Wichtiges Abstimmungsthema

«Grenze zur Menschenzüchtung wird überschritten»

Am 14. Juni stimmen wir über einen neuen Verfassungsartikel ab, der die Präimplantationsdiagnostik erlaubt und im neuen Fortpflanzungsgesetz sehr liberal regelt. Was bedeutet das konkret? Fritz Imhof sprach mit der Medizin-Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle.

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Ruth Baumann-Hölzle: «Der Embryo darf nicht versachlicht und nicht instrumentalisiert werden.»
idea Schweiz: Frau Baumann-Hölzle, Sie haben sich intensiv mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) beschäftigt, was hat Sie dazu motiviert?
Ruth Baumann-Hölzle: Die Fragen rund um die Fortpflanzungsmedizin beschäftigen mich seit 30 Jahren. Ich habe mich bereits in meiner Dissertation mit genetischen Untersuchungen auseinandergesetzt. Ich bin überzeugt, dass sie unser ganzes Menschenbild verändern. Wir haben in unseren pluralistischen und demokratisch verbrieften Gesellschaften den Grundsatz, dass wir uns an der Menschenwürde und an den Menschenrechten orientieren. Das heisst, dass wir den Menschen als Subjekt und damit als Person verstehen. Mit den neuen Techniken laufen wir Gefahr, dass der Mensch zunehmend zum Objekt bzw. zum Produkt seiner Eltern wird.

Was ist am Verfassungsartikel, über den wir am 14. Juni abstimmen werden, so problematisch?
Ursprünglich hatte der Bundesrat einen Verfassungsartikel vorgeschlagen, der viel zurückhaltender war. Demnach wäre die PID nur sehr beschränkt anwendbar gewesen. Zum Beispiel für Paare, die mit einer schweren Erbkrankheit belastet sind, und das sind etwa 60 Paare in der Schweiz. Nun hat das Parlament jedoch die PID für alle Paare geöffnet, die sie in Anspruch nehmen wollen. Denn das auf der Grundlage des neuen Verfassungsartikels 119, Abs. 2, erlassene Gesetz führt neu das Chromosomenscreening ein und öffnet PID auch Paaren, die nicht mit einer schweren Erbkrankheit belastet sind. Sie können ihre Embryonen untersuchen lassen, ohne bestimmte Voraussetzungen erfüllen zu müssen.

Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) könnte sich die PID für bestimmte Fälle wie die Verhinderung der Weitergabe von Erbkrankheiten vorstellen. Und Sie?
Ich war eine Anhängerin des ersten Entwurfes des Bundesrates, weil er mir als guter gesellschaftlicher Kompromiss erschien. Es wäre dabei um eine Einzelfallabwägung gegangen. Also um Situationen, welche die Eltern von innen her kennen und nicht darum, bestimmte Selektionsentscheide zu treffen. Die Technik wäre auf sehr schwere Erbkrankheiten beschränkt gewesen mit der Absicht, mit diesen betroffenen Paaren einen Weg zu gehen. Nun aber wurde die PID so weit geöffnet, dass damit die Grenze zur menschlichen Zuchtwahl überschritten wird.

Können Sie Beispiele von relevanten Erbkrankheiten nennen, die ein solches Screening rechtfertigen würden?
Genau das darf man nicht. Das war auch für die Nationale Ethikkommission NEK klar. Sobald man diese Krankheiten benennt, besteht die Gefahr, dass das Leben von Menschen, die von dieser Erbkrankheit betroffen sind, als nicht lebenswert abgestempelt wäre. Es darf also nicht zu solchen Katalogen kommen. Wenn ein Paar in der Familie die Erfahrung mit einer genetischen Erkrankung gemacht und sie als schwere Belastung erlebt hat, wäre die PID zum Zuge gekommen. Neu ist es so, dass sie von allen Paaren beansprucht werden kann, die In-Vitro-Fertilisation (IVF) in Anspruch nehmen. Damit ist aber die Grenze zur Menschenzüchtung überschritten.

Das neue Fortpflanzungsgesetz erlaubt letztlich die Frage: «Was darfs denn sein?» Die Embryonenzahl, die erzeugt werden darf, wird übrigens im Verfassungsartikel nicht begrenzt, erst im Gesetz. Pro Zyklus dürfen nicht mehr als 12 Embryonen gezüchtet werden. Die Paare brauchen im Durchschnitt 1,7 Zyklen, bis es zur Schwangerschaft kommt. Somit fallen viele überzählige Embryonen an. Daran ist besonders die Stammzellenforschung sehr interessiert.

Kann die Medizintechnik überhaupt die Hoffnungen der Eltern auf ein gesundes Kind erfüllen?
Nein, es gibt keine Garantie, ein gesundes Kind zu bekommen. Die IVF selbst hat eine Fehlbildungsrate von 4,7 Prozent. Die meisten Behinderungen und Krankheiten entstehen nach der Geburt. Mehr als die Hälfte der Frauen, die mit IVF zu einer Schwangerschaft gelangen, nehmen später auch vorgeburtliche Untersuchungen in Anspruch – dies empfehlen ihnen die Fortpflanzungsmediziner. Sie sind sich bewusst, dass die IVF selbst gewisse Risiken beinhaltet. Man weiss auch, dass sie unter Umständen zur erhöhten Anfälligkeit für Herzkrankheiten oder Diabetes in der zweiten und dritten Generation führen kann. Das stellt uns vor die Frage, wo die Grenzen unserer Verantwortungsfähigkeit liegen! Sobald wir bewusst irreversible Interventionen vornehmen, die weitere Generationen betreffen, ist diese Fähigkeit überschritten.

Video «Dings Da»: sich mit dem Thema PID beschäftigen!

Dings Da from SEK-FEPS on Vimeo.

Ausführliche Stellungnahme des SEK: Was heute gilt - was neu gelten soll 

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Datum: 05.05.2015
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / idea Schweiz

Kommentare

Stand heute ist, dass man 3 befruchtete Eizellen implantieren kann. Ca. in der 8.? Woche wird dann geschaut, ob und wie viele Eizellen sich eingenistet habe. Bei keinem, fängt das Spiel mit der Hormonbehandlung und Eientnahme von vorne an. Bei einem Ei ist alles i.O. Bei zwei oder drei Eier fragt der Arzt ob sie alle behalten wollen? Wieviele Frauen/Paare stehen hier unter Druck und nehmen wohl eine Abtreibung von ein-zwei Babys in kauf? Weiter stellt sich heute die Frage, was wenn die Pränatale Untersuchung (die gleiche wie die Präimplatationsdiagnostik vor der Einpflanzung) in der 11 Woche aufzeigt, dass etwas nicht gut ist? Wieviele Frauen/Paare entscheiden hier für die Abtreibung?
Ganz ehrlich - genau darum haben wir diese Untersuchungen nicht machen lassen. So sind wir gar nicht vor die Wahl gestellt worden. Dazu kommt, dass es dokumentierte Fälle gibt, wo es hiess, dass das Kind Fehlbildungen, oder was auch immer hat, und am Schluss war dann doch alles ok. Wir sollten sowieso nicht über Leben und Tod entscheiden - und erst recht nicht auf Grund einer Wahrscheinlichkeit.

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