Vorstoss knapp abgelehnt
Vaterschaftsurlaub in der Schweiz – hat eine Initiative bessere Chancen?
Ein grosszügiger Vaterschaftsurlaub könnte nicht nur die Rolle der Väter in der Familia nachhaltig prägen. Er würde auch ihrer Gesundheit gut tun und den Stress für die Partnerschaft nach einer Geburt reduzieren. Das stellt die Schweizerische Stiftung für die Familie (SSF) in einem Kommentar von Fritz Imhof fest.Letzte Woche hat der Nationalrat eine Einzelinitiative von CVP-Nationalrat Martin Candinas (Graubünden) für einen Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen knapp mit 97 zu 90 Stimmen abgelehnt. Candinas hatte mit seiner parlamentarischen Initiative vorgeschlagen, den Vaterschaftsurlaub über die Erwerbsersatzordnung (EO) zu finanzieren, aus der schon die Mutterschaftsversicherung bezahlt wird. Candinas nahm damit ein Anliegen auf, das EVP-Nationalrätin Marianne Streiff bereits 2010 eingebracht hatte. Väter sollten während des Urlaubs 80 Prozent des Erwerbseinkommens erhalten, maximal 196 Franken am Tag. Das Anliegen scheiterte sechs Jahre später. Weshalb tut sich die Schweizer Politik in dieser Sache so schwer?
Elternurlaub in Europa – von einem bis zu 480 Tagen
In Sachen Väter- oder Elternurlaub gibt es in Europa einen bunten Flickenteppich. In Belgien sind es wenigstens drei Tage. Auf der anderen Seite der Skala – in Schweden – sind sagenhafte 480 Tage Elternurlaub garantiert, den sich Väter und Mütter teilen können. In der Schweiz ist das Spektrum wiederum gross. In den meisten Schweizer Unternehmen ist lediglich ein freier Tag für den Vater vorgesehen. Eine Woche Vaterschaftsurlaub gibt es dagegen bei SBB, der Bundesverwaltung, bei Novartis und Raiffeisen. Bei der Alternativen Bank sogar vier Wochen. Haben es die Linken einfacher mit einer nachhaltigen Arbeitnehmerpolitik, während bürgerliche Unternehmensvertreter 200 Millionen Mehrkosten für die Unternehmen für unbezahlbar halten? Was sich Grossbritannien leistet – nämlich zwei Wochen Vaterschaftsurlaub –, scheint für die Schweizer Unternehmen unerschwinglich. Dabei wäre vorgesehen gewesen, die Kosten auf die gut gepolsterte EO abzuwälzen.
Nachhaltige Familienpolitik
Ein nachhaltiger Umgang mit den Mitarbeitenden zahlt sich aus. Eine schwedische Studie ist zum Schluss gekommen, dass Väter, die nach der Geburt einige Zeit zu Hause sind, eine höhere Lebenserwartung haben als diejenigen, die ohne Unterbruch arbeiten. Väter, die mehrere Monate daheim bleiben, haben gemäss dieser Studie sogar ein um 25 Prozent geringeres Sterberisiko. Die Forscher vermuten, dass Väter durch den Vaterschaftsurlaub eine engere Bindung an die Familie entwickeln und daher weniger Risiken eingehen. Ausserdem würden diese Väter mehr auf ihre Gesundheit achten, weniger Alkohol trinken, mehr schlafen und öfter zum Arzt gehen.
Weniger Stress für die Partnerschaft
Die Geburt des ersten Kindes stellt die Paarbeziehung auf eine harte Probe und ist allzu oft der Anfang vom Ende der Partnerbeziehung. Sie stellt die bestehende Beziehung auf den Kopf, weil plötzlich ein dritter Mensch da ist, der erst noch viele Umstellungen und auch Stress verursacht. Eine angemessene Regelung bzw. ein grosszügiger Vaterschaftsurlaub kann diesen Stress abfedern und die Partnerbeziehung schützen. «Das Kind stellt die Eltern vor eine Entwicklungs- und Anpassungsphase», stellt zum Beispiel Prof. Dominik Schöbi vom Familieninstitut der Universität Fribourg fest. Er nennt eine ganze Reihe von Veränderungen, welche die Geburt eines neuen Erdenbürgers für das Paar mit sich bringen, und die oft relativ unvorbereitet bewältigt werden müssen. Sie reichen von Veränderungen in der Alltagsstruktur über Identitätsfragen der Partner bis hin zu finanziellen Folgen.
Dazu kann sich Erziehungsstress gesellen, wie die Psychologieprofessorin Annette Cina von der Universität Fribourg feststellt: «Eltern erfahren oft wenig Wertschätzung», sagt sie. Und wenn Erziehung nicht gelingt oder eine Situation nicht optimal gemeistert wird, kommt das Gefühl auf, versagt zu haben.
Könnte ein grosszügig geregelter Elternurlaub solche Stress-Situationen nicht besser abfedern? Stress ist ohnehin die Hauptursache für Partnerschaftskonflikte und Trennungen, wie Prof. Guy Bodenmann von der Universität Zürich mit breit abgestützten Studien belegt. Sie bringen mehr Partnerschaften zum Scheitern als etwa persönliche Charakterunterschiede.
Krämergeist vor Zukunftsdenken?
Ob eine Volksinitiative, wie sie Travail Suisse anpeilt, in der heutigen politischen Landschaft der Schweiz eine Chance hat, so lange sie als linkes Postulat diskreditiert werden kann, muss leider bezweifelt werden. Der aktuelle Gewerbedirektor Hans-Ulrich Bigler dürfte für das Anliegen schwerer zu gewinnen sein als damals Pierre Triponnet für den Mutterschaftsurlaub.
Müssen wir uns mit der Tatsache abfinden, dass einmal mehr der Krämergeist über eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Lösung obsiegt hat?
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Autor: Fritz Imhof / Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / familieistzukunft.ch