Nach der Präsidentenwahl
Führende Evangelikale beschreiben ihre Vorwärts-Strategie
Die grosse Mehrheit der weissen Evangelikalen hat wiederum für Donald Trump gestimmt. Doch nun sehen führende und besonnene evangelikale Leiter eine grosse Chance in der Wahl von Joe Biden.Viele evangelikale Christen in Amerika stimmten für Trump und damit einen Präsidenten, der für konservative christliche Werte wie Pro-Life und gegen die Genderideologie und gegen die Freigabe von Drogen einstand. Sie nahmen dabei in Kauf, einen Charakter zu akzeptieren, der alle biblischen Werte verhöhnte. Sie verwiesen dazu auf den alttestamentlichen persischen König Kyrus, der dem Volk Israel erlaubte, ins gelobte Land zu ziehen. Trump sollte der neue Kyrus sein, der das Land wieder zu biblischen Werten zurückführt. Sie sind jetzt enttäuscht.
Doch es gibt auch unter den weissen Evangelikalen Stimmen, die jetzt grosse Hoffnungen auf den Machtwechsel setzen. So schreibt zum Beispiel der bekannte Meinungskolumnist Nicholas Kristof: «Wir haben nun einen neuen gewählten Präsidenten, und er hat mit Botschaften der Heilung den richtigen Weg eingeschlagen.» Er verweist dabei auf die Aussage Bidens: «Wir mögen Gegner sein – aber wir sind keine Feinde.»
Jetzt ist die Zeit zu heilen
Die bekannte Zeitschrift «Christianity
Today» zitiert den designierten neuen Präsidenten auf ihrer Webseite mit den
Worten: «Die Arbeit vor uns wird hart sein, aber ich verspreche Ihnen: Ich
werde ein Präsident für alle Amerikaner sein – ob Sie für mich gestimmt haben
oder nicht» ... «Ich werde den Glauben bewähren, den Sie in mich
gesetzt haben.»
Wichtig für Christianity Today ist auch die
Tatsache, dass Biden die Trump-Wähler eingeladen hat, ihm eine Chance zu geben und
dabei mit Bezug auf das Buch Prediger, Kapitel 3, Verse 1-3, sagte: «Alles hat
seine Zeit», und jetzt ist «die Zeit zu heilen».
Zuhören und verstehen lernen
Unter den verschiedenen Kommentaren sticht derjenige des bekannten Publizisten Ron Sider hervor, der allerdings als «linksevangelikal» gilt. Der Professor für Theologie, Diakonie und Politik am Palmer Theologischen Seminar in Wynnewood, Pennsylvania, schreibt:«Unser Land braucht dringend Menschen, die zuhören und respektvoll mit Menschen verhandeln können, die mit der Politik zutiefst nicht einverstanden sind. ... Wir brauchen ehrliches, sorgfältiges Zuhören und Verhandeln, um kluge Kompromisse einzugehen.» Und er fährt fort: «Politisch bedeutet das für mich, dass ich in den nächsten Monaten und Jahren versuchen werde, verschiedene Dinge zu tun: Ich werde hart mit den Pro-Life Evangelicals for Biden zusammenarbeiten, die ich mitorganisiert habe. Ich möchte die Demokraten drängen, zu sagen, dass sie – da sie weiterhin der Meinung sind, dass Abtreibung legal und sicher sein sollte –, auch wollen, dass Abtreibung selten ist. Und dass sie eine Politik verfolgen, die das fördert.»
Sider fordert sowohl Demokraten wie Republikaner nachdrücklich auf, «die nationale Gesetzgebung zu unterstützen, die sowohl die Bürgerrechte von LGBTQ garantiert als auch die Religionsfreiheit von Organisationen auf Glaubensbasis schützt, die weiterhin die historische Sichtweise der Ehe vertreten.» Und er fordert insbesondere die evangelikalen Republikaner auf, eine Krankenversicherung für alle zu fordern. Und dass sie eine Wirtschaft einfordern, «die allen zugute kommt, insbesondere den unteren 50 Prozent.» Und weiter, dass sie die rassistische Rhetorik ablehnen und stattdessen verlangen, «dem strukturellen Rassismus endlich ein zu Ende setzen».
Ein Umschwung ist möglich
Ron Sider verweist dazu auf ein Buch des Soziologen Robert D. Putnam, der aufzeigt, dass sich das Land schon einmal in ähnliche Gegensätze verstrickt habe wie heute. Sider fasst zusammen: «In den 1890er Jahren umfasste die Kultur einen radikalen Individualismus mit wenig Rücksicht auf das Gemeinwohl. Die politische Parteilichkeit war schwerwiegend. Die Vermögens-/Einkommenslücke zwischen den Reichen und den anderen war riesig. Die Heiratsquote und der Kirchenbesuch waren relativ niedrig. Dann, von ungefähr 1900 bis 1970, änderten sich die Dinge langsam. Es gab eine viel grössere Sorge um das Gemeinwohl. Das 'Wir' ersetzte im öffentlichen Diskurs zunehmend das 'Ich'. Die politische Zusammenarbeit zwischen den Parteien wurde intensiver. Die wirtschaftliche Ungleichheit ging dramatisch zurück und die niedrigeren wirtschaftlichen Ebenen der Gesellschaft erhielten einen grösseren Anteil an der wachsenden Wirtschaft als die obersten. Mehr Menschen waren verheiratet und der Kirchenbesuch nahm stark zu. Und die Afroamerikaner konnten sich stark sozioökonomisch verbessern.» So weit die Erkenntnisse von Putnam.
Eine neue Spiritualität
Joe B. Webb, ein ehemaliger Campus für Christus Mitarbeiter und viele Jahre in leitenden Positionen am Fuller Theological Seminary in Pasadena, unterstreicht die Wichtigkeit einer neuen geistlichen Ausrichtung: «Die relevante Botschaft ist also, dass es einer ganz neuen Spiritualität und eines neuen Bewusstseins (christlich und anders) bedarf, um unser zerbrochenes Gemeinwesen und unser Land zu reparieren. Wir müssen moralische Wurzeln und spirituelle Energie für den bevorstehenden Kampf finden.»
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Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet
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