Massive Reaktionen
USA: Streit unter Charismatikern über Trump-Prophetien
Charismatische Christen liefern sich in den USA einen teils erbitterten Streit über nicht eingetretene Voraussagen zur Präsidentschaft von Trump – für die einen prophetischer Offenbarungseid, für andere ein Ruf zu Selbstkritik und Demut.
Nach der «Encyclopedia of American Religions» haben vom Jahr 2018 an rund 40 charismatische Leiter die Wiederwahl von Präsident Trump vorausgesagt. «Die 2016er Wahl haben nur eine Handvoll von ihnen richtig vorausgesagt», erklärt J. Gordon Melton, Autor der Enzyklopädie. «Darum haben sie sich alle auf diese Wahl gestürzt – und mit einer Ausnahme lagen alle falsch.» Die meisten von ihnen halten bis zum Schluss daran fest, dass noch irgend ein «Wunder» passiert – oder deuten ihre Prophetien um.
Jetzt betrachten Beobachter – wie Craig Keener in «Christianity Today» – die nicht eingetroffenen Voraussagen als den grössten Schaden für den charismatischen Flügel der US-Evangelikalen seit den Televangelist-Skandalen in den 1980er Jahren.
Fehler erkennen – und die Reaktionen
Einige der bekannteren «Propheten» haben zugegeben, dass sie sich geirrt haben, darunter R. Loren Sandford, Jeremiah Johnson, Shawn Bolz und Kris Vallotton. Vallotton, der im TV-Programm der bekannten Bethel Church auftritt, erklärte offen: «Ich habe mich total geirrt, und ich übernehme volle Verantwortung dafür. Es gibt keine Entschuldigung. Ich denke, dass mich das nicht zu einem falschen Propheten macht, aber es schafft echt eine Glaubwürdigkeitslücke. Viele Menschen vertrauen mir und meinem Dienst. Ich möchte ihnen allen sagen, dass es mir sehr leid tut. Das war ein grosser, grosser Fehler.» Und später: «Ich werde mich mit den Gründen beschäftigen, warum das, was ich hörte, nicht eingetreten ist. Ich habe immer geglaubt, dass man sich auch öffentlich entschuldigen muss, wenn man öffentliche Erklärungen abgibt.»
Auf solche Entschuldigungen folgten zum Teil massive Angriffe. Jeremiah Johnson (Charlotte, N.C.) hatte 2015 den Sieg Trumps vorausgesagt, noch bevor dieser als Leiter bekannt wurde. Jetzt, 2021, legte er ein öffentliches Bekenntnis auf Facebook ab, dass er in Bezug auf Trumps Wiederwahl falsch lag. Was er danach erlebte, gibt zu denken: «Über die letzten 72 Stunden habe ich mehrere Todesdrohungen erhalten und Abertausende von E-Mails von Christen, die die schmutzigsten und vulgärsten Dinge sagen, die ich je über mich und meine Familie gehört habe. Ich wurde ein Feigling und Ausverkäufer genannt, ein Verräter am Heiligen Geist und sicher 500 Mal verflucht. Jede Stunde haben wir Unterstützer verloren.»
Und in einem weiteren Post schreibt er: «Ich habe voll erwartet, dass ich in einigen Kreisen falscher Prophet usw. genannt werde, aber ich habe mir in meinen wildesten Träumen nicht vorstellen können, dass so viel satanische Angriffe und Zauberei von Charismatikern kommen kann. Zu meinem grossen Herzeleid bin ich überzeugt, dass Teile der prophetisch/charismatischen Bewegung viel KRÄNKER sind als ich je geträumt habe….»
Johnson ist eine Schlüsselfigur in der Bewegung «New Apostolic Reformation» NAR, die überzeugt sind, dass Apostel und Propheten entsprechend biblischem Muster auch heute noch Wegleitung für die Kirche geben sollen.
Corona nicht erkannt
Melton erklärt, warum der Erwartungsdruck auf «Propheten» gestiegen ist: «Im November 2019 hatte (Evangelistin) Cindy Jacobs ihr Treffen in Dallas, und die Elite der Propheten war dabei. Aber keiner von ihnen gab auch nur einen Hinweis darauf, dass so etwas wie Corona kommen würde.» Autor und Kommentator Michael Brown, selbst zentrale Figur im «Brownsville Revival» der 1990er Jahre, erklärt: «Die Leute sprechen ihre Worte einfach aus, ohne jemandem dafür Rechenschaft zu schulden. Keine wichtige prophetische Figur hat die COVID-Krise vorausgesehen und dann – als einige von ihnen das baldige Ende von Corona voraussagten und das nicht eintrat – hat sich keiner von ihnen entschuldigt. So hatte die Bewegung schon ein blaues Auge und war unter Druck, jetzt etwas Substantielles zu liefern.»
Und er gibt die Erklärung: «Viele Leiter haben Trump als eine Art politischen Messias angesehen, der unsere Schlachten schlägt, der Kirche ihre Stimme zurückgibt und so weiter. Das hat sich alles vermischt. Und wir prophezeien manchmal das, was wir uns wünschen.» Das Ergebnis – dass Dutzende von Propheten erklärten, Trump würde gewinnen – war für Brown «die grösste verbreitete Täuschung, die ich in 49 Jahren der Nachfolge Jesu gesehen habe.»
Warum solche Täuschungen möglich sind – und wie eine nüchterne Reaktion aussehen könnte, wird Livenet in einem zweiten Artikel in den kommenden Tagen berichten.
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Religion Unplugged / Christianity Today