuziehen – den bewusst herbeigeführten doppelten Vater-Verlust beim Kind können sie nicht ausgleichen.
Das Kind wird sich möglicherweise nie an diese Wunde gewöhnen. Wir aber haben uns mit diesem zweiten Schritt auf der schiefen ethischen Ebene schon fast abgefunden. Und sind somit bereit für den nächsten Streich.
Dritte Abwärtsstufe: die Leihmutterschaft
Sie haben es sicher mitbekommen: Seit Mitte September ist klar, dass neben dem Nationalrat auch der Ständerat eine Motion unterstützt hat, die den verlockenden Titel trägt: «Kinderwunsch erfüllen, Eizellenspende für Ehepaare legalisieren.» Damit muss der Bundesrat nun die Grundlagen schaffen und die Rahmenbedingungen festlegen, damit Ehepaare, bei denen der Grund für die Unfruchtbarkeit bei der Frau liegt, die Möglichkeit für eine Eizellenspende erhalten.
Das Schmiermittel für das Vorankommen auf der schiefen Ebene ist auch hier, Sie ahnen es, das Gleichheitsargument. Es ginge dabei um Gerechtigkeit, wurde im Ständerat mehrheitlich argumentiert. Wenn der Mann unfruchtbar sei, könne das Paar dank einer Samenspende ja auch Kinder bekommen. Der vielsagende Beisatz im Kommentar von Eveline Rutz heisst dann: «Das ist schon lange legal.»
Eine künftige Öffnung für die Leihmutterschaft würde sowohl für heterosexuelle wie auch für homosexuelle Ehen von Männern gelten. Wie wir weiter oben gesehen haben, ist ja unterdessen auch die Definition der Ehe auf die schiefe Bahn geraten. Somit sind die gleichgeschlechtlichen Ehen immer mitgemeint.
Widerstand regt sich
Erfreulicherweise gab es nach diesem neusten «Fortschritt» auf der schiefen Ebene eine deutliche Reaktion aus Kreisen der Humanethik. In einem ausführlichen Interview in der Zeitschrift «Gesundheitstipp» deckte die Theologin und Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle die heute gängige Verharmlosung der Eizellenspende auf.
Es gehe dabei nicht um Gleichheit zwischen Mann und Frau: «Die Samenspende des Mannes ist eine harmlose Handlung, die Eizellenspende der Frau hingegen ein medizinischer Eingriff mit Folgen.» Baumann-Hözle präzisiert: «Die Frau ist in Narkose, wenn man ihre Eizellen entnimmt. Ärzte können die Spenderin dabei verletzen. Sie stimulieren zuvor die Eierstöcke mit Hormonen, damit Eizellen heranreifen und man sie absaugen kann. Auch das belastet den Körper stark.»
Die Ethikerin kommt auch auf die Ausbeutung von Frauen für die Leihmutterschaft zu sprechen und vermutet, dass bei einer Freigabe in der Schweiz Frauen aus ärmeren Ländern zu uns kommen würden, um ihre Eizellen aus finanzieller Not heraus zu spenden. «Das ist eine Form der Prostitution.»
Es sei zudem nicht zu erwarten, dass es in einer Schweizer Gesetzgebung strengere Regeln geben würde als im Ausland. «Erfahrungsgemäss senkt das Parlament meist rasch die Hürden, wenn ein Verfahren einmal zugelassen ist.» Die Schweiz habe ein dichtes Netz an Fortpflanzungskliniken. Da gehe es somit auch «um ein grosses Geschäft». Baumann-Hölzle fragt sich: «Was möchten wir noch alles mit dem Körper der Frau tun? Wollen wir ihn ausbeuten, wie wir es mit der Natur tun?»
Schön, dass es Leute gibt, die den Widerstand gegen die Ausbeutung der Frau so klar formulieren. Und vom Kind, das durch eine Leihmutterschaft entsteht, haben wir noch gar nicht gesprochen. Es wird dieselben Wunden erleiden, die wir schon oben erwähnt haben. Diesmal halt einfach mit dem (je nachdem doppelten) Verlust der Mutter.
Was können wir tun?
Vermutlich wird die allfällige Freigabe der Leihmutterschaft in unserm Land früher oder später zu einer Volksabstimmung führen. Darauf können wir uns schon jetzt vorbereiten. Und vielleicht schauen wir bei den nationalen Wahlen vom kommenden Jahr etwas genauer auf das Abstimmungsverhalten unserer favorisierten Kandidatinnen und Kandidaten im National- und Ständerat – gerade auch in humanethischen Fragen.
Das ist keine Angelegenheit von Links oder Rechts, sondern eine zutiefst menschliche Frage. Hier geht es um den Schutz der Schwächsten in unserer Gesellschaft. Das sind leider oft immer noch sozial schlecht gestellte Frauen. Und – was wir leicht vergessen – noch viel mehr sind es die Kinder.
Zum Originalartikel beim Forum Integriertes Christsein
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Autor: Hanspeter Schmutz
Quelle: Forum Integriertes Christsein