Freiheit und Nächstenliebe
Christliche Verantwortung angesichts der Pandemie
Das moderne gesellschaftliche Paradigma, dass erlaubt ist, was niemandem schadet, droht angesichts der Impfung gegen das Corona-Virus ins Wanken zu geraten. Ein Versuch, die Impffrage aus einer christlichen Sichtweise anzugehen.
Die kommenden Monate könnten europäische Gesellschaften in eine Zerreissprobe führen. Die Regierungen und Behörden setzen darauf, dass mit einer möglichst hohen Impfquote weitere Corona-Wellen am besten bekämpft werden können. Sie würden das Problem am liebsten mit einer Impfpflicht (die Gegner sprechen von Impfzwang) in den Griff bekommen.
Damit stossen sie aber auf den Widerstand einer Bevölkerung, die sich daran gewöhnt hat, dass Freiheit der oberste Wert sei, ganz besonders wenn es um den eigenen Körper und die Gesundheit geht. Das (gegenüber Geimpften) erhöhte Risiko, das mit dem Verzicht auf die Impfung nicht nur für sich selbst eingegangen wird, sondern auch für die Mitmenschen, die man nach einer Infektion anstecken könnte, wird als zweitrangig gesehen. Sogar die besonnene und christliche denkende Medizinethikerin Ruth Baumann-Hölzle lehnt eine Impfpflicht ab.
Ängste
Was eine solche selbst für einen eingeschränkten gesellschaftlichen Bereich wie die Angestellten im Gesundheitswesen auslöst, ist momentan in den massiven Protesten in Griechenland zu beobachten. Es wird dabei deutlich, dass in diesem Fall die persönliche Entscheidungsfreiheit über das Risiko gestellt wird, besonders exponierte Mitmenschen zu schädigen. Denn das Impfen löst auch Ängste aus, sich damit selbst zu schaden. Ängste, die durch persönliche Erfahrungen, das persönliche Netzwerk und die Medien immer wieder bestätigt werden. Also verteidigt man damit die persönliche Ablehnung des Impfens.
Der Paradigmenwechsel
Woran sollen sich nun die Christen orientieren? Die christliche Theologie hat bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein die Nächstenliebe über die Selbstliebe gestellt, analog dem Gebot der Nächstenliebe, das aus dem Mund von Jesus kommt. Dann wurde auch im evangelischen Lager immer öfter aufgrund von psychologischen Erkenntnissen der Passus «wie dich selbst» betont. Dies aus der Sorge heraus, dass Christen dazu tendieren, andern zu helfen und dabei ihre eigenen Bedürfnisse verdrängen. Heute tendieren daher auch viele Christen dazu, die Selbstliebe über die Nächstenliebe zu setzen. Und somit auch die persönliche Freiheit gegen behördliche Auflagen zu verteidigen.Christliche Verantwortung
Doch, um bei der aktuellen Frage zu bleiben: Kann man in christlicher Verantwortung einerseits die Impfung ablehnen und andererseits auch Einschränkungen und Auflagen bei der persönlichen Bewegungsfreiheit? Zahlreiche Menschen in diesem Land tun das. Sie nehmen dabei im Vergleich zu Geimpften ein erhöhtes Risiko in Kauf, andere zu schädigen. Und sie rechtfertigen dies zum Teil damit, dass sich Behörden und Experten öfter getäuscht haben.
Eine christliche Haltung, die sowohl der Nächstenliebe wie der Selbstliebe gerecht wird, könnte jedoch darin bestehen, zwar auf die Impfung zu verzichten, aber dann auch alles zu tun, um im Falle einer Infektion nicht andere zu gefährden. Dies würde zwangsläufig auch den Verzicht auf die Teilnahme an Events bedeuten, wo sich viele nahe sind und wo keine Testpflicht besteht, obwohl der Sicherheitsabstand nicht möglich ist. Also ein echtes Wahrnehmen von Selbstverantwortung. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Mitmenschen. Also: «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!»
Sachbezogene Kommentare zu diesem Text sind erwünscht, wir bitten aber, auf persönliche Angriffe gegen unsere Autorinnen und Autoren zu verzichten.
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Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet
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