Forum Kommunikative Theologie
Droht ein christlicher Nationalismus in der Schweiz?
«Schwarze Elefanten» sorgten für angeregte Diskussionen beim Forum Kommunikative Theologie 2021, an dem 65 Interessierte online teilnahmen. Schwarze Elefanten? Das sind Ereignisse, die wahrscheinlich sind und grosse Veränderungen hervorrufen können, aber keiner sehen will.
Unter dem Motto «Überrascht vom Erwartbaren» hatte das Theologische Seminar St. Chrischona (tsc) vier Theologen eingeladen, ihre jeweiligen schwarzen Elefanten vorzustellen.
«Nur eine multikulturelle Kirche bietet einen wahren Vorgeschmack»
Top aktuell ist der schwarze Elefant von Marc Jost. Der Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz fragt sich angesichts des Sturms auf das Kapitol, ob Christen einem neuen Nationalismus verfallen. Nationalistische Tendenzen nimmt er nämlich auch in der Schweiz wahr, beispielsweise in Gesprächen über Migration. «Nur eine multikulturelle Kirche bietet einen wahren Vorgeschmack auf die himmlische Gemeinschaft», leitet Marc Jost aus Offenbarung 7 ab. Er rät deshalb, politische Bewegungen sorgfältig zu prüfen und den Blick über den nationalen Tellerrand zu wagen.Theologie in der VUKA-Welt
Einen schwarzen Elefanten der Theologie sieht Christian Haslebacher. Der Vorsitzende von Chrischona Schweiz erlebt es als Herausforderung, Theologie zu betreiben in einer von Veränderlichkeit, Unsicherheit, Komplexität und Widersprüchlichkeit (VUKA) geprägten Welt. «Ich erlebe sehr viel Polarisierung zwischen liberaler und neo-konservativer Theologie», berichtete er. Als möglichen dritten Weg schlug Christian Haslebacher vor, zwischen der Gewichtung theologischer Fragen angemessen zu unterscheiden. «Es braucht Einheit in den nötigen Kernfragen, Freiheit in allen Nicht-Kernfragen und in allem die Liebe», erklärte er. Doch wer entscheidet das? Was sind die Kriterien? Dies wurde heiss diskutiert.
Die Fülle des Evangeliums neu entdecken
Noch grundsätzlicher setzte Dr. Andreas Loos an. Der Dozent für Systematische Theologie des tsc zeigte unter anderem anhand von Umfragen, dass das Evangelium heute kaum mehr verstanden wird. Wie also die Menschen erreichen? Er plädierte dafür, die «unerschöpfliche Fülle des Evangeliums» mit Hilfe des Heiligen Geistes neu zu entdecken. Es könnten Gleichnisse sein, die aktuell die grösste Sogkraft entfalten. Zum Beispiel das vom verlorenen Sohn, der vom Vater so unendlich geliebt wird, dass dieser ihm entgegenläuft.
Wenn die Kirche sich dem Staat anbiedert
Ein vierter schwarzer Elefant lauert im Spannungsverhältnis zwischen Kirche und Staat. Das zeigte Dr. Stefan Felber auf, der Altes Testament am tsc unterrichtet. Er kritisiert sowohl die Politisierung der (Landes-)Kirche als auch die religiöse Aufladung der Politik. «Im Begriff der Zivilreligion lassen sich beide zu einem Denkmuster verbinden», führte er aus. Die Kirche dürfe sich dem Staat nicht anbiedern. Ihre Berufung sei es, die Obrigkeiten an Gottes Gebote zu erinnern.
Angeregter Austausch beim Forum Kommunikative Theologie
In Online-Gesprächsgruppen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über jedes Themenfeld. Vielfach kam es zu einem angeregten, konstruktiven Austausch zwischen Menschen aus dem Gemeindedienst und Dozierenden des tsc. Dank des Forums wird sie eine künftige Begegnung mit den schwarzen Elefanten nun nicht mehr überraschen.
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Autor: Markus Dörr
Quelle: tsc.education