Das Dilemma um die Stammzellenforschung

Bundesrätin Dreyfuss nannte den neuen Gesetzesentwurf einen "Kompromiss im Dilemma zwischen medizinischer Hoffnung und Forschungsfreiheit." Wo bleibt aber die Ethik?

Mit dem umstrittenen Gesetzesentwurf der nun zur Beratung ans Parlament überwiesen wurde, wird die Forschung an Embryonen und Stammzellen - zwar unter restriktiven Bedingungen - grundsätzlich zugelassen und der Import von Stammzellen erlaubt. Verboten bleibt gemäss Bundesverfassung jeglicher Handel mit überzähligen Embryonen und deren Herstellung für Forschungszwecken. Damit solle die bisherige Gesetzeslücke geschlossen und der missbräuchliche Umgang mit überzähligen Embryonen aus der Fortpflanzungsmedizin und mit embryonalen Stammeszellen verhindert werden. Ist dem wirklich so?

Gegenüber dem Ende 2001 verabschiedeten Fortpflanzungsmedizingesetz

wurden die Bestimmungen stark gelockert. Die damaligen Verfassungs- und Gesetzesgrundlagen sind unter dem Eindruck der "Retortenbaby"-Diskussion entstanden und sollten eine Forschung Richtung "Designer-Babys" verhindern, sie verbieten das Klonen und Erforschen von Zellen an einem Embryo.

Kehrtwende des Bundesrates

Hintergrund dieser eiligen Aktion bildet die Tatsache, dass gemäss Fortpflanzungs-
medizingesetz alle überzähligen und tiefgefrorenen Embryonen aus der Fortpflanzungsmedizin bis Ende 2003 vernichtet werden müssen. Laut Bundesrat soll das neue Gesetz möglichst vor Ende 2003 in Kraft treten, falls dagegen kein Referendum ergriffen wird. Damit wäre für die Forschung eine Verwendung der vor 2001 eingefrorenen, überzähligen Embryonen noch möglich. Voraussetzung wäre aber die freie und schriftliche Einwilligung der betroffenen Paare. (Erklärung des Bundesrates vom 4.9.02).

Überrollt von den Ereignissen

Die Entstehungsgeschichte dieses Gesetzesentwurf ist recht ungewöhnlich. Im Jahr 1998 wurde erstmals eine Möglichkeit entdeckt, Stammzellen zu kultivieren und zu differenzieren. Diese Entdeckung ist den beiden Forschungsteams der Hopkins Medical Institutions und der Wisconsin Madison Universität in Amerika gelungen. Im selben Jahr stellte der Bundesrat einen neuen Gesetzentwurf für die Fortpflanzungsmedizin vor, der 2001 in Kraft trat. Laut diesen Bestimmungen ist das Klonen und Erforschen von Zellen aus einem Embryo verboten. Damals war man sich nicht bewusst, dass Embryonen bald auch als Rohmaterial für die Forschung genützt werden könnten. Im Herbst 2001 wurde der Bundesrat buchstäblich von den neusten Ereignissen überrollt. In der damals rechtlich unsicheren Situation befürwortete der Schweizerische Nationalfonds Ende September 2001 ein Gesuch der Genfer Forschungsgruppe um Jaconi und Kräuse zum Import von Stammzellen aus den USA zu Forschungszwecken. Mit der Begründung: die Stammzellenforschung sei - unter strengen Bedingungen - nötig, um die Spitzenposition und das Know-how der Schweizer Forschung auf diesem Gebiet zu erhalten. Der Entscheid löste teils massive Kritik aus.

Kompromissübung auf Kosten der Ethik

Im November 2001 erteilte der Bundesrat dem Departement des Innern den Auftrag, ein eigenes Bundesgesetz über die Forschung an Embryonen auszuarbeiten. Die Vernehmlassung zum Vorentwurf wurde diesen Frühling durchgeführt und die Botschaft dazu vor ein paar Wochen vom Bundesrat verabschiedet. Die auf dem Gebiet der "regenerierenden" Medizin inzwischen erzielten wissenschaftlichen Fortschritte erfordern jedoch dringend gesetzliche Anpassungen, lautet die Botschaft vom Bundesrat . Wie in vielen europäischen Ländern hinke die schweizerische Rechtssetzung hinter dem Forschungsstand her. Mit der neuen Regelung bleibe der Handel, das Klonen und die kommerzielle Nutzung verboten. Für die Forschung sei eine Bewilligung vom Bundesamt für Gesundheit erforderlich. An vorhandenen Stammeszellen bedürfe die Forschung der Zustimmung durch die Ethikkommission.
Die Zeitschrift "Ja zum Leben" schreibt in ihrer Dezemberausgabe: Der neue Gesetzesentwurf institutionalisert die "verbrauchende" Forschung, bei deren Anwendung die menschlichen Embryonen getötet werden. Wir sehen uns vor die erschütternde Tatsache gestellt, dass menschliches Leben instrumentalisiert uns somit fremden Zwecken und Interessen zugeführt wird.

Schutz vor Missbrauch

Jährlich werden in der Schweiz etwa 4500 In-vitro-Fertilizationen durchgeführt. Nur bei rund 100 künstlichen Befruchtungen komme es nicht zu einer Einpflanzung der befruchteten Eizelle. Von diesen Embryonen sei die Rede. Ein für die Forschung verfügbarer Embryo dürfe aber nicht über den 14. Tag hinaus entwickelt werden. Damit werde laut Bundesrätin Dreyfuss der besonderen Rechtsstellung des Embryos Rechnung getragen, die Menschenwürde gewahrt und der Embryo nicht wie eine Sache behandelt.

"Ja zum Leben" wehrt sich dagegen mit folgenden Worten: "Da der Gesetzgeber sich auf ethische Prinzipien abstützen muss, insbesondere wenn er Regelungen im Bereich von Tod und Leben von Menschen schafft, darf der vorliegende Entwurf nicht Rechtswirklichkeit werden. Er instrumentalisiert den lebenden Embryo in unwürdiger Weise, verstösst gegen das absolute Fremdtötungsverbot und steht im Widerspruch zu den Grundlagen unserer abendländischen Kultur. Wenn der Mensch von Anfang Mensch ist - und das ist er zweifellos -kommt nur ein gesetzliches absolutes Verbot dieser Art von Forschung an menschlichen Embryonen in Frage."

Gewinnung von "embryonalen" Stammzellen

Es gibt zurzeit drei verschiedene Methoden embryonale Stammzellen zu gewinnen: Einerseits aus überzähligen Embryonen aus der Fortpflanzungsmedizin, andererseits aus dem Nabelschnurblut oder von fünf- bis neuwöchigen, abgetriebenen Föten. Danach werden die Stammzellen in einer Nährlösung zu verschiedenen Zelltypen heran gezüchtet. Durch dieses Verfahren soll Ersatzgewebe wie Nervenzellen oder Herzmuskelzellen mit körpereigenem Material des Patienten erstellt werden. Man spricht da von "therapeutischem Klonen". Hierfür wird der Kern einer Körperzelle in eine entkernte Eizelle einer Spenderin eingebracht wird.

Forschung an "adulten" Stammzellen als Alternative

Tatsächlich können aber Stammzellen auch aus vollständig entwickelten menschlichen Organen wie Knochenmark, Blut oder Gehirn gewonnen werden. Die Haut ist eine ganz neu entdeckte Quelle für Stammzellen und eignet sich noch besser für diesen Zweck. Die daraus gewonnenen Stammzellen können problemlos ein Jahr kultiviert werden. Allerdings mehren sich diese adulten Zellen nicht so zahlreich wie die embryonalen und ihre Lebensdauer sei vermindert, erklären Wissenschaftler. Adulte Stammzellen haben jedoch zwei entscheidende Vorteile, schreibt die Evangelische Kirche Deutschlands, sie können dem Patienten selbst entnommen werden, ausserdem werden sie dadurch nicht abgestossen und es treten keine ethischen Probleme bei der Gewinnung auf. Stammzellen aus dem Knochenmark können sich zu fast allen Gewebearten des Körpers wie Nerven-, Muskel- oder Leberzellen entwickeln. Diese im Tierversuch gefunden Ergebnisse beschreibt ein US-Forscherteam um Catherine Verfaillie von der Universität Minnesota in einer Online-Vorabveröffentlichung des Fachjournals "Nature" (DOI:10.1038/nature00870). Bis Ende 2001 waren Wissenschaftler davon ausgegangen, dass nur embryonale Stammzellen diese Vielseitigkeit besitzen. Das Team ist davon überzeugt, dass die Zellen aus dem Knochenmark bei der Entwicklung von Therapien eine ethisch unbedenkliche Alternative zu den embryonalen Stammzellen darstellen.

Allerdings, so schränken die Forscher ein, seien noch viele Tests nötig, um das Potenzial dieser so genannten multipotenten adulten Vorläuferzellen aus dem Knochenmark genau zu untersuchen.

Hoffnungen der Medizin und Risiken

Es besteht die Hoffnung auf diesem Wege Krankheiten wie Parkinson oder Diabetes behandeln zu können. Allerdings ist nicht einzusehen, weshalb angesichts der Fortschritte in der Forschung mit adulten Stammzellen, viele Forscher nach wie vor am "therapeutischen" Klonen festhalten wollen. Die Risiken, die sich durch den Nukleustransfer ergeben, seien bisher noch nicht abschätzbar, schreibt die Fachzeitschrift Nature.

Aufrufe der Kirchen zur Güterabwägung

Die Fortschreitende Entdeckung des genetischen Codes und der wissenschaftlichen Erkenntnisse wecken berechtigtes Staunen, aber gleichzeitig auch viele Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen, erklärt die Deutsche Bischofskonferenz. Schon heute werden Gentests für hunderte von Krankheiten angeboten. Die Bischöfe rufen eindringlich auf, die neuen Erkenntnisse zu prüfen, ob deren Nutzen ethisch verantwortlich sei.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fordert, am Schutz menschlicher Embryonen konsequent festzuhalten. Er warnte vor jeglicher Aufweichung dieses Grundsatzes. Humanexperimente sollten nur insoweit gebilligt werden, als sie der Erhaltung und Förderung dieses bestimmten individuellen Lebens dienen. Gezielte Eingriffe an Embryonen, die ihre Schädigung oder Vernichtung in Kauf nehmen, seien nicht zu verantworten. Selbst wenn die Forschungsziele noch so hochrangig sind! Der ungeborene Mensch habe ebenso wie der geborene Anspruch auf Schutz.

Auch die Vereinigung katholischer Ärzte der Schweiz (VKAS) lehnt die Gewinnung und Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen jeder Herkunft ab. Die VKAS fordert statt dessen die Förderung der Forschung an adulten Stammzellen.

Der Mensch ein Ebenbild Gottes

Von der Bibel her wird menschliches Leben von seinem Anfang bis zu seinem Ende geschützt mit dem Gebot: ... Du sollst nicht töten... was jede Instrumentalisierung menschlichen Lebens - sei es auch zu einem noch so guten Zweck - ausschliesst.

...Der Herr gab Israel sein Gesetz und den Nachkommen Jakobs seine Gebote. So soll jede Generation seine Weisungen kennenlernen... Sie sollen sie ihren Nachkommen einprägen. Sie alle sollen auf Gott ihren Vertrauen setzen und seine Gebote halten ... (In der Bibel: Psalm 78)

Jedes Leben wurde von Gott bewusst geschaffen und hat seinen Sinn. So schreibt der Prophet Jeremia in der Bibel: "Eines Tages sprach der Herr zu mir: Ich habe Dich gekannt, ehe ich dich im Mutterleib bildete, und ehe du geboren wurdest, habe ich dich erwählt." (Jeremia, Kaptiel 1, Vers 5). Jesus kannte seine Bestimmung ganz genau bezeugte dies vor seinem Tod unter Pontius Pilatus: " ... ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, um ihr die Wahrheit zu bezeugen ..." (Johannes, Kapitel 18, Vers 37).

Mit der Stammzellenforschung und dem Klonen erhebt sich der Mensch zum Schöpfer und hat damit automatisch über Leben und Tod zu entscheiden. Laut Bibel beginnt Leben, wenn Leben entsteht. Das Recht darüber ob und wie lang und wie dieses Leben entstehen darf, steht grundsätzlich nicht in der Befügnis des Menschen, sondern ist dem Schöpfergott vorbehalten.

Wenn Leben mutwillig gezeugt und zerstört wird, bringen wir damit den ganzen Schöpfungsplan durcheinander. Die Folgen und Konsequenzen sind verheerend. Das Dilemma der Ethik wird immer problematischer. Leider wurden die Grenzen schon lange überschritten. Wer bestimmt über Tod und Leben? Wir? "Ich ganz allein bestimme über Tod und Leben, über Krankheit und Gesundheit....-" (Bibel: 5tes Buch Moses, Kapitel 32, Vers 39).

Quellen: Bundesarchiv/NZZ/Ja zum Leben/ kirchliche Stellungsnahmen

Datum: 09.12.2002
Autor: Antoinette Lüchinger

Adressen

CGS ECS ICS