30 Jahre Netz4
Die Gasse als «Erste Klasse»
Was 1991 mit einer Begegnung von EMK-Jugendlichen (Methodisten) und einem alkoholisierten Obdachlosen begann, wuchs zu einem etablierten Diakonieprojekt an. Die Angebote werden geschätzt, wobei die Kirche nicht im Dorf bleibt, sondern auf der Gasse.
Als Starthilfe ins Erwachsenenleben bietet das Netz4 Tools für die Berufswelt oder eine «Ladies Corner». Auch Flüchtlinge finden hier ein offenes Ohr. Die Vision besagt: «Die Grundlage der Arbeit von Netz4 ist die gelebte christliche Nächstenliebe.»
Erstklassige Angebote
Drei Jahre nach dem Start damals mit dem Angebot des Imbisses wuchs die Nachfrage auf 80 Essen an und wurde durch ein Angebot für Kinder und Jugendliche ergänzt. Ausländische Junge suchten vor allem persönliche Kontakte und Freizeitmöglichkeiten.
Im Mai fand nun die 30 Jahr-Feier in Zürich statt. Das «Coffee&Coaching» wird heute rege zum Lernen, für Bewerbungen und den Berufseinstieg genutzt. Besonders gefragt sind bei den Jungen die Feriencamps.
Zudem wird Bedürftigen eine Lebensmittel- und Kleiderabgabe und Obdachlosen eine Schlafgelegenheit geboten. Heutzutage sind 80 Prozent der obdachlosen Menschen in der Schweiz Migrantinnen und Migranten. Für die Hilfesuchenden also erstklassige Angebote.
Livenet war mit einem der Bereichsleitenden des Netz4 Gian-Duri Mögling im Gespräch.
Konnten Sie den
Corona-Dynamiken etwas Gutes abringen?
Gian-Duri Mögling: Die Corona-Massnahmen,
besonders der Lockdown im Frühjahr 2020, hat auch bei uns dazu geführt, dass
wir unsere Angebote umstellen mussten. Die Angebote im Erwachsenenbereich, den
Treff54 am Mittwoch und den Imbiss54 am Freitag mussten wir ganz schliessen.
Zusammen mit dem Heilsarmee Zürich Zentral und dem in der Arbeit für randständige
Menschen tätigen Werk «Chrischtehüsli» boten wir ein Take-Away an (Livenet berichtete). Damit
konnten wir innert kürzester Zeit sicherstellen, dass Menschen in prekären
Lebensverhältnissen auch weiterhin von Montag bis Freitag zu einer Mahlzeit
kamen.
Wie hat sich die Arbeit in den letzten Jahren verändert,
was ist gleich geblieben?
Ähnlich ist das älteste Angebot, der Imbiss54, geblieben.
Seit er vor 30 Jahren gegründet wurde, werden Spaghetti gekocht. Dazu gibt es
Salat und danach ein Dessert. Ausserhalb des Imbisses54 gab es verschiedene
Angebote, die immer wieder angepasst oder neugestaltet wurde. So gab es vor
meiner Zeit eine Röstibeiz, bei der die Gäste mitarbeiten konnten. Heute tun
sie dies im Imbiss54. Der Treff54 ist auch aus einem vorangehenden Angebot von
meiner Kollegin Hanna Habegger und mir weiterentwickelt worden. So hat Hanna
Habegger ein Näh-Café gestartet und unser Imbissraum wird jeweils mittwochs von
14 bis 16 Uhr zur Nähwerkstatt. Seit uns eine freiwillig Mitarbeitende,
die selbst professionelle Schneiderin ist, unterstützt, hat dieses Angebot
zusätzlich Zulauf.
Wie sehen die geistlichen Aspekte in Ihrer Gassenarbeit
aus? Was erleben Sie dort?
Mein Vorgänger arbeitet jeweils am Mittwoch noch als
freiwillig Mitarbeitender mit. Am Mittwochabend geht er mit einer Gruppe
weiterer freiwillig Mitarbeitender auf die Gasse. Er nimmt jeweils seine
Gitarre mit und versucht, die Menschen unter anderem auch mit christlichen
Liedern zu erreichen. Beim Treff54 und beim Imbiss54 gibt es jeweils vor dem
Essen einen kurzen geistlichen Input. Dann gibt es auch immer wieder Gespräche über den
Glauben, manche sind mehr ein Austausch, andere haben auch seelsorgerlichen
Charakter.
Erzählen Sie uns doch zwei Erfolgsgeschichten, wie Sie Menschen unterstützen konnten...
Erfolgsgeschichten?
Nun ja, wir sind für Menschen da, die gerade nicht auf der Erfolgsseite
des Lebens stehen. Dies sind Menschen, die auf der Gasse leben, oft ohne
Wohnung und Obdach sind. Etliche von ihnen sind von einer der Abhängigkeit von
Substanzen betroffen, andere leiden unter psychischen Erkrankungen. Immer wieder
erleben sie im Leben neue Brüche. Andere sind
abgewiesene Asylsuchende aus Iran, Afghanistan und weiteren Ländern, neu auch
Menschen aus der Ukraine, die lediglich von Nothilfe leben, keinem Erwerb
nachgehen dürfen und sich so durchschlagen müssen. Für all diese Menschen
bedeutet es schon sehr viel, wenn sie zu uns kommen können, um Gemeinschaft zu
haben. Es gibt auch immer wieder Menschen, die Sozialberatung suchen oder auch
seelsorgerliche Fragen haben.
Berührend war für mich die Aussage eines Gastes, der regelmässig bei uns ist: «Bei Euch darf ich einfach kommen, wie ich bin.» Er fühlt sich offensichtlich wohl bei uns.
Sie haben auch ein
Augenmerk auf Kinder und Jugendliche, was bieten Sie in dem Bereich an?
Im Jugend- und
jungen Erwachsenenbereich begleiten und coachen wir hauptsächlich junge
Flüchtlinge und bieten einen Mittagstisch (Lunch Break) an. Im Angebot «Coffee&Coaching»
sind wir enger mit den Teilnehmenden unterwegs und beraten sie in
verschiedensten Lebenssituationen, wie zum Beispiel bei behördlichen
Angelegenheiten, Budgetplanung oder helfen ihnen bei Bewerbungsschreiben oder
schulischen Fragen. Natürlich ist
das Ziel dasselbe wie bei den Erwachsenen, dass wir Menschen «in erschwerten
Lebenssituationen» unterstützen möchten, aber mit einer anderen Arbeitsweise.
Was möchten Sie in
Zukunft noch umsetzen?
Persönlich ist es mir
ein Anliegen, dass das Netz4 als Teil der EMK Zürich 4 in der Kirchgemeinde
verankert bleiben darf. Gemeinde und sozialdiakonisches Werk gehören zusammen
und sollen es auch bleiben.
Zur Website:
Netz4
Zum Thema:
Gassenarbeit Bern: Kirche, Gasse, Schicksale
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Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet