Gottes unheimliche Macht?
«Der Spiegel» warnt vor Missbrauch der Religion
Eine «gefährliche Rückkehr» der Religion beobachtet das deutsche Magazin «Der Spiegel». Die Grundaussage des Aufmachers der Osterausgabe lautete: «Weltweit wird Gottes Macht von Politikern benutzt , die noch weiter nach oben wollen, um jeden Preis. Sie wird missbraucht, um Autokraten und Diktatoren zu stützen und Kriege zu rechtfertigen. Und sie dient dazu, aus Menschen lebende Waffen zu machen.» Eine Zusammenfassung.Europa und die restliche Welt
Der Artikel bringt den aus europäischer Sicht zunächst erstaunlichen Gegensatz zwischen dem Bedeutungsverlust der Kirchen in Europa und den vitalen Kirchen und Religionen weltweit. «Die Religionen haben Kraft, leisten...viel Gutes. Sie geben Menschen Halt, Glück, ja Erfüllung. Und sie geben ganzen Gesellschaften eine Basis der Gemeinsamkeit.» Doch die Macht der Religion, so die Spiegel-Autoren, habe auch eine «unheimliche Seite». Diese Seite werde dort sichtbar, wo sich Religion und Politik zu nahe kämen.
Beispiele Russland und Israel
Der Artikel begibt sich auf eine Reise quer über den Erdball und zeigt Beispiele für den wachsenden Einfluss der Religion auf Politik und Gesellschaft. Bei den Muslimen sind es vor allem die Kriege und der Terror, beim Christentum der Einfluss der Evangelikalen auf politische Meinungsbildung und Machtverhältnisse. Auch das enge Bündnis zwischen Staatspräsident Wladimir Putin und der russisch-orthodoxen Kirche sowie die Zunahme des Einflusses der orthodoxen Juden auf die jüdische Politik und Meinungsbildung sind Beispiele, die zur Sprache kommen.Die Bilanz zeigt: «In vielen Gegenden der Welt wächst der politische, der unheilvolle Einfluss der Religionen.» Das belege auch eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, wonach sich der Anteil der Staaten, in denen religiöse Dogmen spürbaren Einfluss auf die Politik haben, von 22 auf 33 Prozent erhöht hat.
Religion ist ein Grundbedürfnis des Menschen
Nach Ansicht der Autoren ist das Religiöse dennoch «ein Grundbedürfnis» des Menschen, vor allem in einer Zeit von Hypermobilität, Digitalisierung und dem Zwang zur Selbstoptimierung. Viele Menschen hätten ein Bedürfnis nach «etwas Höherem, nach Sinn, nach Gewissheit».
Dieses Bedürfnis setze Energien frei, die missbraucht werden könnten. «Wer sich mit der multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft schwertut, wird Formen des Religiösen finden, die ihm die Gewissheit vermitteln, etwas Besonderes zu sein, sich über andere zu erheben. Das kann sich in Mitgefühl für andere äussern – aber auch in militanten Aktionen, einem neuen Gottessoldatentum.» Fatal sei, dass «der Eifer der Frommen» noch grösser sei, wenn deren Umgebung sich so gar nicht darauf einlasse.
Modellfall Afghanistan
Die Strategie, Religion für den Krieg zu nutzen, so der Bericht, gehe auf die Amerikaner zurück. «Die Kraft einer unterdrückten Religion zu mobilisieren wie eine taktische Ressource, den Glauben zum Treibstoff im Krieg zu transformieren, diesen Einfall hatten in moderner Zeit die Amerikaner.» So hätten sie das Bündnis geschmiedet, an dem nicht nur die Taliban, sondern auch Pakistan und Saudi-Arabien beteiligt waren. Aus der Idee wurde ein Modell, das auch Saudi-Arabien, der Iran und viele andere Länder kopierten.
Der Islam ist nach Einschätzung der Autoren für den Missbrauch mit Gewalt und Krieg besonders anfällig, weil die Wurzel dazu in der Biographie von Mohammed zu finden sei. Zunächst Prediger, machte er sich vor allem als Kriegsherr einen Namen und breitete den neuen Glauben mit Gewalt aus.
Wachsender Einfluss der Freikirchen
Ein besonderes Augenmerk richtet der Artikel auf die Evangelikalen; mit ihnen beginnt und schliesst der Bericht. Dazwischen die Unheilsgeschichte von islamischer Gewalt, Kriegen und Terror. Angesprochen wird der US-Wahlkampf und der politische Einfluss der Pfingstkirchen in Brasilien: Hier wird die Partei «Bancada Evangelica» erwähnt und der Einfluss des brasilianischen Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Eduardo Cunha, der mit einem Etat von einer Milliarde Euro vor allem Evangelikale unterstütze.Auch der ugandische Präsident Yoveri Museveni wird erwähnt, der, erst jüngst wiedergewählt, die Nähe zu den Freikirchen seines Landes suche, um seine Macht zu erhalten. Schliesslich wird von der beachtlichen Ausbreitung der Freikirchen in afrikanischen Ländern berichtet und der Blüte der Megakirchen dort.
Und auch der Hamburger Religionswissenschaftler Erhard Kamphausen kommt zu Wort, der die Missionsbemühungen evangelikaler Christen in dem Bereich zwischen dem 10. Und 40. Breitengrad (10/40-Fenster) anspricht und deren Begriff von «Geistlicher Kriegführung» aufnimmt. So entsteht der Eindruck (offen ausgesprochen wird er nicht), als werde hier bei einer Missionsstrategie der Samen für neue Gewalt und Kriege gelegt.
Fazit
Ein kurzes Resümee: Der Artikel trägt viele wichtige Entwicklungen und Fakten zusammen. Auch bringt er gute Erklärungen dazu, auch wenn er im Blick auf die USA und die Evangelikalen etwas voreingenommen wirkt.
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Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet